Der Grenzverkehr läuft bislang ungehindert, auch für Einkaufstouristen aus der Schweiz. Wer nicht länger als 24 Stunden nach Baden-Württemberg aus einer Schweizer Grenzregion einreist, darf ohne Quarantänepflicht direkt zum Supermarkt. Dennoch scheinen weniger Schweizer zum Einkaufen nach Deutschland zu kommen. Woran liegt das?
Mark Eferl, Sprecher des Hauptzollamts Singen, das für den Bereich von Konstanz bis Bad Säckingen zuständig ist, bestätigt den Eindruck: Seit Mitte Oktober seien deutlich weniger Ausfuhrscheine zu bearbeiten, im November sei der Rückgang spürbar, sagt er dem SÜDKURIER.
„Das sieht man auch am Verkehrsaufkommen“, ergänzt Eferl, das ebenfalls stark abgenommen habe. Genaue Zahlen gibt es nicht, der Zoll erhebt keine monatlichen Statistiken, es gibt lediglich eine Jahresbilanz.

Matthias Fengler ist Professor für Ökonometrie an der Universität St. Gallen. Der Experte kann mit genauen Zahlen belegen, dass die Schweizer derzeit nicht mehr so häufig zum Einkaufen nach Deutschland kommen. Und er weiß, warum das so ist.
Er hat die EC-Karten-Umsätze der Schweizer in Deutschland analysiert, die Daten wurden ihm für seine Forschung komplett anonymisiert zur Verfügung gestellt. Er hat sie sortiert, nach verschiedenen Händlertypen, Kantonen und grenzüberschreitenden Transaktionen.
Umsatz in der Grenzregion bricht um fast ein Drittel ein
Seinen Analysen nach ist der Umsatz innerhalb von drei Wochen um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eingebrochen. Demnach haben die Schweizer noch in der Kalenderwoche 42 25 Millionen Franken in Deutschland ausgegeben. Mitte Oktober brach dieser Wert ein, in Woche 45 waren es nur noch zwölf Millionen Franken.
Der Einschnitt kommt offenbar nicht zufällig: Seit dem 19. Oktober gelten in der Schweiz schärfere Regeln, die dringende Empfehlung zum Homeoffice und Kontaktvermeidung. Am 23. Oktober setzte Deutschland die ganze Schweiz auf die Risikoliste.
Fengler beobachet die Entwicklung schon länger. So lässt sich der erste Lockdown anhand der EC-Karten-Ausgaben genau erkennen: Im Frühjahr gehen die Ausgaben fast auf Null zurück.
Unmittelbar nach der Aufhebung der strengen Einreisebestimmungen sind die Ausgaben der Schweizer in Deutschland direkt wieder gestiegen und verliefen relativ synchron mit dem Vorjahr, erklärt der Experte: „Mit den Maßnahmen vom 19. Oktober sind sie dann wieder sukzessive zurückgegangen.“

Die Zahlen sprechen für sich: Seit dem 19. Oktober sind die Schweizer Ausgaben in deutschen Supermärkten um 13 Prozent zurückgegangen, im Einzelhandel um 34 Prozent.
Der Wirtschaftsexperte vermutet, dass viele Schweizer unsicher seien, ob sie überhaupt nach Deutschland kommen dürfen. Hinzu komme, dass „sich innerhalb der Schweiz der Konsum von der Stadt weg hin zu den Wohnorten auf dem Land verlagert hat“. Viele Bürger nähmen die Homeoffice-Empfehlung und Kontaktvermeidung offensichtlich ernst und hielten sich vielleicht auch deshalb mit Einkäufen im Nachbarland zurück.
Auch bei den Freizeitaktivitäten hielten sich die Schweizer demnach zurück, damit verbunden sein könnten auch weniger Reisen in die Grenzregionen des Nachbarlands.
Die Entwicklung sieht auch die Industrie- und Handelskammer Hochrhein-Bodensee. Hauptgeschäftsführer Claudius Marx glaubt, dass schon allein die Einschränkung, wonach nur Schweizer aus den Grenzregionen ohne Quarantänepflicht einreisen dürften, bereits „ein Dämpfer“ sei. Erschwerend komme der deutsche Teil-Lockdown hinzu.
„Faktisch wie eine Grenzschließung“
Während der Einzelhandel unter strengen Regeln zwar offen bleiben darf, bliebe die Gastronomie geschlossen. „Die Folge: Die Innenstädte sind weniger attraktiv und die Geschäfte leeren sich wieder.“ Marx glaubt auch, dass die „die vielen Regeln als solche Menschen davon“ abhielten, sich zu bewegen: „Eine hohe Regelungsdichte und -komplexität kann faktisch wie eine Grenzschließung wirken.“

Für die Kleinunternehmen und Einzelhändler sieht Marx schwarz: „Der erste Lockdown im Frühjahr und die erste Grenzschließung haben beim stationären Einzelhandel bereits einen enormen, nachwirkenden Schaden hinterlassen. Erst mit dem Ende der Einreisebeschränkungen habe sich die Branche erholt: „Die Schweizer waren zurück und die Händler vermeldeten vielfach Umsätze wie vor Beginn der Pandemie.“
Wie wichtig die Schweizer für den Einzelhandel ist, wird aus den Zahlen von 2019 deutlich: Damals gaben die Schweizer 1,5 Milliarden Euro in Deutschland aus. In den Kreisen Konstanz, Waldshut und Lörrach machten die Schweizer Käufe ein Drittel der Einnahmen aus.
Mehr als ein Fünftel des Jahresgeschäfts steht auf der Kippe
Stattdessen müssen die Händler nun erneut bangen. Erste Rückmeldungen an den IHK klingen nicht gut: „Der Umsatz ist seit vergangener Woche um 50 bis 70 Prozent eingebrochen“, meldeten Einzelhändler aus der Region der IHK. Nun fürchteten die Händler um ihr Weihnachtsgeschäft. Massive Umsatzeinbrüche drohten, wenn über die inländischen Restriktionen hinaus auch die Schweizer Kundschaft erneut dauerhaft ausbliebe.
Das Weihnachtsgeschäft macht nach Angaben der IHK etwa 20 Prozent des Jahresumsatzes aus, in einzelnen Branchen wie Spielsachen, Bücher, Uhren oder Schmuck liegt es demnach noch deutlich höher.