Das Hotel Türmle ist im Stuttgarter Rotlichtviertel eine Institution. Dass in der Katharinenstraße 41 nicht herkömmlich genächtigt wird, ist im Internet seitenweise nachzulesen. Auch die Medien in der Landeshauptstadt beschäftigen sich seit Jahren mit dem eher schlecht als recht getarnten Bordell samt Gastwirtschaft. So schrieben die „Stuttgarter Nachrichten„ im November 2014 von erzürnten Anwohnern, die vor allem gegen die „Laufkundschaft“ vor dem Hotel Türmle protestierten. Bis dahin hatte die Stadt den Wirt in Ruhe gelassen. Die Prostituierten waren offiziell Hotelgäste und konnten so treiben, was sie wollten.

„Türmle“ ist in Stuttgart als Bordell stadtbekannt

Jener Wirt taucht unter anderem 2009 namentlich in einem Protokoll des Stuttgarter Bezirksbeirats Mitte auf. Gazmen G. hatte für die Gaststätte in der Katharinenstraße 41 in Stuttgart die Erlaubnis für eine Straßenwirtschaft beantragt.

Laut Bauvoranfrage, die dem Rathaus vorliegt, sollen drei Mehrfamilienhäuser mit jeweils fünf Geschossen an der Oranienstraße entstehen ...
Laut Bauvoranfrage, die dem Rathaus vorliegt, sollen drei Mehrfamilienhäuser mit jeweils fünf Geschossen an der Oranienstraße entstehen – mit Café und Spielothek. | Bild: Cuko, Katy

Genau dieser Name mit Stuttgarter Adresse steht aktuell als „Bauherr“ für ein Projekt an der Oranienstraße in Friedrichshafen auf den Plänen, die dem Rathaus vorliegen. Auf dem schmalen Streifen zwischen Bahnlinie und Straße sollen drei Mehrfamilienhäuser entstehen. Das wäre nicht nur das Ende der kleinen Schrebergartenanlage, die Fünfgeschossern weichen müsste.

20 von 25 Wohnungen als Einzelappartements ausgewiesen

Was als Wohnbauprojekt eigentlich harmlos klingt, lässt bei manchem Anlieger die Alarmglocken klingen. Denn im ersten und zweiten Stock sind ausschließlich Einzelappartements ausgewiesen – 20 von 25 Wohnungen. Zusätzlich sind ein Café und eine Spielothek vorgesehen. Das Rathaus bestätigt auf Anfrage, dass ein Antrag auf Bauvorbescheid für das Grundstück vorliegt. Entschieden sei darüber aber noch nicht.

Bei der Kreisbaugenossenschaft weiß man Bescheid

„Wir sind über die Tätigkeit des Bauherrn in Stuttgart informiert“, sagt Bernhard Küchle nüchtern. Er ist Geschäftsführer der Kreisbaugenossenschaft (KBG), der in der Oranienstraße ein dreigeschossiges Mehrfamilienhaus gehört. Seine Stellungnahme zu dem Projekt habe er dem Rathaus bereits mitgeteilt. „Spielothek und Café gehören nicht in ein Wohngebiet, das sehen wir kritisch.“ Darüber hinaus seien die drei Fünfgeschosser im Vergleich zum Bestand eine „sehr massive Bebauung“, die aus seiner Perspektive den Bogen des Baurechts überspanne. Zusätzlich problematisch sei die Zuspitzung der Verkehrssituation, argumentiert Küchle. Schon jetzt gebe es in der schmalen Einbahnstraße zu wenig Platz und Parkplätze.

Gerade mal zehn Meter breit ist der grünen Streifen zwischen Bahnlinie und Oranienstraße, den ein Bordellbetreiber aus Stuttgart bebauen ...
Gerade mal zehn Meter breit ist der grünen Streifen zwischen Bahnlinie und Oranienstraße, den ein Bordellbetreiber aus Stuttgart bebauen will. | Bild: Cuko, Katy

Für Anwohner sind Pläne „untragbar“

Auch Astrid Wallendorf, die am Ende der Oranienstraße wohnt und eine Praxis betreibt, hält nichts davon, dass dieser Grünstreifen zugepflastert werden soll. Auch eine möglicherweise beabsichtigte Nutzung als Terminwohnungen für Prostitution hält sie im Wohngebiet für indiskutabel. „Für uns Anwohner ist das untragbar“, sagt sie. „Wir werden alles versuchen, um dagegen vorzugehen.“ Die Fraktionen im Gemeinderat hätten sie bereits angeschrieben.

