Direkt am Ortseingang von Urnau – von Wittenhofen kommend – liegt ein herrschaftliches Anwesen vergangener Zeit: Die Alte Mühle. Das Grundstück mit Mühle, Hauptgebäude, Nebenhaus, Scheune und landschaftlichen Flächen erstreckt sich auf rund 4,6 Hektar. Seit die Besitzerin Irma Rist, Tochter des letzten Müllers Alfons Rist, 2018 verstorben ist, steht die Alte Mühle leer – die Erbengemeinschaft war auf der Suche nach einem Käufer.

Auf dem Areal soll wieder Leben einkehren
Auf der Suche war auch das Ehepaar Jochen und Manu Rädeker, das mit Ly (drei Jahre) und Lunis (zwei Jahre) in Konstanz lebt. „Wir waren auf der Suche nach einem Grundstück auf dem Land“, sagt Jochen Rädeker. Als sie zum ersten Mal in Urnau waren, haben sie sich direkt in das Anwesen verliebt – auch wenn es auf den ersten Blick viel zu groß erschien.
Doch Rädekers – er ist Designer, sie Kuratorin – haben Visionen und Vorstellungen, was man aus diesem denkmalgeschützten Ensemble machen kann. Bei über 2000 Quadratmetern Wohn- und Nutzfläche stellte sich die Frage: Wie kann man dieses Areal wieder zum Leben erwecken und für die Öffentlichkeit zugänglich machen?

Alte Mühle hat eine faszinierende Geschichte
„Uns hat die Atmosphäre des Hauses fasziniert, wir haben uns direkt wohlgefühlt, es hat einen guten Geist“, sagt der 55-jährige Jochen Rädeker, der an der HTWG Konstanz eine Professur innehat. Nachdem sie im Haus Dokumente, Alben und Bücher finden, setzt sich vor Manu Rädeker mit der Geschichte auseinander. So stoßen sie unter anderem darauf, dass in Urnau Ende des Zweiten Weltkrieges Widerstandskämpfer versteckt worden waren – auch in der Alten Mühle.

Historisches Ensemble erlebbar machen
Aus der Alten Mühle soll zunächst das neue Zuhause der Familie werden. Aber ihnen war auch schnell klar, dass ein solch geschichtsträchtiges Gebäude Verantwortung bedeutet. Das historische Ensemble behutsam zu erhalten und erlebbar zu machen, ist das Anliegen und Herzstück des Projekts, für dessen Umsetzung sich Jochen und Manu Rädeker mit einem finanziellen Investment im siebenstelligen Bereich mehrere Jahre Zeit geben möchten.
„Die Mühle soll wieder Zentrum des Ortes werden“, wünschen sie sich. So beinhalten die Pläne eine Event- und Hochzeitslocation, historische Weinstube mit Gartenwirtschaft, Gästezimmer und Hochzeitssuite sowie eine Galerie für zeitgenössische Kunst und Fotografie.
Hauptgebäude mit Museumscharakter
Betritt man das Hauptgebäude, in dem Irma Rist bis zu ihrem Tod lebte, fühlt man sich wie in einem Museum. „Das hat einen musealen Charakter“, so die 38-jährige Manu Rädeker, die in Konstanz als Kuratorin in einer Galerie arbeitet. An den Wänden hängen alte Bilder, die Wohnstube ist noch gemütlich eingerichtet, auf dem Herd in der Küche stehen die Töpfe, in den Schränken liegen private Fotoalben und die Buchhaltung.

„Die Dimension des Hauses ist schon ordentlich. Irma Rist hat es gepflegt und gehegt und in den Erhalt investiert“, sagt Jochen Rädeker über den Zustand. Dennoch muss saniert und modernisiert werden: Strom, Elektro, Heizung und Sanitär stehen auf der langen To-do-Liste.
Familie Rädeker zieht zunächst ins Nebengebäude
Die Familie wird zunächst in einer Wohnung im Nebengebäude – dem Backhaus – unterkommen. Die Backstube wurde bis vor wenigen Jahren noch bewirtschaftet, samstags wurden hier 250 Laibe Brot gebacken und verkauft, wie die Rädekers berichten. Sie werden immer wieder darauf angesprochen, ob es wieder Holzofenbrot zu kaufen gebe.


Mühlentechnik ist über 100 Jahre alt
Direkt an das Hauptgebäude angrenzend, liegt der Mühlenbereich. Den Dachstuhl, der die Geräte der ehemaligen Mühle beinhaltet, möchte die Familie zur eigenen Wohnung ausbauen. Hier ist eine offene Architektur unter Einbindung der Mühlentechnik geplant. Die über 100 Jahre alte Mühlentechnik ist komplett erhalten und erstreckt sich über vier Ebenen. Es gilt, den alten Charme zu erhalten und mit neuen Elementen zu verbinden, wie das Ehepaar betont.

Die Geschichte der Mühle
Mühlräder sollen wieder laufen
Ein weiteres Ziel ist die Reaktivierung der alten Mühlräder. „Wir hoffen, die bestehenden Räder reparieren zu können, sonst werden wir neue einsetzen“, sagt Jochen Rädeker, der wieder Strom aus Wasser generieren möchte. Einst haben die Mühlräder den ganzen Ort mit Strom versorgt, Spuren davon findet man in dem verlassenen Umspannwerk. Es gibt aber auch Spuren neuerer Ereignisse: So sorgte das Unwetter im Sommer 2021 für einen großen Wasserschaden im Fundament.
Sanierung und Umbau als Lebensaufgabe
Um sich vorzustellen, was sich hier in den kommenden Jahren verändert wird, braucht man eine gute Vorstellungskraft, die Rädekers sind von ihren Plänen überzeugt. „Wir haben Respekt vor der Herausforderung“, so Jochen Rädeker, daher sei dies ein Lebensprojekt, bei dessen Umsetzung es der Familie auch sehr wichtig ist, im Dorf anzukommen und eine gute Nachbarschaft zu pflegen. Er und seine Frau seien voller Vorfreude und Energie. „Es ist keine Frage des Geldes, sondern des Willens.“
Auf dem Grundstück befindet sich neben zwei großen Holzschuppen noch die große Scheune. Die Rädekers möchten sie zu einer Location ausbauen, in der Hochzeiten gefeiert werden können. Untergebracht werden können Gäste dann im Haupthaus. Auch eine Galerie ist geplant. „Wir möchten einfach, dass hier wieder Leben einzieht“, so Jochen Rädeker.
Gibt es bald wieder Holzofenbrot in Urnau?

Auch die Backstube möchte die Familie wieder in Betrieb nehmen und den alten Holzofen reaktivieren, genauso wie den früheren Bauerngarten. Es wird also wieder Holzofenbrot geben. Für Kinder soll ein Abenteuerspielplatz entstehen. Es sind viele Pläne, die die Rädekers umsetzen möchten, damit aus einem fast vergessenen Ort wieder der Mittelpunkt eines Ortes werden kann.