Matheunterricht. Vor jedem Schüler liegt ein Tablet. Während die einen interaktive Übungen bearbeiten, wiederholen andere mit Hilfe eines Lernvideos selbstständig den Stoff. Dazwischen führt ein Lehrer in ein neues Thema ein, das per Kamera auf die Tablets einiger Schüler gestreamt wird, die sich im Moment im Fernunterricht befinden.

So oder so ähnlich könnte digitaler Unterricht in Zeiten von Corona aussehen – vorausgesetzt, es gibt ausreichend mobile Endgeräte wie Tablets oder Notebooks sowie stabile, schnelle Internetverbindungen in den Klassenräumen – und ein pädagogisches Konzept.

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Doch in den Häfler Schulen gibt es weder ausreichend mobile Endgeräte, noch schnelle Breitbandverbindungen und offenes WLAN in den Klassenräumen. Steffen Rooschüz, geschäftsführender Schulleiter der Friedrichshafener Schulen, findet deutliche Worte: „Wir haben die Digitalisierung alle verschlafen und das fällt uns jetzt in Zeiten von Corona auf die Füße.“

Droht wieder Fernunterricht?

Deutlich wird auch Sonja Utz, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats: „Digitalisierung an den Schulen in Friedrichshafen ist nach wie vor ein großes Problem. Scheinbar blieb die Sommerzeit seitens des Trägers ungenutzt, um in dieser Richtung aktiv zu werden. Als Eltern fragen wir uns, welchen Stellenwert die Schüler und Schulen in dieser eigentlich so großartigen Stadt einnehmen und warum die Hilfen von Bund und Land nicht längst angekommen sind.“

