Er hat alle drei Brände gelegt. Er hat das Lagergebäude am Stadtbahnhof, Autos im Parkhaus am See und das Wohn- und Geschäftshaus in der Karlstraße angezündet. Davon sind die Richter der 7. Großen Strafkammer des Landgerichts Ravensburg überzeugt. „Friedrichshafen entging knapp einer Katastrophe mit möglicherweise acht Toten“, umriss der Vorsitzende Richter Franz Bernhard gestern den Morgen des 30. Dezembers. Nach insgesamt gut neunstündiger Verhandlung endete der Prozess um die Brandserie in der Häfler Innenstadt am zweiten Tag dennoch mit einem Freispruch. Der zuvor beschuldigte 29-Jährige bleibt in dem psychiatrischen Krankenhaus, in dem er aufgrund einer paranoiden Schizophrenie nach anfänglicher Untersuchungshaft bereits seit März untergebracht ist.
Mutter des 29-Jährigen im Zeugenstand
Polizeibeamte haben ausgesagt. Die meisten von ihnen waren in jener Nacht bei mehreren Einsätzen gefordert. Anwohner, Besucher und ehemalige Bewohner des Wohn- und Geschäftshauses wurden angehört. Die Flammen und der Rauch, der sich im ganzen Haus ausbreitete, haben ihre Leben verändert. Um einen genaueren Eindruck vom bisherigen Leben des 29-Jährigen zu erlangen, war außerdem dessen Mutter geladen. Abschließend aber nicht zuletzt war die Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Tobias Hölz gefragt. Und dieser schlossen sich sowohl Staatsanwaltschaft und Verteidigung als auch die Richter an: Der 29-Jährige handelte in jener Nacht im Zustand verminderter Schuldfähigkeit, war womöglich sogar gänzlich schuldunfähig.
Vom Leben des Brandstifters vor den Bränden
Allein der Biografie des 29-Jährigen widmete sich das Gericht nach Anklageverlesung rund eine Stunde. Im Alter von zehn oder elf Jahren sei er, frustriert vom Flötenunterricht, mit dem Fahrrad vor ein Auto gefahren, schildert er da etwa. Oder: „Schule mochte ich schon immer nicht.“ Aufgebracht über politische Äußerungen eines Lehrers habe er kurz vor dem Abitur hingeschmissen. Erstmals beschreibt er ein Gefühl, das im weiteren Verlauf mindestens so häufig wie generelle Gesellschaftskritik und schließlich auch der Begriff „Wahn“ zur Sprache kommen sollte: „Die Situation hat mich eigentlich nur noch gestresst.“ Er habe sich so viele Freiräume wie möglich schaffen wollen.
Im Wahn spricht er von Drohnen und Zombies
Um einen Rauswurf aus der elterlichen Wohnung zu vermeiden, suchte er sich schließlich doch eine Ausbildungsstelle. Weder die anschließende Gesellentätigkeit im Handwerksbetrieb, noch eine andere Anstellung waren aber von erwähnenswerter Dauer. Und auch ein Mandat bleibt trotz politischer Ambitionen aus. Interesse an Beziehungen habe er nicht, das an einem Freundeskreis haben „Intrigen“ geschmälert, wenn nicht genommen. Tags darauf spricht seine Mutter unter anderem über Probleme, die es in der Schule und zuhause gab und von Wahnvorstellungen. Schlagworte wie Drohnen, Zombies und Menschenfleisch tauchen kurz darauf auch in den Ausführungen des Psychiaters auf.

„Sehr amüsant“ werde er, wenn er Alkoholisches trinke, sagt der 29-Jährige, „manche würden sagen: nervig“. Gerne rauche er gelegentlich mal Cannabis. Ein Bluttest um 8.15 Uhr hatte am Morgen der Brände mehr als zwei Promille ergeben. Von einer Alkoholabhängigkeit geht der forensische aber Psychiater nicht aus. Im Zusammenhang mit der Erkrankung könnten Alkohol und THC aber „anfeuernde Wirkung“ haben.
Vom Leben der Anwohner nach den Bränden
Acht Menschen hielten sich zum Zeitpunkt des Feuers in der Karlstraße in den Wohnungen über dem Geschäft auf, schliefen zumeist. Ein Familienvater schildert im Zeugenstand, dass seine Frau „zum Glück“ auf die Toilette musste. Sie hörte einen Knall, sah die Flammen und weckte den Rest der Familie. „Da kam der Rauch schon in die Wohnung.“ Der Brandgeruch sei mittlerweile verschwunden, schildert der Mann, eine ausgeprägtere Ängstlichkeit bei seiner Frau bis heute geblieben.

„Wir haben alles verloren“, sagt ein anderer Nachbar, und meint damit nicht nur seine – damalige – Wohnung, in der sich Flammen und Rauch durch mehr als Geruch bemerkbar machten. Schätzungsweise 30 000 Euro hätten er und seine Frau über die Jahre in Wohnung und Einrichtung investiert. „Alles war schwarz“, beschreibt er den Anblick nach der Rückkehr aus dem Urlaub über den Jahreswechsel. Für zwei Wochen lebten sie in einer Pension, Gepäck gab es kaum noch. Eine neue Wohnung suche er bis heute. Seine Frau sei mit der Situation nicht klargekommen, lebe mit der gemeinsamen Tochter inzwischen in einem anderen Bundesland.
Sie wohnt woanders, doch auch die Erinnerung an den Anblick ihres zerstörten Geschäftes lässt die Inhaberin im Zeugenstand mit den Tränen kämpfen. Frauen, die in dem Haus schliefen, berichten von Träumen, unruhigem Schlaf und einer seither ausgeprägteren Hellhörigkeit. Knallgeräusche, splitterndes Glas und klopfende Nachbarn haben am Brandmorgen alle sieben Erwachsenen im Haus geweckt. Mitsamt einem Kleinkind gelangten alle ins Freie, bevor der Rauch das unmöglich gemacht hätte. „Man kann sich gar nicht ausmalen, wie schlimm das hätte ausgehen können“, sagt Richter Bernhard während der Urteilsbegründung und richtete sich erneut an den 29-Jährigen: „Wären Sie nicht krank, säßen Sie jetzt vor dem Schwurgericht und es ginge um versuchten Mord in acht Fällen.“
Brände und Summen
Gegen Mitternacht brannte in der Nacht zum 30. Dezember 2018 ein Lagergebäude im Bereich des Stadtbahnhofes. Gut fünf Stunden später standen sechs Autos im Parkhaus am See in Flammen. Nahezu zeitgleich brannte das Erdgeschoss eines Wohn- und Geschäftshauses in der Karlstraße aus. Der Schaden am Lagergebäude wurde während der Verhandlung mit bis zu 60 000 Euro beziffert, der am Parkhaus am See mit 3,1 Millionen Euro, Ausfälle nicht eingeschlossen. Am Raumausstattungsgeschäft und dem Haus beläuft sich der Schaden auf mehr als eine halbe Million Euro. (böm)