Er muss es wissen: Martin Ackermann ist Präsident der wissenschaftlichen Covid-Task-Force in der Schweiz. Er gab zuletzt positive Nachrichten bekannt. Die sogenannte Reproduktionszahl, die angibt, wie viele mit Corona infizierte weitere Menschen anstecken, ist in den vergangenen 14 Tagen demnach gesunken.

Lag sie noch Mitte des Monats bei 0,9 – damit steckten 100 Infizierte im Durchschnitt etwa 90 weitere an – so sei sie nun auf 0,78 gesunken. Der Sprung mag gering wirken, erklärt der Experte, bedeute aber, dass sich die Fallzahlen etwa alle zwei Wochen halbiere, wenn der Trend sich so fortsetze. In Deutschland liegt der R-Wert derzeit deutlich höher, etwa bei 1,0. Hat die Schweiz also mehr Erfolg, trotz im Vergleich zu seinen Nachbarländern weniger strengen Regeln?

Kantone mit schärferen Regeln stehen besser da

Discos und Nachtclubs sind zwar geschlossen, aber Restaurants, Bars und Freizeiteinrichtungen durften bislang unter Auflagen offen bleiben. Allerdings: Inzwischen haben einige Kantone selbst nachgeschärft, vor allem in der Westschweiz. Und genau dort sind die Reproduktionszahlen zuletzt am stärksten gesunken, bestätigt Ackermann.

Martin Ackermann, Leiter der wissenschaftlichen Task Force des Schweizer Bundes, spricht während einer Pressekonferenz zur aktuellen ...
Martin Ackermann, Leiter der wissenschaftlichen Task Force des Schweizer Bundes, spricht während einer Pressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage in Bern. | Bild: Peter Klaunzer/Keystone/dpa

Vorreiter waren die beiden Kantone Jura und Genf, die bereits Anfang November Restaurants, Bars und öffentliche Einrichtungen schließen ließen. Wenige Tage später folgten die Kantone Wallis, Neuenburg, Freiburg und Waadt: Auch dort sind seit dem 4. November Restaurants und Bars sowie viele öffentliche Einrichtungen geschlossen.

Zuletzt entschied sich auch der Kanton Basel-Stadt zu schärferen Maßnahmen: Restaurants und Bars dürfen auch hier nicht mehr öffnen.

Der stärkste Rückgang wird laut Ackermann in den Kantonen der Westschweiz verzeichnet. Noch Ende Oktober waren dort die bestätigen Fälle von Neuinfektionen pro Tag schweizweit am höchsten. Nach der Einführung der zusätzlichen Maßnahmen in diesen Regionen „sehen wir jetzt den stärksten Rückgang der Fallzahlen“, so Ackermann. In anderen Kantonen sind die Zahlen dagegen mindestens gleich geblieben oder sogar leicht gestiegen.

Das könnte Sie auch interessieren

Nach Daten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden in der Schweiz in den vergangenen sieben Tagen mehr als 30.200 Neuinfektionen gemeldet. Daraus ergibt sich eine Sieben-Tage-Inzidenz von 350,98, Tendenz zuletzt sinkend. Zum Vergleich: In Deutschland, wo seit Anfang November strenge Maßnahmen gelten, liegt der Inzidenzwert nach Daten des Robert-Koch-Instituts bei 139,6. Er ist seit Wochen recht konstant.

Während die Sieben-Tage-Inzidenz in den Kantonen, die verschärfte Maßnahmen ergriffen haben, stark zurückgingen – so verzeichnet etwa Waadt einen Rückgang von 43 Prozent, liegen grenznahe Kantone, die keine verschärften Maßnahmen ergriffen haben, in der Sieben-Tage-Inzidenz in der Tendenz jedoch deutlich schlechter. So ist die Zahl in Schaffhausen um sechs Prozent gestiegen, in Aargau um neun Prozent. In anderen Kantonen ist sie nur leicht gefallen, wie etwa im Kanton Thurgau mit drei Prozent.

