Waren wir mit der Trassenplanung in der Vergangenheit nicht schon einmal fast so weit wie heute?
Die Planungshistorie zur B 31-neu im nördlichen Bodenseeraum reicht bis zum Ende der 80er Jahre zurück. Die konzeptionelle Phase für den Abschnitt Meersburg/West bis Immenstaad dauerte laut Regierungspräsidium Tübingen zunächst von 1989 bis 1995. In einem Arbeitskreis erarbeiteten Behörden, Kommunen, Verbände und Bürgerinitiativen 15 Trassenvarianten. Die sieben seefernen und acht seenahen Varianten wurden überprüft und vier Planungsfälle/Varianten gingen ins Raumordnungsverfahren (1999 bis 2001).

Was war das Ergebnis?
Die vier verbliebenen Varianten wurden weiter untersucht, das waren die seeferne Variante 2a sowie die seenahen Varianten 0.1 (Ausbau), 7.5 und 9.3. Die Variante 2a stimmte nach Angaben des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg mit den Erfordernissen der Raumordnung nicht überein. Die Variante 7.5 galt als die günstigste und konfliktärmste Lösung. Es schloss sich das Linienbestimmungsverfahren bis 2006 an. Mit der „Optimierung der Variante 7.5 bei Uhldingen-Mühhofen„ wurde laut Ministerium daraus die Variante 7.5 W2. Diese Linie wurde vom Bundesministerium für Verkehr im Jahr 2006 bestimmt und diente als Grundlage für den Weiterbau der B 31-neu zwischen Meersburg-West und Immenstaad.
Warum wurde das Projekt gestoppt?
2006 wurde das Projekt vorerst auf Eis gelegt. „Aufgrund zahlreicher Projekte war die Kapazität der Planer damals erschöpft“, sagte Projektleiter Matthias Kühnel vom Regierungspräsidium Tübingen im Sommer 2018. Daher seien zunächst Projekte umgesetzt worden, die im Planungsprozess weiter fortgeschritten waren. 2014/2015 sei der Anschub zur Fortsetzung des Verfahrens aus der Region gekommen und im Regierungspräsidium ein Planungsteam ganz neu aufgebaut worden. Verkehrs- und Umweltgutachten mussten nach der fast zehnjährigen Pause erarbeitet und die Grundlagen an die heutige Gesetzgebung angepasst werden.
Worum geht es derzeit bei der Planung?
Seenah oder im Hinterland? Diese „Knackpunkte“ der zur Auswahl stehenden Trassenkorridore beschäftigen derzeit in der Region besonders viele Menschen. Drei- oder vierspuriger Ausbau? Bei dieser Frage geht es zum einen um den Flächenverbrauch bei einem Neu- oder Ausbau der B 31, zum anderen um die zu erwartenden Verkehrszahlen in den nächsten Jahren. Laut RP, das einen vierspurigen Ausbau empfiehlt, wird bis 2035 beispielsweise zwischen Meersburg und Stetten mit einem täglichen Verkehrsaufkommen von bis zu 33 600 Fahrzeugen gerechnet. Die Richtlinien für die Anlage von Straßen sehen hier vier Fahrspuren vor – mit Seitenstreifen und Mittelstreifen.
Welche Trassen stehen zur Auswahl?
Von ursprünglich 22 möglichen Trassenverläufen, die von Verkehrsinitiativen, Einzelpersonen und Verbänden beim Regierungspräsidium eingereicht wurden, blieb im Dezember 2018 ein Variantenbündel für den Weiterbau der Bundesstraße 31 zwischen Meersburg und Immenstaad übrig. Die möglichen Trassen standen damit in drei Korridoren zur Auswahl: als Ausbauvariante (A) auf der bestehenden Strecke sowie südlich (B) und nördlich (C) des Weingartenwaldes. Im Frühjahr 2019 kamen dann noch die Kombitrassen A-B1 und A-B2 hinzu. Diese sehen unter anderem eine Umfahrung Hagnaus vor.
Wie wurden die Trassen eingegrenzt?
