Herzliches Lachen klingt über den leeren Schulhof an diesem Samstagmorgen. Eine bunte Mischung von Männern und Frauen ist in Gespräche vertieft. Regenwolken werden ignoriert, stattdessen werden Pausenbrötchen gereicht, zum Anstoßen gibt es ein Glas Sekt.

In manchen Räumen riechen sie die Vergangenheit

Vor dem Altbau des Graf-Zeppelin-Gymnasiums (GZG) in der Wendelgardstraße, der früher zum Karl-Maybach-Gymnasium (KMG) gehörte, haben sich etwa 30 Menschen in ihren besten Jahren zusammengefunden. Sie haben dafür mitunter selbst eine Anreise aus Düsseldorf nicht gescheut. Sie alle verbindet eine gemeinsame Schulzeit und das erste Abitur am neu gegründeten KMG vor 50 Jahren, am 6. Juni 1975. Das muss doch gefeiert werden. Die Schulleitung des KMG glänzt allerdings durch entschuldigtes Fehlen.

50 Jahre nach ihrem Abschluss werden die ersten KMG-Abiturienten durch das alte Schulhaus geführt, das heute zum Graf-Zeppelin-Gymnasium ...
50 Jahre nach ihrem Abschluss werden die ersten KMG-Abiturienten durch das alte Schulhaus geführt, das heute zum Graf-Zeppelin-Gymnasium gehört. | Bild: Anette Bengelsdorf

Ein Rundgang durch das ehemalige Progymnasium für Mädchen, das später zum KMG werden sollte, weckt Erinnerungen, in manchen Räumen riecht es den digitalen Medien zum Trotz noch genauso wie damals. Der Schulleiter des GZG, Axel Ferdinand, hat es sich nicht nehmen lassen, der Gesellschaft eine Führung anzubieten. Die Türen der Glaswand, die einst den Altbau des KMG vom Neubau des GZG trennte, sind entfernt. Damals war das Überschreiten dieser Grenze ein Delikt, das unter Strafe stand.

Inzwischen kündigt sich Regen an und die Gesellschaft zieht in den Pavillon am See zu Kaffee und Kuchen.
So stark ist die Gemeinschaft, dass sich die Klassentreffen, die es regelmäßig seit 1985 gibt, noch immer großer Beliebtheit erfreuen. Dabei war es damals, im Jahr 1972, nicht selbstverständlich, dass zusammenwuchs, was über Jahre streng getrennt wurde. Nein, es war für manchen eine Zumutung. Eine Herausforderung war es allemal.

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Aus der Knabenklasse zu den Mädchen

Peter Lutz, heute Diplom-Wirtschaftsingenieur und 70 Jahre alt, erinnert sich noch ganz genau an den Tag, als ein Teil der Jungen vom GZG zu den Mädchen ins Progymnasium gesteckt wurde. Alte Freundschaften habe es entlang einer willkürlich erscheinenden Demarkationslinie auseinandergerissen. Der Zwang, sagt er, sei schlimm gewesen.

Peter Lutz.
Peter Lutz. | Bild: Anette Bengelsdorf

Dieter Grupp, als Psychiater und Geschäftsführer des Zentrums für Psychiatrie Reichenau mit allen Facetten der menschlichen Existenz vertraut, spricht mit verschmitztem Lächeln von einer Katastrophe. Seine schulische Laufbahn begann an einer katholischen Knabenschule, an der noch nicht einmal Lehrerinnen unterrichten durften, es folgte der Besuch einer reinen Knabenklasse am GZG und dann das: „Im zarten Alter von 16 Jahren wurde uns mitgeteilt, dass wir mit dem anderen Geschlecht vermischt werden sollten“, sagt er.

Dieter Grupp.
Dieter Grupp. | Bild: Anette Bengelsdorf

Sehr selbstbewusst seien sie deshalb auf die Schulleitung des Progymnasiums zugegangen, mit der Vorstellung, eine Revolution an der Mädchenschule auszurufen. Stellten Forderungen nach einer Schülermitverwaltung in den Raum und gründeten eine Schülerzeitung, den Tintenfisch. „Wir haben uns aufgeblasen“, sagt er.

Auch bei den Mädchen kam die Maßnahme erwartungsgemäß nicht besonders gut an. Ulrike Schilling erinnert sich, dass sie anfänglich sehr schüchtern gewesen sei.

Ulrike Schilling.
Ulrike Schilling. | Bild: Anette Bengelsdorf

Andere Schülerinnen gingen das Problem pragmatisch an. Ursula Reichmann ließ sich nicht irgendwelche Jungen aufzwingen. Selbstbewusst wollte die spätere Fachärztin Einfluss auf die Verteilung der Jungs auf die beiden Klassen nehmen und auch Dieter Grupp versuchte, „den Prozess basisdemokratisch mitzugestalten“. Das Casting muss erfolgreich gewesen sein. Beide Klassen wuchsen unzertrennlich zusammen.

Ursula Reichmann.
Ursula Reichmann. | Bild: Anette Bengelsdorf

Das erste Abitur an der neuen Schule

Nicht nur die Schüler, auch die Lehrer sahen sich vor eine neue Herausforderung gestellt. Das alte Kollegium war mit dem Oberstufenunterricht nicht vertraut, nur wenige hatten bisher bis zum Abitur unterrichtet. Schüler wie Peter Lutz hatten daher große Bedenken, ob die Lehrer den Anforderungen überhaupt gewachsen waren.

Doch allen Unkenrufen zum Trotz arbeiteten Lehrer und Schüler in der Erinnerung aller zielführend und wohlwollend zusammen. Das erste Abitur musste trotz aller Nervosität und Unsicherheiten zum Erfolg werden. Und das wurde es: Die Klasse 13a schloss am 6. Juli 1975 mit dem besten Abiturdurchschnitt in ganz Baden-Württemberg ab. Zur Belohnung gab es für jeden eine 18-karätige goldene Anstecknadel.

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Der Zusammenhalt der Klasse war offenbar legendär, heißt es. Partys, selbst organisierte Skiausfahrten, Geburtstagsfeiern, Hilfsbereitschaft, selbst an ein Kuscheltier ans Krankenbett könne sich Ulrike Schilling erinnern. Kein Wunder, dass diese Verbundenheit nicht von heute auf morgen verschwinden konnte.

Gefühl von Zusammengehörigkeit sollte bleiben

Die beiden Klassen beschlossen, bevor jeder seiner Wege ging, jeden Tag der Woche eine Party steigen zu lassen. Jeder sollte einmal das Fest bei sich zu Hause im Wohnzimmer, im Garten, am Pool organisieren. Juli und August standen dann im Zeichen von Würschtle und Bier. „Wir wollten nicht auseinandergehen“, sagt Dieter Grupp, „wir wollten dieses Gefühl von Stolz auf das Abitur und die Zusammengehörigkeit erhalten.“ Dass dies bis heute gelungen ist, zeichnet sich auch am Samstag ab. 2030 jährt sich das Ereignis zum 55. Mal. Eine Schnapszahl, wie man findet, die es ganz besonders zu feiern gilt.