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Polizeirechtlich wäre Prostitution in der Oranienstraße möglich

Wäre die Eröffnung eines Bordells durch die Hintertür mitten in der Stadt überhaupt zulässig? Polizeirechtlich gebe es „grundsätzlich kein Verbot für die Prostitutionsausübung“ in der Oranienstraße, antwortet die städtische Pressestelle auf Anfrage. Das hätte sich anders dargestellt, wenn der Verwaltungsgerichtshof 2016 nicht die neue Sperrgebietsverordnung der Stadt gekippt hätte. Damals hatten sich Prostituierte, die im City-Hochhaus arbeiten, erfolgreich dagegen gewehrt, ihr Geschäft hier aufgeben zu müssen. Seither ist die „alte“ Verordnung, zuletzt 1986 geändert, wieder in Kraft.

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Möglichkeiten, das Rotlichtangebot in der Innenstadt zu begrenzen, gebe es trotzdem. Das Rathaus nennt das Bau- und Planungsrecht sowie das Prostituiertenschutzgesetz. Wer einen solchen Betrieb betreiben will, brauche dafür eine Erlaubnis. Wie sich das jahrelang umgehen lässt, zeigt allerdings nicht zuletzt das „Türmle“ in Stuttgart.

Grundstück gehört noch der Deutschen Bahn

Noch allerdings hat Gazmen G. das rund 1000 Quadratmeter große Grundstück nicht gekauft. Er lotet mit der Bauvoranfrage wohl erst einmal aus, wie weit das Rathaus mit seinen Bauplänen mitgehen würde. Eigentümer ist nach wie vor die Deutsche Bahn. Die hatte das Grundstück 2019 zum Verkauf ausgeschrieben. Startgebot: 235 000 Euro. Mittlerweile liege der Preis bei über 400 000 Euro, berichtet ein Interessent, der gern einen Teil des Areals kaufen würde, aber nicht in Erscheinung treten will. Er weiß aus Gesprächen mit der Immobilienabteilung der Bahn, dass der momentan Meistbietende sein Projekt als „Boardinghouse“ bezeichnet. Dies meint einen Beherbergungsbetrieb, der im Gegensatz zu Pension oder Hotel als ein „Zuhause auf Zeit“ auf einen etwas längeren Aufenthalt ausgelegt ist.

Die schmale Einbahnstraße ist nach Aussage von Anwohnern schon manchmal für die Müllabfuhr ein großes Problem. Die befürchten durch den ...
Die schmale Einbahnstraße ist nach Aussage von Anwohnern schon manchmal für die Müllabfuhr ein großes Problem. Die befürchten durch den Neubau noch mehr Parkprobleme. | Bild: Cuko, Katy

Auch Stadt ist am Grundstück interessiert, um Kleingärten zu erhalten

Auch die Stadt ist interessiert, allerdings an einer Erhaltung der Kleingärten mit der Option, in der Verlängerung der Oranienstraße einen Fußweg anzulegen. So sieht es zumindest der Entwurf für den „Rahmenplan Friedrichstraße West“ vor. „Wir sind mit der DB im Gespräch“, bestätigt eine Sprecherin der Stadtverwaltung. „In diesem Jahr soll das Grundstück (noch) nicht verkauft werden, so die Aussage der DB.“ Ein Vorkaufsrecht habe die Stadt aber nicht. Schwierig sei zudem ein enormer Unterschied im Verkaufspreis zwischen Grünfläche und potenziellem Bauland. Deshalb schließe das Rathaus derzeit nicht aus, für das Grundstück ein Bebauungsplan-Verfahren einzuleiten – noch bevor der Rahmenplan für die westliche Friedrichstraße stehe.