Eine Raumanalyse hatte gezeigt, dass es viele Bereiche gibt, bei denen Nutzungskonflikte, insbesondere auch rechtliche Probleme zu erwarten sind. Das betraf in erster Linie den Naturschutz. So wurden und werden die übrig gebliebenen Trassenverläufe genauer ausgearbeitet, um verlässliche Informationen zu bekommen. Es werden Verkehrsgutachten erstellt, um Lärm- und Schadstoffbelastung zu berechnen, auch die möglichen Tunnel- und Lärmschutzwände werden berechnet. Am Ende des Prozesses soll es laut den Planern eine Übersicht geben, auf der die Vor- und Nachteile für jede Trassenvariante ersichtlich sind.
Die Trassen wurden zuletzt teils auffällig verändert – zum Beispiel die C 1.1. Darf sie trotzdem noch so heißen?
Ja, das darf sie. Denn die Experten planen in den Korridoren A (Ausbau), B (Mitte) und C (Hinterland). Umweltgutachter Burchard Stocks, in einem Büro für Umweltsicherung- und Infrastrukturplanung tätig, sagte, auch wenn eine Trasse um 100 oder 200 Meter verschoben werde, trage sie immer noch denselben Namen. Die Varianten seien lediglich konkretisiert worden, sagte Stocks. Die Wertung der Varianten ist noch nicht abgeschlossen. Im November soll es mit dem Dialog weitergehen.
Wäre eine Dreispurigkeit hinsichtlich des Flächenverbrauchs und weiterer Belastungen nicht besser?
Claus Kiehner von der Modus Consult GmbH erklärte: Den Prüfungsauftrag vom Verkehrsministerium nehme man sehr ernst. Aber: Mit der neuen Straße sollen unter anderem Kapazitätsengpässe gelöst und die Ortsdurchfahrten entlastet werden. „Was bedeutet es für diese Raumschaft, wenn wir weniger Querschnitt anbieten“, so Kiehner. Er ist überzeugt davon, dass sich die Dreispurigkeit nur umsetzen lässt, wenn Teile der Ziele der B-31-neu-Planung „über Bord geworfen“ werden. Umweltgutachter Burchard Stocks fügte hinzu, dass eine Dreispurigkeit auf Kosten der nächstgelegenen Achse gehe. Im Fall der B 31-neu wäre das die B 31-alt, was nach Ansicht der Planer zum Beispiel wieder mehr Belastung in die Ortsdurchfahrten brächte. Stocks sagte: „Wir müssen die ganze Bandbreite an möglichen Folgen betrachten und nicht nur einen Fakt rausgreifen.“
Lässt sich eine vierspurige Straße ohne Mittel- und Seitenstreifen verwirklichen?
Hans-Jochen Münnich von Klinger und Partner, Ingenieurbüro für Bauwesen und Umwelttechnik, das für das Lärmgutachten zuständig ist, antwortete darauf: „Ein vierspuriger Querschnitt ohne Mittel- und Seitenstreifen ist in keiner Richtlinie und nicht zulässig. Vor allem bei den Verkehrsmengen.“ Je nach Prognose und Trassenvariante wird mit einem Verkehrsaufkommen von 25 200 bis 29 800 Fahrzeugen mit einem Schwerlastverkehranteil zwischen 15 und 26 Prozent gerechnet.

Kann eine vierspurige B 31 nicht nachträglich zur Autobahn werden?
„Das habe ich noch nie erlebt“, sagte Verkehrsexperte Münnich.
Zum Beispiel für Fledermäuse sind verschiedene Maßnahmen geplant, während hinsichtlich teurer Lärmschutzmaßnahmen abgewogen wird. Ist der Mensch in der Planung überhaupt von Bedeutung?
Ja, sagte Umweltgutachter Burchard Stocks. Aber: „Der Mensch lebt ja nicht nur in seinem Haus, sondern auch drumherum.“ Daher profitiere er auch von Landschaftskriterien, wenn Zerschneidung und bauliche Überformung vermieden werden. Oder wenn darauf geachtet wird, die Schadstoffbelastung so gering wie möglich zu halten. Als weiteres Beispiel nannte Stocks den Erhalt von Erholungsbereichen wie dem Waldgebiet Speckholz. Dieses sei für die Immenstaader wichtig. „Der Mensch kommt also auch bei den weichen Faktoren in mannigfacher Weise zur Geltung“, sagte Stocks.
Welche sind die nächsten Schritte?
