Die Magie des Teufels verfliegt nicht so leicht, auch in diesem Sommer treibt sie den armen Freischütz aus Carl Maria von Webers gleichnamiger Oper fast in den Tod. Ja, vielleicht verhält es sich mit diesem Zauber wie mit manchem Wein. Er altert nicht, sondern reift nurmehr.

Die Geschichte vom waffentechnisch limitierten Brautwerber Max, der in seiner Not auf schwarze Künste zurückgreift: Seit vergangenem Jahr liefert sie den Stoff für die Seebühnen-Inszenierung der Bregenzer Festspiele. Und bei der diesjährigen Premiere am Donnerstagabend scheint es, als habe sie über die Zeit sogar an Aktualität gewonnen.

Denn Freikugeln, die von allein ins Schwarze treffen und damit selbst dem unfähigsten Schützen noch zum Triumph verhelfen, gibt es mehr denn je: Schüler bevorzugen die Sorte ChatGPT. Die dämonische Zauberkraft unserer Tage nennt sich Künstliche Intelligenz.

Verloren in der Wildnis

„Der Freischütz“, schreibt Regisseur Philipp Stölzl im Programmheft, erzähle von einer Zeit, als die Menschen noch Angst vor der wilden Natur hatten und sich kaum in den Wald trauten. „Das können wir uns heute, wo das gesamte Land von Straßen, Gewerbegebieten und Gondelbahnen durchzogen ist, nicht mehr vorstellen.“ Was aber, wenn gerade diese Zivilisation die neue Wildnis ist? Wenn die Angst zwar nicht mehr dicht bewaldeten Schluchten gilt, dafür aber digitalen Netzen?

Agathe (Irina Simmes) hat schlechte Träume. Ist etwa Samiel (rechts) schuld daran?
Agathe (Irina Simmes) hat schlechte Träume. Ist etwa Samiel (rechts) schuld daran? | Bild: anja koehler

Es zählt zu den Stärken dieser Inszenierung, dass sie es dem Publikum überlässt, solche Bezüge zur Gegenwart zu entdecken. Ganz unschuldig rückt das Bühnenbild die Handlung in eine scheinbar weit entrückte Winterlandschaft. Feuerspeiende Drachen und durch Sümpfe watende Untote lassen an Harry Potter denken. Und der „Schwarze Jäger“ Samiel (Moritz von Treuenfels) wirkt mit seinen Knittelversen wie dem Mittelalter entsprungen.

In seinem Aufstieg zur heimlichen Hauptfigur liegt ohnehin der Clou dieser von Jan Dvorak besorgten Dialogfassung. Einen vor bösem Wortwitz sprühenden Mephisto erleben wir auf der Bühne. Und zwar nicht nur als Akteur, sondern auch als Moderator dieses Abends, ja als Regisseur sogar!

Viel Nietzsche verbaut

Dass im Libretto jede Menge Nietzsche verbaut ist, gefällt diesem Satan nur zu gut. Während der Freischütz Max im Original nur ein einziges Mal die Existenz Gottes zu bezweifeln wagt, wird dessen Tod hier munter alle paar Minuten verkündet. „Hast du mich gefragt, ob Gott lebt?“, fragt Samiel sein Opfer: „Ich glaube nein. Und wenn, dann schert er sich nicht um uns.“

Nur wenn er einen Meisterschuss abliefert, darf Max (Attilio Glaser) die schöne Agathe (Irina Simmes) heiraten. Wer einen solchen Schuss nicht leisten kann, dem bleibt nur sein Gottvertrauen. Eine Welt aber, die Gott für tot erklärt, hält niemanden mehr davon ab, sich gleich dem Teufel zu verschreiben.

Da lacht der Satan (Moritz von Treuenfels), und sein Drache speit fröhlich Feuer: In Bregenz übernimmt das Böse die Regie.
Da lacht der Satan (Moritz von Treuenfels), und sein Drache speit fröhlich Feuer: In Bregenz übernimmt das Böse die Regie. | Bild: Daniel Ammann

Es liegt eine böse Logik im Handeln dieses Antihelden. Zwar nicht unbedingt im Originaltext von Friedrich Kind (1768-1843), die Libretti der Opernklassiker erreichen ja selten das Niveau der dazu gehörigen Musik. Umso mehr aber wird der Teufelspakt in dieser neuen Bregenzer Fassung nachvollziehbar. Eine Gesellschaft, die selbst die Liebe noch an technische Finessen knüpft, braucht sich über verbotene Tricksereien und dunkle Machenschaften nicht zu wundern.

Wenn Agathe naiv über göttliche Fügungen schwelgt und dazu der Teufel höchstpersönlich am Cello die Begleitmusik spielt, wenn mit Wasserballett und Glitzermond die Taube des Heiligen Geists über das Bodenseeufer schwebt, wenn am Ende gar das göttliche Auge der Vorsehung uns aus dem Mond entgegenblinzelt: Dann spricht aus diesem gewollten frommen Kitsch eine herrlich bitterböse Ironie.

Ob diese Geschichte wirklich gut ausgeht, das hängt am Ende ganz allein von Mephistos Laune ab. Bei der Premiere hat der teuflische Regisseur dieses Abends mit uns harmoniesüchtigen Opernbesuchern ein Einsehen und lässt nach der eigentlich von ihm vorgesehenen Schlussszene mit Galgen, Tod und Elend doch noch mal seine Puppen tanzen. Wer weiß, vielleicht sieht das in der nächsten Vorstellung schon ganz anders aus?

Bis 17. August in Bregenz. Weitere Informationen: www.bregenzer-festspiele.com