Glasfaseranschlüsse an Schulen? Gibt es in Friedrichshafen bisher nicht.
Glasfaseranschlüsse an Schulen? Gibt es in Friedrichshafen bisher nicht. | Bild: Peter Kneffel
  • Schnelle Internetanschlüsse sind Mangelware: An keinem der 15 Schulstandorte in Friedrichshafen gibt es laut Stadtverwaltung Anbindung ans Internet per Glasfasernetz. Neun Standorte sind mit 400 bis 600 MBit/s angebunden, sechs Standorte mit 50 bis 100 MBit/s. Zum Vergleich: Allein für die Verwaltung einer mittelgroßen Schule sind rund 100 MBit/s nötig. „Die Anbindung sämtlicher Schulen per Glasfaser an das Landeshochschulnetz Baden-Württemberg befindet sich derzeit im Bau“, erklärt Stadtsprecherin Andrea Kreuzer. Wann die Schulen schnelle Breitbandverbindungen bekommen, ist unklar. Klar hingegen ist: Ohne schnelle Internetanschlüsse kommen Schulen bei der Verwendung von digitalen Unterrichtsmitteln an ihre Grenzen, da beispielsweise Streaming oder auch Videokonferenzen hohe Datenvolumen verbrauchen.
Schüler lernen an Tablets: nur wo? In den Häfler Schulen gibt es lediglich in den Lehrerzimmern und IT-Räumen WLAN. Die Klassenzimmer ...
Schüler lernen an Tablets: nur wo? In den Häfler Schulen gibt es lediglich in den Lehrerzimmern und IT-Räumen WLAN. Die Klassenzimmer sind nicht angeschlossen. | Bild: Julian Stratenschulte
  • Alte Verkabelungen und kein offenes WLAN: Ein Anschluss allein nutzt wenig. Damit schnelles Internet in Räumen ankommt, braucht es moderne Verkabelungen. Seit diesem Schuljahr haben laut Stadtverwaltung alle Lehrerzimmer freien WLAN-Anschluss, sodass Lehrer von dort aus mit ihren eigenen Endgeräten arbeiten können. In den Klassenzimmern selbst gibt es etwas, was die Stadtverwaltung „pädagogisches WLAN“ nennt. Damit können schuleigene Endgeräte, also beispielsweise Laptops, verkabelt und angeschlossen werden, aber keine anderen mobilen Endgeräte, wie Tablets oder Notebooks der Lehrer. Wäre damit digitaler Hybridunterricht mit geteilten Klassen möglich? „Nein“, sagt Rooschüz, „wir haben keine Endgeräte mit Kameras und Mikrofonen und für die bestellten Tablets gibt es kein WLAN.“ Will ein Lehrer Unterricht streamen, bleiben ihm Dokumentenkameras, sozusagen eine Art moderner Overheadprojektor. Dass Dokumentenkameras dafür eigentlich nicht vorgesehen sind, weiß auch die Stadt: „Die Technik hat jedoch ihre Grenzen, so kann während des Streamens der Einsatz der Dokumentenkameras zur Präsentation nicht eingesetzt werden.“ Für Elternvertreterin Sonja Utz fehlt der Wille, nach besseren Lösungen zu suchen: „Innovative Lösungsvorschläge seitens der Schulen, wie ein Unterricht gewährleistet bleiben könnte, Stichwort Hybrid-Unterricht, werden von der Stadt nur unzureichend unterstützt.“
Ende August, also kurz vor Ende der Schulferien, wurden in Friedrichshafen 647 Tablets bestellt. Anfang November waren 31 iPads ...
Ende August, also kurz vor Ende der Schulferien, wurden in Friedrichshafen 647 Tablets bestellt. Anfang November waren 31 iPads geliefert. Für 216 weitere iPads gibt es einen Liefertermin. Wann die restlichen 400 Stück kommen, steht in den Sternen. | Bild: Uli Deck
  • Nicht alle Schüler mit Bedarf bekommen Endgeräte: Ende Juli meldeten die Schulleiter Bedarf für 2000 Endgeräte an. Diese Schätzung basiert auf den Erfahrungen aus dem ersten Lockdown, wo rund 2000 Schüler keine Möglichkeit hatten, auf eine digitale Lernplattform zuzugreifen oder E-Mails zu empfangen. Laut Stadtverwaltung wurden Ende August, also zwei Wochen vor Schulbeginn, 647 iPads, also Tablets, für gut 440 000 Euro bestellt und komplett aus Mitteln des Soforthilfeausstattungsprogramms des Landes finanziert. Anfang November waren gerade mal 31 Geräte geliefert worden. In der zweiten Novemberwoche sollten weitere 216 iPads ankommen. „Für die restlichen 400 iPads kann vom beauftragten Dienstleister derzeit noch kein Liefertermin genannt werden“, so die Stadtsprecherin. Sollte es also erneut zu Schulschließungen, größeren Quarantänen oder Unterricht für geteilte Klassen kommen, haben knapp 1800 Schüler in Friedrichshafen keine Chance, an digitalem Fernlernunterricht teilzunehmen oder mit dem Lehrer zu kommunizieren. Da es in den Klassenzimmern kein offenes WLAN gibt, können die bestellten Tablets auch nicht dort ausprobiert und genutzt werden. Die Stadt sieht das als nicht nötig an: „Die Tablets sind zum Einsatz im häuslichen Umfeld der Schüler und nicht in den Schulen vorgesehen, weshalb ein WLAN für den Einsatz der iPads des Sofortausstattungsprogramms nicht erforderlich ist.“
Der Digitalpakt ist ein 5 Milliarden Euro schweres Programm vom Bund. Bisher hat Friedrichshafen keine Mittel abgerufen.
Der Digitalpakt ist ein 5 Milliarden Euro schweres Programm vom Bund. Bisher hat Friedrichshafen keine Mittel abgerufen.
  • Finanzierung ist kein Problem: Die gute Nachricht: Das Geld ist da. Die schlechte: Es wird vom Schulträger, also der Stadt Friedrichshafen, und den Schulen bisher nicht abgerufen. Friedrichshafen hat bisher zwar Mittel aus dem Sofortausstattungsprogramm für die Tablets abgerufen, nicht aber aus dem Digitalpakt, dem 5 Milliarden Euro schweren Bundesprogramm. Begründet wird das seitens der Stadt mit den Medienentwicklungsplänen (MEP), die bis Juli als Voraussetzung für die Mittelabfrage galten. Zum Hintergrund: In den MEP legen die Schulen dar, was genau sie brauchen und was sie mit dem Geld vorhaben. Der Träger hakt die einzelnen Schritte ab. Bisher haben zwar alle Schulen einen solchen Plan begonnen, die meisten befinden sich aber erst in Phase 1 (Vorklärung) von insgesamt sieben Phasen. Selbst die Vorreiter-Schulen in Friedrichshafen, die direkt beim Start des Programms vor eineinhalb Jahren mit dem MEP begonnen haben, befinden sich aktuell erst in Phase 2. Mahlen die Mühlen der Verwaltung zu langsam? Oder haben die Schulen es versäumt? „Das Schwarze-Peter-Spiel nutzt nichts“, sagt Rooschüz, „wir sind insgesamt viel zu langsam.“ Laut Verwaltung „ist es eine Grundvoraussetzung, die Medienentwicklungsplanung zunächst bis mindestens in die Phasen 3 (Ziele) bzw. Phase 4 (Maßnahmenplanung) voranzubringen, bevor an eine Umsetzung zu denken ist.“ Aktuell seien die MEPs noch nicht so weit ausgearbeitet, dass ein Antrag gestellt werden könnte, so die Stadt.
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Doch genau diese Grundvoraussetzung hat das Kultusministerium in Stuttgart bereits im Juli gekippt. Seither gibt es ein vereinfachtes Antragsverfahren, mit dem während der Corona-Krise zügig und unbürokratisch Mittel abgerufen werden können. „Um den Digitalpakt im Land schneller umzusetzen und die Schulen zu entlasten, haben die Schulträger und Schulen in freier Trägerschaft nun die Option, ihre Anträge zunächst ohne Medienentwicklungspläne einzureichen. So können die Kommunen jetzt zügig Anträge stellen, die auch bewilligt werden“, so Kultusministerin Susanne Eisenmann auf SÜDKURIER-Anfrage. 70 Kommunen in Baden-Württemberg haben diese Option bereits genutzt, schnelle Breitbandverbindungen in die Schulen gelegt, Verkabelungen ausgetauscht, WLAN angeschlossen und Geräte gekauft, heißt es aus dem Kultusministerium. Friedrichshafen ist nicht dabei.