Essen tut jeder. Nur über die Landwirtschaft wissen die wenigsten Bescheid. Das Leben der Mehrheit vollzieht sich abgekoppelt von jenen wenigen Menschen, die in Deutschland noch Schweine mästen oder Korn anbauen und nebenbei gegen die Bürokratie kämpfen. Stattdessen gilt der Landwirt zunehmend als klammheimlicher Ökofeind.
Tatsache ist: Immer mehr Hofbetreiber geben ohne Nachfolger auf. Ihre Kinder verdienen ihr Geld anderswo. Die Schulen für Landwirte schließen mangels Nachwuchs, zuletzt macht die Schule in Sigmaringen dicht. Und dann so etwas: Allem Gegenwind zum Trotz entschließt sich eine junge Frau, Bäuerin zu werden, die Landwirtschaftsmeisterin zu machen und später den Hof zu übernehmen.
„Das ist mein Schaffhäs“
Sie heißt Christiane Fricker und ist 19 Jahre alt. Eben hat sie ihre Lehre auf dem Hofgut der Stiftung Liebenau abgeschlossen. Jetzt arbeitet sie, wo sie aufgewachsen ist, auf Hof Burnau im Bodenseekreis. Ein blonde junge Frau mit Zopf, Brille, solidem Anorak und strapazierter Hose. „Mein Schaffhäs“, sagt sie.

Für Christiane ist diese Wahl das Normalste der Welt. „Büro wäre nichts für mich,“ sagt sie. Mit ihrer älteren Schwester wuchs sie auf dem Hof auf. Die beiden Kinder liefen mit und arbeiteten mit. Mit acht Jahren saß sie erstmals am Steuer eines Traktors. Damit sie an Bremse und Gas kam, schob ihr Vater Holzklötze auf die Pedale. Als Kind fuhr sie schon manche Fuhre Gras ein, als ihre Kameradinnen gerade die Barbiepuppe strählten.
Das Paradies, in dem die Arbeit nicht ausgeht
Alles hängt am Hof. Burnau ist ein malerisch gelegenes Alleingehöft in der Nähe von Tettnang. Kindern dürfte die Anlage in Form eines Hufeisens als Paradies erscheinen. Die Zufahrt ist zugleich Sackgasse, es gibt also keinen Durchgangsverkehr. Der Hof ist umgeben von eigenen Wiesen und den begehrten Hopfengärten mit den charakteristischen hohen Stangen. Auf der kleinen Koppel grasen vier Pferde. Das sind hier die einzigen Tiere, die dem Vergnügen dienen.
Wobei die Sache mit dem Paradies relativ ist. „Mit Romantik hat unsere Arbeit nichts zu tun“, sagt Birgit Fricker. Auch sie stammt aus einer Landwirtschaft, ist zwischen Stall und Traktor großgeworden. Der Beruf füllt sie aus. Aber mit ländlicher Idylle ist hier wenig zu wollen. Zu groß ist der Konkurrenzdruck.
Wer steckt Schrauben in die Maiskolben?
Noch etwas fällt den Bauern seit einiger Zeit auf die Füße: der Druck der Öffentlichkeit, den sie verstärkt spüren. Die Familie berichtet von einzelnen Sabotageakten. Von Aktivisten, die Schrauben in die Maiskolben stecken, um die Erntemaschine zu stoppen. Von Obstdiebstahl im großen Stil. Die Kritik an der konventionellen Landwirtschaft bekommt auch Burnau zu spüren. Fragen nach dem Tierwohl werden laut.
Rein statistisch ergibt sich ein anderes Bild: Der Landwirt übt einen sehr angesehenen Beruf aus, findet eine breite Mehrheit. „Landwirte haben ein besseres Ansehen als Polizisten“, meldete das Fachblatt „agrarheute“ stolz (April 2019). Auch andere Umfragen zeigen: Die Ernährer der Nation rangieren oben in der Gruppe Arzt/Pflegekraft/Polizist. Die Maisverderber und Besserwisser bilden wohl eine Minderheit.

