In einer Ecke auf einem Schreibtisch vor einem Covid-Isolierzimmer steht ein kleines künstliches Weihnachtsbäumchen mit ein paar roten Kugeln daran. Drinnen liegt ein regloser Mann, unter vielen Schläuchen kaum erkennbar. Auf dem Nachttisch neben dem Bett steht ein Bilderrahmen, daneben ein kleiner Schokoladenweihnachtsmann und ein Tütchen mit Keksen.

Es sind Lebensmittel, die er vorerst nicht wird zu sich nehmen können. Er ist intubiert – wer das ist, hat nur eine 50-prozentige Überlebenschance, zeigt die Erfahrung mit Covid-Patienten. Hier liegen Menschen, ganz alleine, kämpfen gegen den Tod. An Weihnachten ist nicht zu denken.

Im Klinikum Tuttlingen herrscht Besuchsverbot – zu groß ist die Gefahr, dass Menschen von außen das Virus ins Haus tragen. Zudem ...
Im Klinikum Tuttlingen herrscht Besuchsverbot – zu groß ist die Gefahr, dass Menschen von außen das Virus ins Haus tragen. Zudem gilt FFP2-Maskenpflicht. | Bild: Moll, Mirjam

Kritische Lage schon Anfang Dezember

Es ist Anfang Dezember. Die Intensivstation im Klinikum Tuttlingen hat zwölf Betten, alle sind belegt. Es gilt Besuchsverbot in der gesamten Klinik, schon jetzt. Etwas anderes lässt die aktuelle Lage nicht zu.

Weihnachten ist hier kein Grund zum Feiern. Die Feiertage sind wie jeder andere Tag auf der Intensivstation: Jeder Tag ist ein Arbeitstag, es muss genügend Personal da sein, um die Patienten zu versorgen. Eine Auszeit gibt es nicht.

Ein wenig Weihnachtsdeko gibt es im Aufenthaltsraum der Intensivpfleger, das ist alles, was die Pfleger von den Festtagen haben werden. Normalerweise findet hier wenigstens ein gemeinsames Essen statt. Nicht in diesem Jahr.

Zu wenige Betten, zu viele Patienten

Normalerweise können nur zehn Betten betrieben werden, es fehlt an Personal. Inzwischen wurden Pflegekräfte aus anderen Häusern abgezogen. Pflegeleiterin Ingeborg Christoph hat alle Hände voll zu tun, den Dienstplan zu füllen.

Ingeborg Christoph hat die Pflegeleitung auf der Intensivstation inne. Ihre größte Sorge ist es derzeit, den Dienstplan zu füllen.
Ingeborg Christoph hat die Pflegeleitung auf der Intensivstation inne. Ihre größte Sorge ist es derzeit, den Dienstplan zu füllen. | Bild: Moll, Mirjam

Das Stammpersonal reicht für den Normalbetrieb, aber nicht für die Covid-Patienten, die für die Pfleger deutlich mehr Arbeit bedeuten, erklärt die Leiterin der Intensivpflege. Sieben Pflegekräfte müssen derzeit in einer Schicht arbeiten, um die aufwendigere Versorgung der Covid-Patienten.

Was passiert, wenn der Alarm losgeht? Video: Moll, Mirjam

Ein Alarm am Computer an der Stationszentrale geht los. Die Sauerstoffsättigung bei einem der Patienten ist gesunken, erklärt der stellvertretende Pflegeleiter Jan Albrecht. Schnell die Schutzkleidung an, ins Zimmer eilen, dem Patienten zu helfen versuchen.

