Herr Regener, Sie sind Frontmann von Element Of Crime, schreiben Romane, treten immer wieder gern als Gastsänger bei anderen Bands wie der Crucchi Gang in Erscheinung und spielen seit einigen Jahren auch noch Trompete in der Jazzformation Regener Pappik Busch. Was treibt Sie an?

Sven Regener: Ich habe irgendwie den unstillbaren Drang, Dinge in die Welt zu bringen, die vorher nicht da waren. Es drängt mich, Neues zu erschaffen. Und ich brauche die Beschäftigung mit Kunst, um nicht in Trübsinn zu verfallen.

Würde das ohne die Kunst passieren?

Regener: Der Mensch ist ein melancholisches Tier. Bei mir ist es so, dass die Kunst meinem Leben einen Sinn gibt. Deshalb bin ich eigentlich immer an irgendetwas dran. Allerdings hatte ich jetzt seit dem letzten Element-Of-Crime-Album „Morgens um vier“, das vor zwei Jahren rauskam, kein großes Projekt mehr.

Zuletzt kam der von Charly Hübner gedrehte Element-Of-Crime-Film „Wenn es dunkel und kalt wird in Berlin“ ins Kino, es folgte das Album „Field Of Lights“ der Formation „Regener Pappik Busch“. Nichtstun sieht anders aus.

Regener: Mit dem Film hatte Charly mehr Arbeit als ich, und das neue Album von Regener Pappik Busch ist an zwei Tagen im Berliner Tritonus Studio entstanden. Das sind mir sehr liebe Projekte, aber keine großen Projekte im engeren Sinne, nichts, woran man ein, zwei Jahre sitzt wie etwa an einem neuen Roman oder einer Element-of-Crime-Platte. Und was die Regener-Pappik-Busch-Platte betrifft: Jazzmusik folgt ja ihren eigenen Regeln, es ist Instrumentalmusik, die viel mit Improvisation arbeitet, das bedeutet schon mal, dass ich mir keine Texte ausdenken musste. Zugleich ist die Art, mit dieser Musik umzugehen, eine ganz andere.

Inwiefern?

Regener: Durch das Improvisieren ist der Jazz auf seine Weise sehr frei, sehr spontan. Speziell im Konzert ergibt sich vieles aus dem Augenblick heraus, und da wir nur zu dritt sind, geht das auch sehr gut. Gleichzeitig ist es aber so, dass du, um das befreit machen zu können, hervorragend aufeinander eingespielt sein musst. Das hat viel mit Interaktion zu tun und ist sehr stark aus dem Augenblick heraus geboren. Das bedeutet, wenn Ekki, Richard und ich zusammenkommen, um zu spielen, dann passieren in der Regel gute Dinge.

„Field Of Lights“ ist immerhin schon euer drittes Album.

Regener: Und das erste, für das wir eigene Stücke geschrieben haben. Ursprünglich haben wir uns mit den Klassikern des modernen Jazz auseinandergesetzt, also mit allem, was so ab den Vierzigerjahren passiert ist.

Warum genau mit dieser Epoche?

Regener: Weil uns diese Jazzmusik am meisten liegt und am meisten Spaß macht zu spielen. Mit der Zeit sind wir sicherer geworden, auch dafür, was wir gut können und was wir nicht so gut können. Dementsprechend zeigen die drei Platten eine deutliche, fast exponentielle, Entwicklung auf, was ja auch bei Element Of Crime anfangs der Fall war. Die „Basically Sad“-Platte klingt zum Beispiel noch ganz anders als gleich danach „Try To Be Mensch“.

Die Band Element of Crime mit Sänger Sven Regener (v. l.), Markus Runzheimer, Jakob Ilja und Richard Pappik.
Die Band Element of Crime mit Sänger Sven Regener (v. l.), Markus Runzheimer, Jakob Ilja und Richard Pappik. | Bild: Charlotte Goltermann

Die Musik ist recht schön. Ist das eine Qualität, die Sie im Sinn haben?

