Der Nieselregen nimmt kein Ende. Unablässig benetzt er Rettungspritschen und befeuchtet Zeltplanen, macht sie glitschig und schwer. Aus der Nähe brandet der Lärm der B 31, und das einzige, was diesem Parkplatz, eingezwängt zwischen den Verkehrsadern zu Messe, Flugplatz und Bodensee-Center, heute ein wenig Farbe gibt, sind die Narren aus Oberteuringen. Sie tragen reichlich dick Schminke – die allerdings noch mehr frösteln lässt, als der graue Herbsttag. Nein, die jungen Leute stellen keine harmlosen Halloween-Zombies dar.

Narrenzunft mimt die Verletzten
Mitglieder der Narrenzunft Oberteuringen wurden täuschend echt zu Schwerverletzten "präpariert". "RUD" heißt das im Fachjargon – realistische Unfalldarstellung. Auch der DRK-Ortsverein Friedrichshafen hat eine Truppe, bei der das regelmäßig geübt wird: Wieviel Hühnerknochen man braucht, um einen offenen Bruch zu simulieren oder wie man aus verbranntem Klebstoff täuschend echte Brandblasen hinkriegt.
Heute haben die Rotkreuzler nur in die Schminktöpfe gegriffen, denn heute steht eine andere Übung im Vordergrund: Es geht um die Logistik bei einem Großeinsatz. Dazu haben die Friedrichshafener ehrenamtliche Helfer aus der Schweiz eingeladen, die "Schutz und Rettung Zürich". Gemeinsam bauen sie einen sogenannten Behandlungsplatz auf, bestehend aus mehreren Zelten. Ein solcher müsste etwa bei einem Busunglück errichtet werden oder beim Brand in einem Hochhaus.
Kein konkretes Thema vorgegeben
"Ein konkretes Thema ist heute nicht vorgegeben", sagt Thomas Reiß, Vorstandsvorsitzender des DRK Friedrichshafen. Denn egal, welches Szenario man zugrunde legt: Ein Großeinsatz ist immer ein Wettlauf gegen die Zeit. Da muss jeder wissen, was er zu tun hat.

Und jeder Handgriff muss sitzen. Die Zelte sollen ein sicherer Hort sein, um Verletzte transportfähig zu machen. Ihre Vitalfunktionen werden dort überprüft, der Kreislauf stabilisiert. Notärzte stellen fest, wer in die umliegenden Krankenhäuser gebracht werden muss – und wer das nicht nötig hat: Die Aufnahmekapazitäten der Häuser sollen nicht grundlos überstrapaziert werden.
Abläufe für realen Einsatz werden geübt
Hat das DRK Friedrichshafen schon mal so einen Behandlungsplatz in einem realen Einsatz aufgebaut? "Nein", sagt Reiß, umso wichtiger sei es, "dass wir dafür die Abläufe üben." Auch ein rollendes Büro hat das DRK heute dabei, ein Technikfahrzeug zur Stromerzeugung sowieso und sogar eine Drohne, um sich ein Lagebild von oben zu machen.
Großeinsätze mit anderen Hilfsorganisationen hatten die Friedrichshafener Helfer immer mal wieder, bei denen sich gezeigt habe, dass jede Organisation "ein bisschen anders schafft". Auch die Helfer aus Zürich, so Reiß, "haben andere Module". Trotzdem muss alles Hand in Hand gehen.

Nummer signalisiert den Verletzungsgrad
Mittlerweile bekommt jedes der eindrucksvoll geschminkten Unfallopfer eine Nummer zwischen eins und vier umgehängt. Die Nummer signalisiert den Verletzungsgrad, der jeweils von einem Arzt beurteilt wird, und damit die Dringlichkeit der Behandlung. Ein solches "Patientenleitsystem" muss ebenfalls eingeübt werden, weshalb heute auch alle leitenden Notärzte aus dem Bodenseekreis vor Ort sind.
Mit den Kollegen aus der Schweiz klappt alles wie am Schnürchen. Die hätten den Behandlungsplatz zwar lieber in Kliniknähe aufgebaut, doch das sei nur "bei einer großstädtischen Infrastruktur praktikabel", so Reiß. Zelte montieren, Verletzungsszenarien durchspielen, sich kennenlernen – am Ende passt alles. Ein Großeinsatz mit den Züricher Helfern? "Hätte heute problemlos funktioniert", zieht Reiß zufrieden Bilanz.
Einsatzstatisik
Ein Blick in die Einsatzstatistik zeigt, dass die Helfer des DRK Ortsvereins Friedrichshafen am häufigsten bei Brandalarm im Einsatz sind – ob wegen eines brennenden Aschenbechers oder beim Flächenbrand im Eriskircher Ried diesen Sommer. Die Helfer mussten aber auch Großeinsätze bewältigen wie etwa beim Flugzeugabsturz in Überlingen im Jahr 2002 oder beim Zugunglück 2001 in Enzisweiler im Landkreis Lindau mit über 80 Verletzten. Hier ist es unerlässlich, mit anderen Rettungseinheiten Hand in Hand zu arbeiten – eine logistische Herausforderung, die regelmäßig geprobt wird. (baf)