Sonja Boss hat Recht: "Aktuell ist das Thema Pflege, zu Recht, wieder omnipräsent in den Medien", schreibt die SÜDKURIER-Leserin. Zu den Schlagworten "Pflegenotstand im Krankenhaus" listet eine Internet-Suchmaschine im ersten Anlauf 53.000 Treffer auf. Die Stettenerin will aber aus eigener Erfahrung berichten, wie schlecht es ihrer Meinung nach um das System in der Region bestellt ist.

Ihre Mutter lag in Folge eines Schlaganfalls im Klinikum Friedrichshafen und war auf Pflege angewiesen. "Leider war die Behandlung vor Ort alles andere als zufriedenstellend", schreibt Sonja Boss. Das beschmutzte Nachthemd wurde ihrer Schilderung zufolge tagelang nicht gewechselt. Ihre Mutter habe teilweise bis zu einer Stunde auf einen Krankenpfleger oder eine Krankenschwester nach Anforderung warten müssen. Ein Arzt oder eine Ärztin sei nicht da gewesen, um medizinisch relevante Angelegenheiten und die weitere Versorgung ihrer Mutter zu besprechen.

Zu Lasten des Personals

"An dieser Stelle möchten wir aber ausdrücklich betonen, dass wir dem Personal keine Schuld geben möchten", schreibt sie. Das Pflegepersonal habe versucht, das Beste für die Patienten zu leisten. Sonja Boss macht Klinikleitung und Verwaltung für die "personelle Unterbesetzung und die daraus resultierenden Folgen" verantwortlich. Ein ausführlicheres Gespräch mit einem Krankenpfleger habe "katastrophale Zustände und Arbeitsbedingungen" bestätigt, die aus "Einsparungen an allen Enden" resultierten. Ihr Vorwurf: Klinikleitung und Verwaltung scheine Imagepflege wichtiger zu sein als Patientenversorgung. Im Klinikum "bröckelt intern die Fassade", meint Sonja Boss und vermutet, dass die Einsparungen wohl auch eine Konsequenz der Übernahme der beiden Kliniken Weingarten und Tettnang sei, "leider wieder zulasten des Personals und damit auch der Patienten".

Klinikum: "Beschwerde unbekannt"

Für das Klinikum Friedrichshafen war diese Beschwerde bis dato unbekannt. Susann Ganzert, die als Leiterin der Abteilung Unternehmenskommunikation auch für das Beschwerdemanagement zuständig ist, findet es schade, dass sich Familie Boss nicht auch direkt an sie gewandt habe, weil sich die Abteilung seit 15 Jahren mit genau solchen Fragestellungen und Vorwürfen auseinandersetze. "Wir bedauern sehr, dass bei den Angehörigen der Patientin der Eindruck entstanden ist, dass die pflegerische und ärztliche Betreuung auf der 'Stroke Unit' nicht ausreichend war", so die Pressesprecherin. In den vergangenen Wochen grassierte in der Bodenseeregion bekanntlich eine lang anhaltende Grippephase, von der auch die Mitarbeiter im Krankenhaus in mehreren Wellen betroffen waren. Krankheitsbedingte Ausfälle, gepaart mit dem allseits bekannten Fachkräftemangel – vor allem, wenn es um examinierte Fachkräfte und insbesondere um solche mit besonderer Qualifikation wie auf einer Schlaganfallstation geht – könnten zu zeitweiligen Unterbesetzungen beim Personal führen. "In solchen Ausnahmefällen müssen die Fachkräfte entscheiden, welche pflegerischen Maßnahmen bei welchem Patienten notwendig sind", wirbt Ganzert um Verständnis.

Pflegenotstand ein Thema

Doch auch der in Deutschland grassierende Pflegenotstand ist ein Thema im Klinikum Friedrichshafen. Der Fachkräftemangel sorge gegenwärtig dafür, dass in der Klinik für Neurologie, zu der die Schlaganfallstation gehört, der Personalstand sowohl in der Pflege als auch bei den Ärzten unter dem Stellenplan liegt. "Wir könnten und würden einstellen, wenn es entsprechend qualifizierte Bewerber gäbe", so die Pressesprecherin. Das bestätigt ein Blick auf die Stellenangebote, die das Klinikum aktuell ausgeschrieben hat. Neben einem Ober- und einem Facharzt für Neurologie sind elf weitere Arztstellen offen; in der Pflege sind es am Klinikum insgesamt acht Stellen. Um die Unterbesetzung auf der Schlaganfallstation ärztlicherseits zu korrigieren, wurde Ganzert zufolge eine externe Honorarkraft eingesetzt.

Klinikübernahmen nicht als Grund

Dass die Übernahme der beiden Kliniken in Weingarten und Tettnang mit den Problemen zu tun hat, wie Sonja Boss in den Raum stellt, verneint Susann Ganzert. Die Fusion zum Medizin-Campus Bodensee (MCB) habe keinerlei Auswirkung auf das Personal im Klinikum Friedrichshafen oder die Patienten. "Dieser Zusammenhang ist gegenstandslos", sagt sie. Ohne die Zusammenlegung der Kliniken allerdings sei keines der Häuser auf Dauer überlebensfähig gewesen.

Medizin-Campus Bodensee

Das Klinikum Friedrichshafen bildet einen Klinikverbund mit den Krankenhäusern 14 Nothelfer in Weingarten sowie der Klinik Tettnang. Seit 2016 firmiert der Verbund unter dem Namen Medizin-Campus Bodensee (MCB), der unter kommunaler Trägerschaft der Stadt Friedrichshafen steht. An allen drei Standorten ist die Grund- und Regelversorgung für die Patienten in der Region sichergestellt, inklusive der zentralen, chirurgischen und internistischen Notaufnahmen. Darüber hinaus hat der MCB medizinische Schwerpunkte in zwölf Zentren gebildet, die in den drei Häusern verteilt angesiedelt sind. (kck)