Regener: Ich habe Musikwissenschaften studiert, und eine meiner Professorinnen hat den Satz gesagt: „Wenn man in der Kunst den Begriff des Schönen ersetzen will durch den Begriff des Wahren, aber nicht sagen kann, was das Wahre ist, dann nehme ich lieber das Schöne.“ Dem schließe ich mich an. Ich finde, dass gerade im Jazz sehr viel Schönheit liegt. Und zwar nicht nur im Harmonischen, sondern auch im Schrägen, auch im Dissonanten. Gerade dieses Hin und Her aus einerseits harmonischer und dann wieder disharmonisch klingender Musik ist auch etwas, worum es im Jazz geht. Wobei es selbst im Free Jazz nie darum ging zu schockieren, sondern darum, die Möglichkeiten des Ausdrucks zu erweitern. Nehmen wir als Beispiel „My Favourite Things“ von John Coltrane, ein Schlager aus dem Musical „The Sound Of Music“, geschrieben von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, ein sehr schönes Stück Popmusik seiner Zeit. Und Coltrane nimmt es und macht daraus diese moderne Version, die ja zumindest für mich untrennbar zur Geburt des Free Jazz gehört.

Eines eurer drei eigenen Stücke heißt „Chamisso Square“, gemeint ist der Chamissoplatz in Berlin-Kreuzberg. Was macht den Ort so besonders?

Regener: In seiner 19. Jahrhundert-Optik stören relativ wenige Elemente aus der heutigen Zeit. Vieles ist erhalten geblieben: Die alten Häuser, die alten Gaslaternen, und im Gegensatz zu den meisten anderen Orten in Berlin hast du in den Erdgeschossen keine Geschäfte, sondern ebenfalls Wohnungen. Filme, die in Ost-Berlin spielen, hat man daher sehr oft am Chamissoplatz gedreht. Diesem Ort wohnt ein seltsamer, friedlicher Zauber inne, eine düstere, funzlige, urbane, abgeschabte Atmosphäre.

Sie haben vorhin gesagt, seit zwei Jahren an keinem größeren Projekt mehr gearbeitet zu haben. Ist nach „Glitterschnitter“, das 2021 rauskam, vielleicht ein weiterer Roman in Planung?

Regener: Ja, ich bin da an was dran. Wieder aus der Frank-Lehmann-Welt, aber ich habe mit dem Buch gerade erst angefangen und weiß noch gar nicht, ob das alles überhaupt funktioniert, deshalb halte ich mich lieber bedeckt.

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Element Of Crime existiert seit 1985. Das heißt, ihr werdet in diesem Jahr 40.

Regener: Wir haben uns im März 1985 gegründet, das heißt, wir sind schon 40! Aber das spielt für mich keine Rolle. Die 40 ist eine Zahl wie die 39, nur eins mehr. Wir haben noch nie eine Jubiläumstour oder eine Jubiläumsplatte gemacht. Ich bin einfach kein Jubiläumstyp und die anderen beiden auch nicht. Irgendwas lange gemacht zu haben, ist an und für sich kein Verdienst. Entscheidend ist, ob es etwas bringt und ob auf der Bühne etwas Tolles passiert.

Ganz was anderes: Sie haben nachträglich den Wehrdienst verweigert, waren also erst bei der Bundeswehr und haben dann Zivildienst gemacht. Was halten Sie davon, die Wehrpflicht in Deutschland wieder einzuführen?

Regener: Ich glaube, man wird nicht drumherum kommen. Russland hat den Krieg als Mittel der Politik nach Europa zurückgebracht und betreibt einen aggressiven Imperialismus, da ist es leider so, dass wir die Wehrpflicht wieder brauchen werden, so bitter das ist. Für sehr wichtig halte ich dabei die Möglichkeit zum Zivildienst ohne Gewissensprüfung und eine weniger missachtende Behandlung, was die Würde der Rekruten angeht.

Am Donnerstag, 24. Juli, tritt Sven Regener mit Element of Crime beim Hohentwiel-Festival auf. Weitere Informationen: www.hohentwielfestival.de