Auch andere Intensivpatienten müssen behandelt werden, Notfälle wie Herzinfarkte oder Hirnblutungen. Sie bleiben nicht aus, auch während Corona nicht, macht Albrecht deutlich. „Das vergessen die Menschen immer wieder, wenn sie sagen, es gebe ja gar nicht so viele Covid-Intensivpatienten.“

Pflegerin Larissa macht gerade eine Fortbildung zur Intensivpflegerin.
Pflegerin Larissa macht gerade eine Fortbildung zur Intensivpflegerin. | Bild: Moll, Mirjam

Dienst an Heiligabend

Bis zu den Feiertagen wird es nicht weniger werden, das wissen hier alle. An Weihnachten und Silvester muss jeder der Pfleger mindestens drei Feiertagsdienste übernehmen. Aber Pflegeleiterin Ingeborg Christoph weiß schon jetzt: „Jeder wird einen zusätzlichen Dienst übernehmen müssen.“

Auch Pfleger Albrecht rechnet damit, dass er an Weihnachten einspringen muss, planmäßig ist er für den Jahreswechsel eingeteilt. Für den 33-Jährigen ist seine Familie der große Rückhalt, der im Kraft gibt für die Dauerbelastung seit fast zwei Jahren: „Die Familie muss es mittragen, sonst geht es nicht“, sagt er.

Christoph wird auch mit anpacken. Die Familie muss warten. Sechs Covid-Patienten sind das Maximum, was die Klinik stemmen kann. So viele lagen bis zum Vortag schon auf der Station. Wenn es mehr werden, wird es zum Problem. Dass es mehr werden, damit rechnen hier alle.

Der Zusammenhalt im Team sei gut, niemand sei abgesprungen wegen der Pandemie. „Aber die Resignation nimmt zu“, sagt Christoph gerade heraus. Auch bei ihr.

Belastung für die Psyche

Von der körperlich anstrengenden Arbeit spricht hier niemand. Das sei nicht das Thema. „Unsere Pfleger sind inzwischen einfach psychisch erschöpft“, macht Christoph klar. In der ersten Welle überwog die Motivation, war größer als die Angst vor diesem neuen Virus. Irgendwie den Menschen helfen, lernen, wie man das Virus besiegen kann.

Nach den ersten drei Wellen wissen sie, was kommt. Dass es wieder mehr Patienten werden. Und dass es nicht alle schaffen werden. Mit dem Unterschied, dass es nun eine Impfung gibt – und dass die meisten schweren Fälle nicht mehr auf den Intensivstationen landen müssten.

Ein Covid-Patient an der Beatmungsmaschine – die Überlebenschancen sinken, wenn ein Patient intubiert werden muss, erheblich.
Ein Covid-Patient an der Beatmungsmaschine – die Überlebenschancen sinken, wenn ein Patient intubiert werden muss, erheblich. | Bild: Moll, Mirjam

Ingeborg Christoph kann bei der Arbeit mit Ungeimpften besser umgehen als außerhalb. Im Job gehört es dazu, auch sie zu behandeln. Aber privat will sie die Argumente von Impfverweigerern nicht hören.

„Da gibt es Leute, die von ihrer persönlichen Freiheit reden“, sagt sie. „Aber was ist mit der Freiheit von Tumorpatienten, deren OP abgesagt wird“, fragt sie. „Was ist mit der Freiheit der Pfleger und Ärzte, die zusätzliche Dienste schieben müssen? Was mit der Freiheit der Menschen, die sich infiziert haben, weil andere, die sich impfen lassen können, es nicht getan haben?“ Es sind rhetorische Fragen für Christoph. Sie findet, dass die eigene Freiheit dort aufhören muss, wo sie jene der anderen beschränkt.

Wie im vergangenen Winter

Stattdessen ist die Realität eine grausame Wiederholung des vergangenen Winters. Die Intensivstationen mancher Krankenhäuser im Südwesten sind schon Anfang Dezember überlastet, Patienten müssen ausgeflogen werden.

Monika H. arbeitet schon seit 1983 im Krankenhaus. Sie hat viel gesehen in fast drei Jahrzehnten. „Aber Corona überschreitet alles.“ Sie selbst hat es im vergangenen Winter erwischt. „Ich konnte mich zu Hause auskurieren“, erzählt sie. Ein vergleichsweise milder Verlauf, aber keinesfalls symptomfrei, erinnert sie sich. Für die Schichten um Weihnachten und Silvester fiel sie damit aus. Das fürchten hier alle auch in diesem Jahr.

