„Das ist mein Traumjob und wenn man endlich eine Idee zur Realität bringen kann, dann ist der Traum eines Entwicklers erfüllt“, das sagt Stephan Demmerer strahlend, wenn er seinen Prototyp erklären darf, der nach nur einem Jahr Wirklichkeit wurde. Der ZF-Ingenieur steht stellvertretend für viele, die im Forschungs- und Entwicklungszentrum (FEZ) in Friedrichshafen jeden Tag daran arbeiten, den Autozulieferer, der früher mit Getrieben das Geld verdiente, fit für die Zukunft zu machen.

Beim Global Technology Day, der in diesem Jahr in Klettwitz/Sachsen am Lausitzring stattfand, präsentierten sie der Presse ihre Zukunftstechnologien. Wir präsentieren vier Ingenieure und ihre Ideen:
Georges Halsdorf: Der externe Seiten-Airbag

Zweieinhalb Jahre lang tüftelte Georges Halsdorf mit seinem Team an dem neuen Seitenairbag, der außen am Auto angebracht ist. „Das ist tatsächlich mein Baby“, freut er sich euphorisch bei der Präsentation bei den ZF „Global Technology Days“ in Klettwitz/Sachsen. Der 36-Jährige Projektleiter weist darauf hin, dass pro Jahr 700 Menschen bei Seitencrashs sterben, denn dort ist die Knautschzone viel kleiner. In fünf Jahren könnte der Airbag schon Marktreife haben, über die Kosten schweigt sich das Unternehmen aus.

Technik: Der externe Airbag bildet Sekundenbruchteile vor dem Aufeinanderprallen eine zusätzliche Knautschzone im Türbereich zwischen der A- und C-Säule bildet.
Vorraussetzung hierfür ist eine leistungsfähige Umfeldsensorik, die einen unvermeidbaren Seitenaufprall rechtzeitig erkennt und das Schutzsystem entsprechend aktivieren kann.
Dazu wurden hochpräzise Lidar- und Radarsensoren sowie Kameras eingebaut. Das System braucht 150 Millisekunden, um auszulösen.
Für die Entwicklung wurden 28 000 Szenarien ausgewertet.
Stephan Demmerer: 2-Gang-E-Antrieb
Die Idee entstand vor einem Jahr beim Kaffee nach der Mittagspause, erinnert sich Stephan Demmerer. Er ist Ingenieur in der Vorentwicklung bei ZF und hat gemeinsam mit seinem sechsköpfigen Team eine Weltneuheit entwickelt.

Der elektrische 2-Gang-Antrieb ist für Elektroautos gedacht und hat einen entscheidenden Vorteil: Eine Reichweitenerhöhung pro Batterieladung um rund fünf Prozent. „Damit kann das E-Auto schneller starten und auf der Autobahn immer nah am Bestpunkt fahren. Hohe Drehzahlen gibt es mit dem 2-Gang-Antrieb nicht“, erklärt Demmerer. In reinen Batteriefahrzeugen gibt es eine „Schaltung“ bisher noch nicht. Der Prototyp rollt schon, es laufen bereits Gespräche mit interessierten Autoherstellern.
Technik: Das Team um Stephan Demmerer kombinierte ein 140 kW starkes Triebwerk mit einem automatischen Zweigang-Getriebe. Bei etwa 70 km/h schaltet das Fahrzeug in den zweiten Gang. Damit erreichen die Ingenieure einen besseren Wirkungsgrad des Motors, der die Batterie weniger beansprucht und dadurch die Reichweite verlängert.
Benjamin Trefflich: Robotaxi der Zukunft
Er ist erklärter Fan von „Knight Rider„, das war die US-Serie, die schon in den 80er Jahren das autonom fahrende Auto „K.I.T.T.“ in den Mittelpunkt stellte.
Und nun freut sich Benjamin Trefflich darüber, dass er nun mit verantwortlich dafür ist, dass eine Mercedes-V-Klasse voll autonom über die Teststrecke am Lausitzring fährt. „Der Trick ist die Kombination aus den verschiedenen Sensoren, die zum Einsatz kommen, um das möglich zu machen“, erläutert der ZF-Entwickler. Das ZF-Innovationsfahrzeug, intern „Robo-Taxi“ genannt, zeigt, wie künftig Personen oder Lasten autonom auf den Straßen unterwegs sein könnten – interessant für Zustelldienste oder Mobilitätsdienstleister.
Technik: Die V-Klasse hat kein Lenkrad und keine Pedalen mehr, dafür aber einen Joystick und verfügt über ein „Next Generation Cockpit“.

Eingebaut sind sechs Lidar- und sechs Radarsensoren, außerdem sechs Kameras und eine Heckkamera, GPS sorgt für die genaue Lokalisation.
Der eingebaute leistungsfähige Zentralrechner ZF ProAi Robothink rechnet die Daten in Millisekundenschnelle aus.

Und dieser Shuttle wird ab Ende des Jahres am Flughafen in Rotterdam eingesetzt, ab 2021 läuft er am Brüsseler Flughafen im normalen Verkehr mit.
Florian Dauth: Fahren ohne Reisekrankheit
„Mobility Life Balance“ ist das neue Schlagwort der ZF-Entwickler. Damit ist gemeint, dass es auch beim autonomen Fahren für die Fahrgäste angenehm sein muss.

Einem Problem dabei widmet sich Florian Dauth, Entwicklungsingenieur in der Vorentwicklung. Wer schon einmal hinten im Auto saß und dabei versucht hat, zu lesen, weiß, wie schnell einem dabei schlecht werden kann. „Unser Ziel ist es, die Reisekrankheit individuell zu erkennen und auf den aktuellen Zustand des Passagiers bezogene Maßnahmen zu entwickeln“, erklärt Florian Dauth.

Die wissenschaftliche Basis für dieses Konzept liefern gemeinsam mit der Systems Neuroscience & Neurotechnology Unit (SNNU) an der Universität des Saarlandes und der htw saar durchgeführte Probandenstudien, bei denen die physiologischen Reaktionen von Probanden auf verschiedene Fahrsituationen untersucht wurden.

Technik: Im „Motion Sickness Research Vehicle“ können die Entwickler eine Vielzahl an physiologischen Messdaten, Kameradaten sowie Fahrdynamik-Messwerte aufzeichnen. „Die Herausforderung besteht darin, ein autotaugliches System zu entwickeln, das eine Erkennung der Reisekrankheit erlaubt“, erklärt der Ingenieur. Am Schluss dieser Entwicklungen könnten automatisierte Fahrzeuge den bevorzugten Fahrstil unterschiedlicher Passagiere umzusetzen. Bis es soweit ist, wird es aber wohl noch einige Jahre Forschung brauchen.
Zweiter Riesenauftrag
Auf den Global Technology Days gab Wolf-Henning Scheider bekannt, dass die Fiat-Chrysler-Automobilgruppe einen Großauftrag an ZF vergeben hat. ZF wird Hauptlieferant für moderne 8-Gang-Automatikgetriebe (8HP), kündigte Scheider an. Dabei handele es sich um den zweitgrößten Einzelauftrag in der Geschichte des Unternehmens. Die Getriebe können auch elektrifiziert werden und beispielsweise Hybrid-Fahrzeuge antreiben. Gebaut werden sie in Saarbrücken. Derzeit arbeitet ZF an der vierten Generation des 8-Gang-Automatgetriebes.