Wenige Meter vom Lehrenweg entfernt brettern Autos mit 120 Stundenkilometern über die neue B 31. Vor etwas mehr als zehn Jahren, im November 2012, führte der Lehrenweg zwischen Spaltenstein und Schnetzenhausen noch durch eine unverbaute Landschaft. Wälder, Apfelplantagen, Acker und viel Wiese. Gabriele Speth aus Fischbach durchstreifte diese Gegend gern und ausgiebig bei ihren langen Spaziergängen. Von ihrem Spaziergang am 13. November 2012 kam die damals 45-Jährige nie wieder zurück.

Rekonstruktion des Spaziergangs vom 13. November 2012: An etwa dieser Stelle, links die Villa Wagner, rechts die Klufterner Straße, ...
Rekonstruktion des Spaziergangs vom 13. November 2012: An etwa dieser Stelle, links die Villa Wagner, rechts die Klufterner Straße, wurde Gabriele Speth noch von einem Autofahrer gesehen. | Bild: Wienrich, Sabine

Am helllichten Tag spurlos verschwunden

Es war ein trockener, bewölkter Dienstagnachmittag, an dem die dreifache Mutter ihr Wohnhaus in Fischbach verließ. Handtasche, Schlüssel, Handy – das alles ließ sie zuhause. Kurz zuvor sprach Gabriele Speth noch mit einem ihrer drei Söhne, die damals zwischen 15 und 21 Jahre alt waren. Als sie abends noch nicht zuhause war, wurde dem Ehemann mulmig.

Dass Gabriele Speth alleine ohne Handy spazieren ging, war die Familie gewohnt. Doch, so lange? Gegen 22.30 Uhr rief der Ehemann die Polizei. Noch am gleichen Abend suchten mehrere Streifen die Gegend ab. Auch Hundestaffeln waren im Einsatz, doch die konnten keinen klaren Weg wittern, weil Gabriele Speth in den Monaten zuvor zu viele Spuren in der Umgebung hinterlassen hatte. Eine verzweifelte Suche begann, die bis heute nicht endet.

Heute führt wenige Meter am Lehrenweg, auf dem Gabriele Speth lief, die neue B 31 vorbei. Damals waren hier nur Felder und Wiesen.
Heute führt wenige Meter am Lehrenweg, auf dem Gabriele Speth lief, die neue B 31 vorbei. Damals waren hier nur Felder und Wiesen. | Bild: Wienrich, Sabine

Viele Stunden der Ungewissheit vergingen. Es wurden Tage, Monate, Jahre daraus. Schwer zu ertragen für alle, die die lebensfrohe, große, braungelockte Frau mit dem gewinnenden Lächeln kannten. „Die Gabi“, die drei Kinder groß gezogen hat, sich ehrenamtlich um demenzkranke Menschen kümmerte und die Natur so liebte – wie konnte sie plötzlich verschwunden sein? Am helllichten Tag, wie aus dem Nichts. Hundestaffeln durchkämmten die Gegend, Hubschrauber waren im Einsatz, eine Sonderkommission wurde gegründet. „Wenn ein Körper in diesem Gebiet gelegen hätte, so hätte man ihn gefunden“, wird der damalige Kripo-Leiter Axel Engelbert 2015 dem SÜDKURIER sagen.

Bild 3: Ein Jahrzehnt vermisst: Gabriele Speths Spaziergang ungelöst
Bild: Schönlein, Ute

Rekonstruktion des vermutlich letzten Spaziergangs

Die Polizei hat Gabriele Speths vermutlich letzten Spaziergang rekonstruiert. Ein Autofahrer sah sie an der Klufterner Straße auf Höhe der Villa Wagner, später wurde sie nochmal an der Weggabelung des Lehrenwegs, der über den Mühlbach führt, gesehen. Von da ab verliert sich ihre Spur.

Der Lehrenweg zwischen Spaltenstein und Schnetzenhausen heute. Rechts davon fließt der Mühlbach. An dieser Stelle wurde Gabriele Speth ...
Der Lehrenweg zwischen Spaltenstein und Schnetzenhausen heute. Rechts davon fließt der Mühlbach. An dieser Stelle wurde Gabriele Speth laut der Sendung Aktenzeichen XY von einer Zeugin zuletzt gesehen. Danach verlor sich jegliche Spur. | Bild: Wienrich, Sabine