Matthias Kühnel, Projektleiter beim Regierungspräsidium, erklärte den weiteren Ablauf: „Einige fachlichen Disziplinen sind noch nicht ganz auf der Zielgeraden.“ Bis Ende des Jahres soll aber eine Vorzugsvariante beziehungsweise konfliktarme Trasse herausgearbeitet sein. Die Vorzugsvariante und die Rangfolge der geprüften Trassen werden beim Verkehrsministerium Baden-Württemberg vorgestellt und dann an das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur übermittelt. „Wir werden unsere Kenntnisse vorlegen“, so Kühnel.

Den Ministerien ist es vorbehalten, die Ergebnisse zu überprüfen und eigene Untersuchungen anzustellen. Gibt es eine Entscheidung, wird diese zunächst an die Kommunal- und Gebietskörperschaften, dann an die beteiligten (politischen) Gremien und schließlich bei einer Informationsveranstaltung wie in Immenstaad an die Bürger weitergegeben. Umweltgutachter Burchard Stocks fügte noch hinzu: „Sobald sich das Verkehrsministerium entscheidet, dass die Öffentlichkeit informiert werden kann, werden alle Unterlagen auch Ihnen zur Verfügung gestellt.“ In diesen sollen die Vor- und Nachteile jeder Trasse nachzulesen sein.
Wer redet alles mit?
Das Dialogforum hat im Sommer 2016 seine Arbeit aufgenommen. Seit drei Jahren wird in diesem Gremium diskutiert und immer wieder auch gestritten. Neben Vertretern von Verkehrsinitiativen, Verbänden und Vereinen sind 16 zufällig ausgewählt Bürger aus sieben Gemeinden dabei, um die Planung zum Aus- und Neubau der B 31 zwischen Meersburg und Immenstaad zu begleiten. In den Prozess sind neben dem Dialogforum auch Facharbeitskreise und ein politischer Begleitkreis eingebunden.
Wer entscheidet am Ende?
Die Entscheidung, dass eine B-31-Trasse gebaut wird, ist getroffen. Die Entscheidung, wo gebaut wird, ist nach Angaben der Verantwortlichen – in Grenzen – offen. Zum Schluss entscheidet aber der Vorhabenträger – also der Bund.
Darf der Bund eine andere Wahl treffen als das Regierungspräsidium in Zusammenarbeit mit den externen Fachbüros oder kann gar Parteipolitik entscheidend sein?
„Schlussendlich ist es so, dass der Bund die Straße finanzieren muss. Er behält sich vor, weitere Untersuchungen zu machen und eine andere Entscheidung als wir zu treffen“, erläuterte Kühnel.
Sind die vom Regierungspräsidium beauftragten Gutachter unabhängig?
Umweltgutachter Stocks sagte, auf die Studien der Experten könne niemand Einfluss nehmen. „Wir sind freie Gutachter“, betonte der Diplom-Ingenieur. Im Falle eines Gerichtsprozesses müssten sie ja auch ihren Kopf hinhalten.

Was passiert nach Festlegung der Vorzugstrasse?
Nach den Vorplanungen folgen das Planfeststellungsverfahren mit öffentlicher Auslegung, die Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung und Ausführungsplanung. Erst danach kann es mit den Bauarbeiten losgehen. „Ob wir da von fünf oder mehr Jahren reden, kann ich Ihnen nicht sagen“, sagte Projektleiter Matthias Kühnel.
Kann sich der Bund einen Ausbau oder Neubau der B 31 überhaupt leisten?
Kühnel erklärte: „Das ist momentan die beste Frage.“ Aktuell sei die Finanzierungslage des Bundes sehr gut.
Wann könnte Baustart sein?
Claus Kiehner von der Modus Consult GmbH, die für die Verkehrsuntersuchung verantwortlich ist, wollte sich da noch nicht festlegen. Planungszeiträume von 2016 bis 2035 seien üblich. „Alles darüber hinaus ist rein spekulativ“, sagte Kiehner, der in seinem Unternehmen den Bereich Umweltplanung leitet. Auch könnten Entwicklungen in den Gemeinden – Wohn- und Gewerbebau beispielsweise – den Zeitplan noch verändern.
Tut es den Planern nicht Leid, so viel Land für die Bundesstraße zu opfern?
„Es ist in der Tat so: Da schlagen zwei Herzen in einer Brust“, sagte Umweltgutachter Stocks. Es sei illusorisch zu glauben, „dass wir irgendetwas kriegen, ohne Auswirkungen auf die Umwelt. Natürlich tut uns das weh“.