Auf dem Foto trägt sie eine Einsatzhose mit Reflexstreifen und sitzt auf dem Beifahrersitz eines Rettungswagens. Bester Laune zeigt die Frau ihre Finger als Peace-Zeichen in die Kamera. Die Medizin, der Rettungsdienst – das sei ihr Leben gewesen, sagen mehrere Weggefährten unter den rund 60 Menschen bei der Mahnwache am Klinikum.
Um dieses Foto herum flackern Anfang März Grabkerzen, Rosen liegen auf dem Boden. Vereinzelt sind auch Angehörige und Bürger der Stadt Friedrichshafen vor Ort. Die Anwesenden schweigen oder reden bedächtig miteinander über die Lage am Medizin Campus Bodensee (MCB)
Arbeiten mit Bauchschmerzen
Wer in den vergangenen Wochen mit Klinikmitarbeitern gesprochen hat, erfuhr von einer angespannten Stimmung im Haus. Der Todesfall der Oberärztin, die Aufarbeitung der Vorwürfe, die Compliance-Untersuchungen, die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft: All das habe für eine schwierige Arbeitsatmosphäre gesorgt, sagen viele Mitarbeiter des MCB. Der SÜDKURIER hat mit zahlreichen Beschäftigten unterschiedlicher Stationen gesprochen. Aus Sorge vor beruflichen Konsequenzen möchten sie nicht namentlich oder mit Stationszugehörigkeit genannt werden.
Eine erfahrene Mitarbeiterin erzählt beispielsweise: „Die Arbeit geht aktuell mit Bauchschmerzen einher.“ Bauchschmerzen, weil von den Vorwürfen betroffenen Personen immer noch im Dienst seien. Eine Angestellte berichtet davon, dass es schwer sei, den Tod der Oberärztin zu verarbeiten. „Auf der Arbeit redet man nicht darüber, man macht weiter.“ Ein langjähriger Angestellter, der seit dem Berufseinstieg am Klinikum ist, hofft, dass in den kommenden Monaten personelle Konsequenzen gezogen werden. „Aber die Hoffnung schwindet von Tag zu Tag.“
Hoffen auf die Staatsanwaltschaft
Seit Januar läuft zwar eine vom Klinikum beauftragte Compliance-Untersuchung, in der die Vorwürfe der Oberärztin von einer Kanzlei untersucht werden sollen. Mehr Vertrauen scheinen Mitarbeitende dagegen in die Arbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft zu haben, heißt es. Bis Anfang März liefen Vorermittlungen der Kriminalpolizei Friedrichshafen. Dort machte eine „niedrige zweistellige Zahl“ an Personen eine Aussage, so das Polizeipräsidium Ravensburg Mitte der Woche. Am Donnerstag erklärten die Staatsanwaltschaft und das Polizeipräsidium Ravensburg, dass Ermittlungen gegen fünf ehemalige und aktive Ärzte und Ärztinnen eingeleitet wurden.
Der MCB betonte in einer Pressemitteilung, dass die Compliance-Untersuchung dennoch weiterliefen. Zuletzt zeigten sich viele Mitarbeitende aber frustriert, dass sich diese noch bis Mitte Juli ziehen werde, wie der MCB am 22. Februar mitgeteilt hatte. In der dazugehörigen Mitteilung wird auch mehrfach Andreas Minkoff, leitender Anwalt von der beauftragten Kanzlei Feigen Graf, zitiert. Laut ihm würden sich Zeugen „zunehmend auch proaktiv“ an die Anwälte wenden. Zu der genauen Zahl der bereits geführten Gesprächen gibt das Klinikum aber keine Auskunft. Doch eher wenige Beschäftigte berichten, dass sie in den Gesprächen gewesen seien. Es sei eine Möglichkeit, etwas zu bewegen, sagt beispielsweise eine Mitarbeiterin und Teilnehmerin eines Gesprächs: „Wir müssen da was sagen, sonst ändert sich nichts.“
Skepsis gegenüber interner Untersuchung
Viele Beschäftigte stehen der Untersuchung dagegen skeptisch gegenüber. Sie bezweifeln, dass die vom Klinikum finanzierte Untersuchung wirklich unabhängig ablaufe, obwohl die Geschäftsführung dies immer wieder betont hatte. Mitarbeitende erklären, dass sie Angst haben, nach Aussagen bei den Anwälten Repressalien durch die Geschäftsführung zu erfahren. Die Geschäftsführung hatte geäußert, dass sie nicht in die laufenden Untersuchungen eingeweiht werden wolle. Außerdem sehen viele in den langwierigen Untersuchungen auch eine Maßnahme der Geschäftsführung, die Lage im Hause wieder zu beruhigen. Ein langjähriger Mitarbeiter sagt beispielsweise: „Man hat schon das Gefühl, dass man hier auf Zeit spielt.“

Welche Maßnahmen sollen auf den Abschlussbericht dieser Untersuchungen überhaupt folgen? Das ist für viele Mitarbeitenden mit denen wir gesprochen haben, unklar. „Sollte das Untersuchungsergebnis etwaige juristische Maßnahmen erfordern, ist es Angelegenheit des Aufsichtsrats, hierüber zu entscheiden“, heißt es von der Pressestelle auf diese Frage. Der Aufsichtsrat werde die Öffentlichkeit über das Ergebnis informieren. Eine Veröffentlichung des gesamten Berichts sei aber aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht möglich.
„Unter diesen Umständen kann ich hier nicht weiterarbeiten“
Zuletzt war es für die Mitarbeitenden schwierig, mit der Lage im Klinikum umzugehen. In Gesprächen mit Beschäftigten ist zu hören, dass seit Dezember 2023 viele mit dem Gedanken spielten, zu kündigen. Andere wollten noch abwarten, wie sich die Situation entwickele. „Jeder Mitarbeiter hat einen Plan B“, sagt beispielsweise ein leitender Angestellter bei der Mahnwache. Eine jüngere Beschäftigte sagt, es wäre nicht schwer, in einem anderen Klinikum in der Region einen neuen Job zu finden. Unter diesen Umständen könne sie in Friedrichshafen nicht weiterarbeiten: „Das kann ich auch psychisch gar nicht.“
Laut Klinikum sei es bislang aber nicht zu einer Kündigungswelle gekommen. „Die Fluktuation der vergangenen Monate entsprach der in den Vergleichszeiträumen der vergangenen Jahre. Es ist keine Abweichung zu registrieren“, sagt Pressesprecherin Susann Ganzert. Auch ein Rückgang von Patienten sei nicht zu registrieren, es seien sogar mehr Personen behandelt worden. „Das Klinikum Friedrichshafen verzeichnet im Vergleich zu den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 und auch zum Dezember 2022 eine leichte Fallzahlsteigerung“, sagt die Pressesprecherin.