Sollen die Krankenkassen einen Bluttest bezahlen, mit dem man feststellen kann, ob ein ungeborenes Kind Downsyndrom hat? Diese Frage soll auf Initiative von 160 Bundestagsabgeordneten auch im Bundestag diskutiert werden. Einer von ihnen ist Lothar Riebsamen (CDU), der in Berlin den Bodenseekreis und einen Großteil des Landkreises Sigmaringen vertritt. „Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte anstoßen“, stellte er bei einer Podiumsveranstaltung einer Elterninitiative bei Camphill fest.
Menschen mit Handicap immer noch benachteiligt
Die Debatte kam bei der gut besuchten Veranstaltung in Gang. Denn hier saßen vor allem Mütter und Väter, die ein Kind mit Downsyndrom haben. Anders als 90 Prozent der Eltern, die sich laut Statistik nach einem Bluttest für eine Abtreibung entscheiden, haben sie sich für ihr Kind mit Downsyndrom ausgesprochen. Ihre Schilderungen aus dem Alltag machten aber deutlich, dass sich in der Gesellschaft zwar so manches verbessert habe, Menschen mit Handicap aber immer noch benachteiligt werden.
Ein Vater: "Leute haben die Straßenseite gewechselt"
Gerd Ulrich Schubert erinnert sich: „Als ich mit dem Kinderwagen durch den Ort gelaufen bin, da haben die Leute die Straßenseite gewechselt.“ Sein Sohn Matthias ist jetzt 29 Jahre alt, hat Downsyndrom und arbeitet im Kulturrestaurant Lagerhäusle in Altheim als Kellner. Selbstbewusst erklärt er im SÜDKURIER-Gespräch, dass die Leute ihn mögen. Aber es komme durchaus mal vor, dass er komisch angeschaut werde. „Das finde ich natürlich blöd“, sagt er.

"So lange abtreiben, bis ein gesundes Kind unterwegs ist"
Seine Mutter Gabriele ging nach seiner Geburt zu einer humangenetischen Beratung. Gerd Ulrich Schubert ist noch heute vom Ergebnis entsetzt. „Da sagte man meiner Frau, sie könne ja so lange abtreiben, bis sie mit einem gesunden Kind schwanger sei.“
Oberärztin: "Eltern lassen alles machen, um auf der sicheren Seite zu sein"
Oberärztin Dr. Sonja Benz vom Krankenhaus in Sigmaringen ist mehrfache Mutter und Großmutter und hat festgestellt: „Die Eltern lassen alles machen, um auf der sicheren Seite zu sein.“ Grundsätzlich sollten vorgeburtliche Untersuchungen dem Leben dienen. Das heiße im Klartext: „Jede Diagnostik muss indiziert sein. Downsyndrom kann man nicht heilen, da gibt es keine therapeutische Möglichkeit.“ Die Gynäkologin ist überzeugt, dass der kostenfreie Test kommen wird.
"Wir wollten das Kind. So oder so."

Bei Andreas Hennigs Tochter wurde bei der Pränataldiagnostik ein Herzfehler festgestellt und es gab einen Verdacht auf Downsyndrom. „Ich hatte selbst einen Onkel mit Downsyndrom, da stand für uns das Thema Abtreibung gar nicht an.“ Das Paar wollte das Kind behalten. "So oder so.“ Die Tochter gehe heute in einen integrativen Kindergarten und fühle sich dort pudelwohl.
Elias hat die Berufswahl seiner Schwester gelenkt

Pudelwohl fühlt sich auch der 13-jährige Elias mit Downsyndrom. Zusammen mit seiner Mutter Ewa und seiner Schwester Olivia sei er „ein gutes Team“, wie er lachend erzählt. Olivia ist 20 Jahre alt und liebt ihren Bruder über alles. Der Umgang mit ihm hat sie auch auf die Idee gebracht, eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin zu machen.
"Warum will die Gesellschaft Menschen mit Downsyndrom eliminieren?"
Dozent Manfred Ziegler bildet die Heilerziehungspflege aus und will keine Bedingungen an das Menschsein stellen. Er sagt: „Die Selektionsethik der Nationalsozialisten wollte 30 Prozent der Menschen mit Downsyndrom vernichten. Sie schafften dann 50 Prozent. Wir schaffen heute 95 Prozent.“ Auch Hebamme Maria Stosiek aus Taisersdorf, die selbst eine schwerbehinderte Schwester hat, sieht die derzeitige Debatte kritisch. „Warum will die Gesellschaft Menschen mit Downsyndrom eliminieren?“ Ob das einen finanziellen Aspekt habe?

"Dem Staat als Spätgebärende ein behindertes Kind auflasten"
Den kennt auch Kordula Rapp aus Mengen. Sie hat vor über 30 Jahren eine Fruchtwasseruntersuchung abgelehnt. „Im Krankenhaus musste ich mir dann den Vorwurf gefallen lassen, wie ich dem Staat als Spätgebärende ein behindertes Kind auflasten könne." Ihr Sohn Dominik – "ich würde ihn nie wieder hergeben" – hat Downsyndrom.
"Wenn wir solche Tests zulassen, schaufeln wir uns selbst das Grab"
Eine junge Mutter berichtet, heutzutage sei man bei Ärzten und in den Kliniken etwas feinfühliger. Karl Schulze aus Tüfingen, Vater eines Kindes mit Behinderung, spricht das aus, was bestimmt viele denken: „Wir gehen auf ein optimiertes Leben hin. Wenn wir solche Tests zulassen, dann schaufeln wir uns selbst das Grab.“
Downsyndrom
Das Downsyndrom ist eine angeborene Störung der geistigen und körperlichen Entwicklung durch verändertes Erbmaterial. Der englische Arzt John Langdon Down hat es erstmals 1866 beschrieben.
1959 entdeckte der Franzose Jérome Lejeune, dass Kinder mit Downsyndrom in jeder Zelle 47 Chromosomen statt der üblichen 46 haben, wobei das Chromosom Nummer 21 dreifach in jeder Zelle vorhanden ist, statt wie üblicherweise zweimal. Diese Entdeckung führte zur Bezeichnung Trisomie 21. Früher war, wegen des Aussehens der Betroffenen, der Begriff "Mongolismus" üblich.
Trisomie 21 ist die häufigste Ursache einer angeborenen geistigen Behinderung, die allerdings sehr unterschiedlich ausfallen kann. Es gibt auch in Deutschland Beispiele von Menschen mit Downsyndrom, die Abitur gemacht und studiert haben.
Die Abtreibungsquote nach einer entsprechenden Diagnostik des Downsyndroms beim Ungeborenen ist hoch. In Island liegt sie bei 100 Prozent, in Dänemark bei 98 und in Deutschland bei 90 Prozent.
Eine Untersuchung in den USA hat ergeben, dass dort 79 Prozent der Eltern eines Kindes mit Downsyndrom glücklich mit ihrem Leben sind.
In den Kinos sorgt derzeit der Film "Die Goldfische" für Furore. Luisa Wöllisch spielt eine Hauptrolle. Sie hat Downsyndrom.