Pflegerin Monika hat sich ihre positive Art bewahrt – trotz Corona.
Pflegerin Monika hat sich ihre positive Art bewahrt – trotz Corona. | Bild: Moll, Mirjam

Monika H. hat an Weihnachten frei, dafür übernimmt sie die Dienste um den Jahreswechsel. Wenn niemand ausfällt. „Ich hoffe, dass alle gesund bleiben, sonst kommen Doppelschichten auf uns zu“, sagt Monika H.. Das Telefon klingelt, Monika eilt zum Apparat. Viel Zeit zum Reden hat hier niemand. Pfleger eilen über den Flur, wenn wieder einer der Alarme auf dem Überwachungsmonitor losgeht.

In einer etwas ruhigeren Minute trägt Pflegerin Heidrun Füsselin die Werte eines Covid-Patienten in eine große Krankenakte ein. Die Pfleger, die die Patienten drinnen behandeln, schreiben alles auf und kleben die Zettel dann von innen gegen die Scheibe, so dass draußen alles abgelesen werden kann. Not macht erfinderisch.

Pflegerin Heidrun arbeitet eigentlich in Spaichingen. Während der zweiten und dritten Welle half sie aber bereits auf der ...
Pflegerin Heidrun arbeitet eigentlich in Spaichingen. Während der zweiten und dritten Welle half sie aber bereits auf der Intensivstation in Tuttlingen aus, wie nun auch bei der vierten Welle. Sie schafft ihre Arbeit wegen des Teams, sagt sie. | Bild: Moll, Mirjam

Die 57-Jährige arbeitet eigentlich in Spaichingen, half aber schon in den vorherigen Wellen aus. Gelernte Intensivpflegerin ist sie nicht: Sie gehört zu jenen, die aus anderen Abteilungen hinzugezogen werden mussten, um die zusätzliche Arbeit auf den Intensivstationen überhaupt stemmen zu können. Füsselin hilft gerne hier, sagt sie. „Ich bin froh, dass ich unterstützen kann.“

Eine solch hohe Arbeitsmoral in der vierten Welle? „Das Team hilft mir sehr und motiviert mich“, sagt die erfahrene Pflegerin. „Corona ist schlimm, das kann sich niemand vorstellen, der hier nicht arbeitet“, macht sie dennoch klar. Die kleinen Erfolge sind es, die sie auch jetzt noch motivieren: wenn sie Patienten, die überleben, nach und nach auf dem mühsamen Weg der Heilung begleiten kann und sie langsam wieder selbstständiger werden. Ihre positive Art ist es, die sie trägt in dieser Situation.

„Wenn ich ehrlich bin: Es nervt.“
Larissa Mattes, Pflegerin auf der Intensivstation, über die sich wiederholenden Wellen mit immer mehr Covid-Patienten

Die 23-jährige Pflegerin Larissa Mattes sieht das ein wenig anders. „Wenn ich ehrlich bin, nervt es“, sagt sie ganz offen – und meint, dass es immer noch so viele Menschen gibt, die sich nicht impfen lassen. Natürlich wird jeder Patient gleich behandelt. „Aber ich wünsche mir einfach, dass es nicht immer von Neuem losgeht“, sagt die junge Frau, die im kommenden Jahr ihre Weiterbildung zur Intensiv- und Anästhesiefachpflegerin beginnen will.

An Weihnachten muss sie arbeiten, wie schon letztes Jahr. Damals musste sie zusätzlich an Silvester einspringen, weil das Personal nicht ausreichte. An den Weihnachtsfeiertagen würde sie gerne mit Freunden ausgehen, erzählt sie. Aber sie hat Spätdienst auf der Intensivstation. Feiern fällt aus.