Oliver Weißflog, heute Sprecher des Polizeipräsidiums Ravensburg, war 2012 Dienstgruppenleiter in Friedrichshafen und erinnert sich gut an jenen Tag nach Speths Verschwinden: „Wir hätten damals alle nicht gedacht, dass wir sie zehn Jahre später immer noch suchen.“ Axel Kuscheck, damals Leiter der Kriminalinspektion 1 der Polizeidirektion Friedrichshafen, sagte dem SÜDKURIER zwei Monate nach dem Verschwinden: „Die Fälle werden nicht eingestellt. Sie bleiben recherchierbar. Zudem können sich die Menschen darauf verlassen, dass uns die Fälle im Kopf bleiben. Sie ruhen lediglich, bis es neue Hinweise gibt.“

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Der Fall kommt regelmäßig auf den Tisch der Ermittler

Auch wenn die Sonderkommission sich also längst aufgelöst hat und alle bekannten Spuren erfolglos abgearbeitet wurden, ist die Polizei weiter mit dem Fall befasst. „Belastbare Hinweise zum Grund ihres Verschwindens oder zu ihrem Verbleib konnten leider nicht gewonnen werden. Damit gilt der Fall bei uns als ungeklärt und er wird deshalb im Rahmen der Cold-Case-Recherche regelmäßig auf neue Hinweise und Erkenntnisse analysiert“, erklärt Weißflog. Sollten sich neue Ermittlungsansätze ergeben, würden diese umgehend überprüft werden.

Im Juli 2020 rückte die Polizei mit schwerem Gerät an und durchsuchte einen kleinen Bachlauf des Buchenbachs auf einer Futterwiese in ...
Im Juli 2020 rückte die Polizei mit schwerem Gerät an und durchsuchte einen kleinen Bachlauf des Buchenbachs auf einer Futterwiese in Spaltenstein, unweit des Friedrichshafener Klinikums. | Bild: Wienrich, Sabine

Im Sommer 2020, an einem heißen Julitag, gab es möglicherweise einen solchen Ansatz. Die Kripo rückte mit schwerem Gerät auf eine Futterwiese in Spaltenstein an, durch die das Bachbett des Buchenbachs fließt. Mehrere Beamten durchkämmten den zugewachsenen Bach. Nach SÜDKURIER-Informationen waren sie auf der Suche nach den sterblichen Überresten von Gabriele Speth, die möglicherweise durch Tierverschleppung oder Hochwasser im Bach gelandet waren. Gefunden wurde damals allerdings nichts.

Bild 6: Ein Jahrzehnt vermisst: Gabriele Speths Spaziergang ungelöst
Bild: Hilser, Stefan
„Wir haben bislang alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft.“
Oliver Weißflog, Polizeisprecher

Dass Gabriele Speth sich das Leben nehmen wollte, wurde bereits 2012 von den Ermittlern ausgeschlossen. Auch Hinweise, dass sich die 45-jährige Mutter absetzen wollte, gab es keine. „Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht mehr am Leben ist, ist sehr hoch“, bestätigt Weißflog. Ein Unfall? Ein Kapitalverbrechen? Auf Spekulationen lässt sich der Polizeisprecher nicht ein. „Wir haben bislang alle Ermittlungsansätze ausgeschöpft“, sagt er, „irgendwann kommt man als Ermittler an einen Punkt, an dem man sich im Kreis dreht.“

An dieser Weggabelung wurde Gabriele Speth nochmal gesehen. Doch wohin sie danach lief, ist unbekannt.
An dieser Weggabelung wurde Gabriele Speth nochmal gesehen. Doch wohin sie danach lief, ist unbekannt. | Bild: Wienrich, Sabine

Wird die Polizei je herausfinden, was damals, an diesem Dienstag, den 13. November 2012 passiert ist? Zwei Mal war der Fall bereits in der Sendung Aktenzeichen XY, in der Hoffnung irgendein Indiz, einen Ansatzpunkt, eine neue Zeugenaussage herauszufinden. Ohne Erfolg. Dennoch besteht ein wenig Hoffnung. „Manchmal kommt uns ja dann doch Kommissar Zufall zur Hilfe. Zum Beispiel, weil ein Täter nicht mehr mit der Schuld leben will, die Polizei im Rahmen von anderen Ermittlungen auf ein Detail stößt oder Spuren findet und es so neue Ansatzpunkte gibt“, so Weißflog.

Laut Verschollenheitsgesetz können Vermisste nach zehn Jahren vom zuständigen Amtsgericht für tot erklärt werden, wenn „nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden“. Ob Gabriele Speth für tot erklärt wurde, ist dem SÜDKURIER aus Datenschutzgründen nicht bekannt.