Für Mehmet Uzun ist es nicht der erste Warnstreik, bei dem er seine rote Fahne schwingt. In der anderen Hand hält er eine Ratsche. Der 41-Jährige erzählt, dass er immer dabei ist, wenn die IG Metall zu einem Streik aufruft.

Dann bleibe die Arbeit, die er bei ZF in der Abteilung Disposition hat, eben mal „einen Tag liegen“. Eigentlich sei der Streik ein Streik wie jeder andere, sagt Uzun. Nur Trillerpfeifen gebe es an diesem Mittwochvormittag wegen der Corona-Pandemie keine.
Mehmet Uzun ist guter Dinge – es ist kurz vor 10 Uhr, die Sonne scheint und er freut sich auf seinen freien Tag, wie er dem SÜDKURIER erzählt. Wichtiger aber: „Ich bin heute hier, weil ich der Meinung bin, die Arbeitgeber sollen die Krise nicht auf Kosten der Arbeitnehmer ausnutzen.“

Derzeit findet die fünfte Runde der laufenden Tarifverhandlungen in Stuttgart statt. Deswegen hatte die Gewerkschaft IG Metall die Mitarbeiter von ZF und MTU zu einem Warnstreik rund um die Häfler Werke der Unternehmen aufgerufen.
IG Metall will Zeichen setzen – trotz Corona-Pandemie
Auch Angestellte der Häfler Betriebe Liebherr, Zeppelin und DGH Sand Casting kündigten im Vorfeld ihre Teilnahme an, wie Helene Sommer, Geschäftsführerin der IG Metall berichtet. „Wir wollen ein Zeichen setzen, dass Corona uns nicht davon abhält, für unsere Rechte einzustehen“, begründet Sommer den Aufruf zum Streik.

Für den Streik dachte sich die Gewerkschaft dieses Mal etwas Neues aus: Eine 3,2 Kilometer lange Menschenkette aus Mitarbeitern solle symbolisch ein Band der Solidarität darstellen, erklärt Sommer. „So etwas Aufwendiges haben wir noch nie organisiert. Ich bin gespannt, ob es am Ende reicht.“
Doch warum überhaupt der Warnstreik? Für was setzt sich die Gewerkschaft aktuell ein? 4 Prozent Endgeldvolumen lautet die konkrete Forderung der IG Metall in den laufenden Tarifverhandlungen. Zusätzlich sollen Ausbildung und Duales Studium verbessert werden, indem im Vertrag eine unbefristete Übernahme aller Auszubildenden festgehalten wird. Aktuell ist die Übernahme auf ein Jahr befristet.
Und das bedeutet für die Auszubildenden Ungewissheit, was ihre Zukunft betrifft. Eine der betroffenen ist Ronja Philipp. Die 20-Jährige macht momentan ihre Ausbildung zur Mechatronikerin bei MTU. Sie ist im dritten Lehrjahr und möchte eine sichere Zukunft haben, erzählt sie. Deswegen engagiert sie sich auch in der Ausbildungsvertretung des Unternehmens und bei der IG Metall.

„Die Forderungen, die wir bei den Verhandlungen für die Jugend stellen, sind wichtig“, betont Philipp. „Neben der unbefristeten Übernahme fordern wir schon während der Ausbildung für alle Azubis und Studenten eine Übernahme in die Tarifverträge.“
Ein weiterer Teilnehmer des Warnstreiks ist Martin Hergett. Der 28-Jährige arbeitet im Strategischen Einkauf bei MTU. Für ihn sei es bedeutsam, dass die „Errungenschaften“ der IG Metall der vergangenen Jahrzehnte im Rahmen der jetzigen Verhandlungen nicht „aufgeweicht“ werden. „Ich finde es etwa wichtig, dass die Alterssicherung erhalten bleibt“, nennt Hergett ein Beispiel.

Weil sie Zukunft, Beschäftigung und Entgelt sichern möchten, sind Sabine Kalin und ihr Kollege Kamil Cura beim Streik am Maybachplatz dabei. Die beiden arbeiten bei ZF in der Materialwirtschaft. „Wenn wir schon das Recht haben, zu streiken, dann müssen wir das auch nutzen“, findet Cura. Und Kalin ergänzt: „Eigentlich sind wir immer dabei, wenn die Gewerkschaft zum Streik aufruft.“

Mittlerweile ist es 10.16 Uhr. Helene Sommer kündigt über ein Mikrofon an, dass die Menschenkette vom Maybachplatz über Zeppelin, bis hin zum ZF Werk 4 und 2 sowie zurück bis zur MTU geschlossen ist. „Super, dass ihr da seid und dass alles so toll geklappt hat“, richtet Sommer ihre Worte an die Teilnehmer des Warnstreiks.
Nach Angaben von Sommer haben mehr als 7 000 Angestellte am Mittwoch ihre Arbeit niedergelegt. Auf die Straße gegangen seien aber nur circa 1 400 Menschen.
Dennoch lächelt die Geschäftsführerin der IG Metall. „Dafür, dass es unsere erste Menschenkette war, hat alles gut geklappt. Es gab meines Wissens nur ein paar kleine Lücken im Riedlepark“, sagt Sommer. „Nun genießen hoffentlich alle Teilnehmer bei tollem Wetter ihren freien Tag.“