Bier wird immer getrunken
Der oberschwäbische Hof steht auf zwei Standbeinen: Einmal die Rindermast, dann der Hopfen als Spezial- und Sonderkultur, die gute Preise erzielt. „Bier trinken die Leut‘ immer,“ sagt der Bauer. Sein Vorfahr hat den Hopfenanbau im 19. Jahrhundert eingeführt, heißt es auf Burnau. Erst als Sonderling belächelt, fingen auch seine Kollegen bald mit dem Hochziehen der Bierwürze an. Heute gilt die Gegend um Tettnang als drittgrößtes Anbaugebiet in Deutschland.
Christiane hat sich längst entschieden. Sie wird sich zur Landwirtschaftsmeisterin fortbilden und eines Tages den Betrieb übernehmen. Das sagt sie so nebenbei, die Eltern nicken. Es ist längst abgemacht, weniger durch große Worte als durch die tägliche Arbeit. „Ich wollte das schon immer,“ sagt die 19-Jährige.
„Auch ein Mädle kann bauern,“ sagt die Großmutter
Kann eine Frau das? Diese Reporterfrage wäre in jeder anderen Branche inkorrekt. Doch hier und in Anbetracht der riesigen Geräte darf man das fragen. „Bisher habe ich alles hingekriegt“, sagt Christiane. Beim Lenken hilft die Servo-Unterstützung, überall hängen Werkzeuge. Ihre Großmutter Rita (90) weiß es: „Auch ein Mädchen kann bauern.“ Außerdem hat Christiane Kumpels – junge Mechanikermänner, die doch gerne vorbeikommen und helfen.

Bereits jetzt redet sie bei wichtigen Entscheidungen mit. Da gab es zum Beispiel die Weichenstellung: Soll man das Milchvieh aufgeben? Die Jungbäuerin war dafür, der Vater auch. Bei dieser Entscheidung gab der Milchpreis den Ausschlag. Beschämend, sagen alle drei, beschämend sei es, was der mündige Verbraucher für den Liter Milch zu zahlen bereits sei. Jetzt sind die Milchkühe fort und viel Arbeit auch.
Die Übergabe des Hofes ist oft schwierig
Die Übergabe eines Betriebes gilt als Kunststück. Fragen türmen sich auf wie Heuballen im August: Wann ist der richtige Zeitpunkt für einen Wechsel? Und lassen die Alten auch die Jungen gelten und das, was sie in der Schule an neuen Methoden gelernt haben? Es gibt genügend abschreckende Beispiele. Von Vätern, die ihre Söhne nicht respektieren. Oder umgekehrt.
Franz Fricker sucht einen elastischen Weg: Er gibt Burnau in jüngere Hände, wird aber weiterhin mitschaffen. Sein wettergegerbtes Gesicht zeigt an, dass er die Arbeit nicht scheut. Urlaub? Ein Fremdwort für ihn und seine Frau. In der Freizeit schwingen sie sich auf die Rösser und traben querfeldein. Das ist ihr Urlaub. Höhepunkt ist der Blutritt in Weingarten, daran hat der Bauer schon einige Male mit schwarzem Zylinder teilgenommen.
Wir haben inzwischen den ganzen Hof besichtigt. Die Hopfendörre mit der 30 Jahre alten Pflückmaschine, die Rinder, das Dutzend Hühner, den Fuhrpark. Jetzt sitzen wir in der guten Stube, holzgetäfert und mollig warm. In der geschnitzten Fassung der Lampe kann man lesen: „Wer sät wird ernten.“
Einmal Mittelmeer reicht ihr
Säen und Ernten passen nicht zu ausgedehnten Trips. Christianes Freunde sind bereits weit gereist. Sie teilen das mit, spektakuläre Bilder inklusive. Die 19-Jährige braucht das nicht. Sie vermisst nichts, weder Bali noch London noch St. Anton. Einmal fuhr sie mit ihrer Schwester ans Mittelmeer. Begeisterung löste das nicht aus. „Der Bodensee ist auch schön“, bemerkt sie. Fernweh verspürt sie nicht. Ihre Eltern schmunzeln, wenn sie das hören. „In unseren 37 Jahren haben wir noch nie Urlaub gemacht,“ sagt die Bäuerin. Auf dem Hof geht die Arbeit nicht aus.
Wenn Christiane den mittelgroßen Hof in einigen Jahren übernimmt, wird sie die einzige Betriebsführerin im weiten Umkreis sein. Die Eltern sind stolz, alles scheint geregelt. Deshalb konnten sie auch freundlich gemeinte Angebote ablehnen: Einige Nachbarn hätten bereits vorgesprochen, ob sie Felder pachten könnten, berichtet der Bauer. Dass die Tochter Haus und Hof übernimmt, wollten die Nachbarn kaum glauben. Und doch: Sie werden keinen einzigen Hektar erhalten. Die junge Chefin wird eines Tages selbst säen und ernten.