Es ist eine Ausstellung über Wege aus der Gegenständlichkeit, aber auch über Freundschaft und Loyalität, Begegnung und Selbständigkeit, Kunst und Naturwissenschaft: Die Ausstellung „Wege in die Abstraktion„ widmet sich den Werken von zwei sehr unterschiedlichen Künstlern, die einander freundschaftlich verbunden waren, voneinander lernten und sich doch sehr eigenständig entwickelten: Marta Hoepffner war eine zentrale Vertreterin in der experimentellen Fotografie, Willi Baumeister war als Grafiker, Maler und Hochschulehrer ein bedeutender Künstler der Moderne.
Ende der 20er Jahre beginnt Marta Hoepffner ein Studium an der Frankfurter Kunstgewerbeschule bei Willi Baumeister. Er ermuntert sie, ihren Weg zu gehen, auch wenn sie eine andere künstlerische Ausdrucksform wählt. Er zeichnet und malt, sie fotografiert. Erstaunlich oft ähneln sich trotzdem ihre Themen – das Interesse am menschlichen Körper etwa.
Die Künstler
Die Ausstellung ist so gehängt, dass weniger zeitliche Aspekte eine Rolle spielen, sondern Entwicklungen und Berührungspunkte der Künstler deutlich werden. Sie folgt damit der Konzeption des assoziativen Sehens.
Bei der Betrachtung menschlicher Körper etwa sind beide Künstler weniger an einer Abbildung als solcher interessiert, sondern an Spannungsfeldern zwischen Licht und Schatten, Dynamik und Statik.
Bewegungen festzuhalten wurde für beide zur Herausforderung: Baumeister arbeitete mit Sand und Öl, hielt Abläufe in fließenden Formen oder mit Mehrfachdarstellungen fest. Hoepffner probierte es mit Mehrfachbelichtungen und Überblendungen.
Beide interessierten sich für Naturwissenschaft und Technik. Hoepffners Thema wurde das Licht und seine Zerlegung. Nach dem Studium der Farbenlehrer von Isaac Newton entwickelte sie ihre sogenannten variochromatischen Lichtobjekte.
Sie bestehen aus einer Lichtquelle, die einen Polarisationsfilter eine Collage aus doppelbrechenden, transparenten Kunststoff-Folien und einen weiteren Polarisationsfilter durchleuchtet. Das Licht wird teilweise vom ersten Filter absorbiert, von den Folien in Teilbündel getrennt und vom zweiten Filter wieder teilweise absorbiert. Dadurch werden Farben sichtbar, welche je nach Dicke der Kunststoff-Folien variieren.
Durch die Drehbewegung des Polarisationsfilters ändern diese Collagen oder Arrangements ihre Farbe.
Bei anderen können die Besucher den zweiten Polarisationsfilter bewegen und so selbst den Prozess vom Unsichtbaren zum Sichtbaren anregen.
Den variochromatischen Objekten gegenüber ist Baumeisters Entwurf des Mechano abgebildet: eine Maschine, die laut Baumeister keinen praktischen Zweck verfolgt, sondern nur der künstlerischen Kraftentfaltung dient. Dahinter steht die Idee einer Bewegung sowohl der Bildfläche als auch der Einzelformen. So verbindet der Mechano Statik mit Bewegung.
Baumeisters „Safer“-Gemälde leben vom Kontrast gelber und schwarzer Flächen. „Safer“ ist eine Wortschöpfung, die sich auf den safranfarbenen Bilduntergrund bezieht. Baumeister interessierte sich für prähistorische Kunst, in diesen Bildern werden Bezüge zur Höhlenmalerei deutlich. Er arbeitete mit Sand und Kunstharz, um den Oberflächen Struktur zu verleihen. Hoepffners „Skurrile Schluchten“ sind Solarisationen, die in starken Kontrasten die archaische Struktur von Felsen und Steinen festhalten.
In Baumeisters letztem Werkkomplex, der Serie Montaru, bestimmen schwarze Flächen das Bildzentrum, die in Spannung zu kleineren bunten Arealen stehen. Er selbst sagte dazu: „Montaru ist ein Wortklang. Mont heißt ja Berg, und da ich eine große Fläche gemacht habe mit Schwarz, die quasi schwebt, also ein schwebender Berg, heißt es also Mont. Und aru ist ein phonetischer Klang von blau-rot mit den anderen primären Farben, also grün-gelb und violett usw. Das ist ein tiefer sonorer Klang.“ Hoepffners Schwarz-Weiß-Solarisationen und Fotogramme beschreiben Veränderungsprozesse. Bei den Fotogrammen entstehen Bilder ohne Kamera, indem auf lichtempfindlichen Film gesetzte Objekte beleuchtet werden.
Auf dem Weg in die Gegenstandslosigkeit: Hoepffners abstrakte Werke sind oft genau beobachtete und präzise fotografierte Natur: Rillen im Sand oder ein aufgeschnittener Rotkohl. Baumeisters Eidos-Bilder zeigen phantastische Szenerien, die entfernt an schwebende menschliche Gestalten erinnern.
Baumeister setzte sich intensiv mit der Wechselwirkung von Bild und Schrift auseinander. Viele Bilder verweisen auf chinesische Schriftzeichen, andere Werke beziehen sich nur noch vage auf bekannte Zeichen. Die verschwimmenden Schwarz-Weiß-Kontraste in Hoepffners Landschaftsaufnahmen erinnern ebenfalls an abstrakte Zeichen.
Die Ausstellung „Wege in die Abstraktion„ präsentiert neben Werken aus 60 Jahren mutiger und experimentierfreudiger Kunst Teile des Briefwechsels der Künstler. Sie bestätigen die persönliche Nähe und gegenseitige künstlerische Wertschätzung.
In einem Video des Museums gibt Direktorin Claudia Emmert per Video eine Einführung in die Ausstellungskonzeption: https://www.youtube.com/watch?v=lqzzM1QN6Ac