Der Preis: Viele Todesfälle

Gleichzeitig bleiben die Todesfälle in der Schweiz auf einem sehr hohen Niveau. In den vergangenen sieben Tagen starben 627 Menschen an Covid-19. Zum Vergleich: In Deutschland wurden in der vergangenen Woche 1565 Corona-Todesfälle vom RKI gezählt. Allerdings leben in Deutschland fast zehn Mal so viele Einwohner als in der Schweiz. Das Schweizer Bundesamt für Statistik weist in den vergangenen Wochen eine starke Übersterblichkeit aus.

Ein Sprecher des Bundesgesundheitsamts sagt dem SÜDKURIER: „Während die Zahl der Neuansteckungen sinkt, werden die Todesfälle diesem Trend nur mit Verzögerung folgen.“ Grund dafür sind die hohen Infektionszahlen bei älteren Menschen, die häufiger einen schweren Krankheitsverlauf haben und häufiger daran sterben.

Keine verschärften Maßnahmen auf Bundesebene angedacht

Dennoch sieht man auf Bundesebene bislang keinen Handlungsbedarf: Im Moment seien seitens des Bundes keine weiteren Maßnahmen vorgesehen, heißt es auf Anfrage des SÜDKURIER seitens des Bundesgesundheitsamts.

Dabei gab es bis zuletzt erhebliche Probleme bei der Kontaktverfolgung. Seit Tagen zeigt die offizielle Informationsseite des Bundesgesundheitsamts zu den aktuellen Infektionszahlen Warnhinweise: „Die kantonalen Stellen sind durch den starken Anstieg der Fallzahlen überlastet. Deshalb sind die Zahlen zum Contact Tracing nicht vollständig“, heißt es dort.

Das könnte Sie auch interessieren

Demnach sind auch die Zahlen zu den Hospitalisierungen aufgrund von Meldelücken und Meldeverzug „mit Vorsicht zu interpretieren“. Täglich meldet das Bundesgesundheitsamt Infektionszahlen von den Vortagen nach, die nicht erfasst worden sind. 

Kontaktverfolgung zwischenzeitlich am Limit

Rudolf Hauri, Kantonsarzt in Zug und Präsident der Vereinigung Kantonärztinnen und Kantonsärzte der Schweiz (VKS), sagt, für die Kontaktverfolgung spielten „weniger die absoluten Zahlen der Infektionen eine Rolle, sondern viel mehr die Geschwindigkeit des Anstiegs. Zuletzt sei die „Virusaktivität in wenigen Kantonen angestiegen, in den meisten Kantonen zurückgegangen oder stagniert auf relativ hohem Niveau“, erklärt Hauri. Das Contact Tracing liefe nun wieder besser.

Bundesgesundheitsamt verweist auf sinkende Zahlen

Daniel Dauwalder, Sprecher beim Bundesgesundheitsamt, sagt dem SÜDKURIER auf Anfrage: „Die Zahl der positiv getesteten Personen ist am Sinken, auch sind die Intensivstationen bisher nicht an ihre Grenzen gekommen.“ Das klingt nach einer guten Bilanz.

Doch Kantonsarzt Hauri sagt, die Testkapazitäten würden zu wenig genutzt. Die immer noch hohe Rate von positiven Tests weise darauf hin, dass es nach wie vor eine große Zahl an nicht erfassten Fällen gebe, betont Hauri. 21,7 Prozent der PCR-Tests in der Schweiz waren zuletzt positiv, in Deutschland sind es derzeit rund neun Prozent.

Ansteckungsherd Mittagspause

Hinweise für Ansteckungsherde nennt das Bundesgesundheitsamt auf Nachfrage nicht: „In der aktuellen Situation finden Ansteckungen überall statt und es können keine eigentlichen Schwerpunkte ausgemacht werden.“

Anders sieht das Kantonsarzt Hauri. Er sagt, zuletzt hätten sich verstärkt etwa Handwerker in den Pausen angesteckt, wo Abstände nicht mehr eingehalten und der Mundschutz, etwa zum gemeinsamen Essen, abgenommen würden. Er mahnte, die Schweizer müssten wieder sensibilisiert werden für die strikte Einhaltung der Regeln.