Früher war nicht alles besser, aber es hatte mehr Charme und war geselliger als heute: Auf diesen Nenner kann man den Vergleich des Weinbaus und der Weinlese der 90er mit der Arbeit in heutiger Zeit bringen. Für Mathias Dilger vom gleichnamigen Weingut in Bermatingen bedeuteten die 90er auch Umbruch: Als er die Verantwortung für das Weingut übernahm, begann er den Wein selbst auszubauen. Vater Konrad hatte bis dahin die Trauben zur Weiterverarbeitung verkauft.

Vor 30 Jahren packten viele aus dem Dorf mit an

Bei der Lese blieb zunächst noch alles beim Alten: 15 bis 18 Leute, alle aus dem Dorf, packten mit an, Maschinen waren keine im Einsatz. Handlese mit erfahrenen Kräften. Sie genossen die Arbeit am Hang und schätzten das gesellige Miteinander abends.

„Das war damals wie in einer Großfamilie“, sagt Winzermeister Mathias Dilger.
„Das war damals wie in einer Großfamilie“, sagt Winzermeister Mathias Dilger. | Bild: Christiane Keutner

Das Wort Feierabend verdiente seinen Namen: Der Abend wurde gefeiert. „Das war wie in einer Großfamilie und das Gesellschaftliche war wichtig“, sagt Mathias Dilger, und sein Vater fügt hinzu: „Abends wurde halt noch gemütlich ein Viertele getrunken.“ Neben den Onkels Konrad und Meinrad und den Kindern, die sich bei der Lese um die kleinen Butten stritten, die sie unbedingt tragen wollten, hatten überwiegend Frauen geholfen, viele aus anderen landwirtschaftlichen Betrieben in Bermatingen. Unter ihnen Familie Barisch. „Gerhard Barisch, ehemaliger Rektor des Gymnasiums am BZM, hat immer gesagt, das sei für ihn Entspannung im Kopf“, berichtet Dilger.

Spontaner Gast bei der Einweihung der Kellerei in den 90ern war der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel (Mitte, im blauen Hemd) ...
Spontaner Gast bei der Einweihung der Kellerei in den 90ern war der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel (Mitte, im blauen Hemd) nebst Frau Edeltraud. Rechts neben ihm Alois Gohm, damals Bermatingens Bürgermeister, links Konrad Dilger. | Bild: Archiv Dilger
Heute stehen moderne Maschinen in der Kellerei. Beim Torkelfest erklärt Mathias Dilger (rechts) den Weg von den Trauben in die Flasche. ...
Heute stehen moderne Maschinen in der Kellerei. Beim Torkelfest erklärt Mathias Dilger (rechts) den Weg von den Trauben in die Flasche. Sohn Benjamin (oben rechts) hört interessiert zu. | Bild: Christiane Keutner

Oma Ida hatte Berge Kartoffelsalat und Vesper aufgetischt, Kuchen und Dinnele gebacken und Glühwein ausgeteilt. Ja, richtig, Glühwein: Denn die Lese mit Pudelmütze, Strickpulli und dicken Handschuhen beim Wimmeln im November hat sich aufgrund des Klimawandels stetig nach vorne geschoben. Mittlerweile findet die Lese schon im September statt.

Die Verkostung des ersten selbst ausgebauten Weins Anfang der 90er durch Mathias (links) und Konrad Dilger wurde dokumentiert.
Die Verkostung des ersten selbst ausgebauten Weins Anfang der 90er durch Mathias (links) und Konrad Dilger wurde dokumentiert. | Bild: Archiv Dilger

Heute fährt der Vollernter durch die Reben

Heutzutage erledigt ein Vollernter den Großteil der Lese. Dessen Einsatz ist notwendig: „Erstens fehlt es an Mitarbeitern, wie überall, zweitens konnte man den Mindestlohn nicht über das Produkt ausgleichen. Drittens geht die Lese frühmorgens vonstatten, was auch der Qualität zugute kommt, denn am kühlen Morgen werden die Aromen in den Trauben besser gebunden und die Kühltechnik wird weniger gebraucht. Früher begann man oft um 9 oder 10 Uhr, da ist die Lese heutzutage schon bald abgeschlossen“, sagt der Winzer und Kellermeister. Er ist jedoch sehr froh, dass er wenigstens noch eine Handvoll Helfer hat.

Der Torkel der Gemeinde fand nach einem Abstecher auf der Haltnau wieder nach Bermatingen zurück und wurde Anfang der 90er aufgestellt. ...
Der Torkel der Gemeinde fand nach einem Abstecher auf der Haltnau wieder nach Bermatingen zurück und wurde Anfang der 90er aufgestellt. Auf dem Weingut Dilger fand er einen Platz, der auch öffentlich zugänglich ist. | Bild: Archiv Dilger

Apropos Qualität: Geschmack und Anspruch haben sich seit den 90ern ebenfalls stark geändert: „Die Qualität ist immer besser geworden, da profitieren wir vom Klimawandel.“ Noch: Wenn es weiterhin wärmer werde, dann fürchtet Dilger Trockenschäden. War ehemals der süße Ruländer sehr begehrt, sind heute Bacchus, Müller-Thurgau und Weißherbst nachgefragt. Hatte man früher viel länger und tiefer ins Glas geschaut, hat sich das Trinkverhalten eher gemäßigt.

Torkelfest 2022: Jährlich lädt inzwischen der Musikverein zum Torkelfest auf den Hof des Weinguts Dilger ein.
Torkelfest 2022: Jährlich lädt inzwischen der Musikverein zum Torkelfest auf den Hof des Weinguts Dilger ein. | Bild: Christiane Keutner

Und noch eine Änderung: „Früher bevorzugten die Kunden einen niedrigen Preis und viele geistvolle Prozente sowie Menge, heute tritt der Preis etwas in den Hintergrund, wertige Tropfen sind erwünscht, mit leichter Fruchtigkeit im Vordergrund sowie bekömmliche und nicht so saure Weine.“

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