„Irgendwann ist alles wund gesessen, dann wird das Sitzen auf dem Sattel zur Qual – vor diesen Schmerzen habe ich schon Respekt.“ Patrick Majerle weiß, worauf er sich einlässt, wenn er am 7. Februar beim Atlas Mountain Race in Marokko an den Start geht. Sieben Tage geht es für den Ravensburger dann mit dem Rad 1300 Kilometer durch die zerklüftete Landschaft des Atlasgebirges, auf bis zu 2400 Meter Höhe.

„Ein befreundeter Radsportler hat mir gesagt: Es gibt Rennen, bei denen hast du die Glücksgefühle, während du sie fährst. Und dann gibt es das Atlas Race; da kommt die Freude ein halbes Jahr später, weil die Strapazen währenddessen so groß sind“, sagt Majerle und lacht. Für ihn ist es nach dem Silk Road Mountain Race in Kirgisistan im August vergangenen Jahres das zweite große Bikepacking-Rennen. Bikepacking bedeutet, dass die komplette Ausrüstung in Taschen am Fahrrad oder in einem Rucksack transportiert wird, inklusive Zelt oder Biwak zum Schlafen. Meist geht es über unbefestigte Wege, so auch beim Atlas Mountain Race.

„Du bist praktisch ständig auf Geröll, auf den Bergabfahrten muss oft geschoben werden, da fahren zu gefährlich wäre.“ Was für andere wie eine Tortur klingt, macht Patrick Majerle freiwillig. Wobei er sich keinen Illusionen hingibt: „Die Momente des Verzweifelns aufgrund der Schmerzen werden kommen. Der Trick ist, im Moment des Verzweifelns weiterzumachen.“ Das habe er in Kirgisistan gelernt – und eigentlich sind diese Momente der Hauptgrund, warum er sich die Strapazen antut: „Während des Rennens durchlebe ich so viele Gefühle. Ich lache, weine, bin überglücklich oder komplett am Boden, manchmal auch alles gleichzeitig. Aber das Wichtigste ist, ich spüre mich selbst so intensiv, wie ich es sonst selten tue.“

Patrick Majerle beim Silk Road Mountain Race in Kirgisistan im August 2024. Eine aus einem Sturz resultierende Verletzung brachte ihn ...
Patrick Majerle beim Silk Road Mountain Race in Kirgisistan im August 2024. Eine aus einem Sturz resultierende Verletzung brachte ihn dort um die Zieleinfahrt. | Bild: Patrick Majerle

Drei Rennen sind dieses Jahr geplant

In seiner Jugend hat Patrick Majerle Streetdance gemacht, doch mit dem Einstieg ins Berufsleben sei der Sport in den Hintergrund gerückt, berufliche Ziele dafür im Fokus gewesen. „Mit der Zeit habe ich gemerkt, dass meine Sinne total abstumpfen und ich mich wie betäubt fühlte. Es ging immer nur um das nächste Projekt auf der Arbeit.“ Dadurch sei der Entschluss gereift, etwas zu ändern, einen Ausgleich zum Alltag zu finden – und der Plan, am Silk Road Race in Kirgisistan teilzunehmen, nahm Formen an.

Patrick Majerle beim Training im heimischen Unterankenreute im Landkreis Ravensburg.
Patrick Majerle beim Training im heimischen Unterankenreute im Landkreis Ravensburg. | Bild: Patrick Majerle

In der Vorbereitung und vor allem beim Rennen selbst habe er gespürt, wie all seine Sinne aktiviert werden und er komplett im Moment ist. „Das mag vielleicht etwas pathetisch klingen, aber das sind Erfahrungen, auf die ich glücklich und mit Stolz zurückblicken werde, wenn ich einmal auf dem Sterbebett liege“, sagt der 38-Jährige. Angesichts der Erfahrungen in Kirgisistan habe er dann schnell die Planungen für das Atlas Mountain Race in Angriff genommen.

Jenes in Marokko ist das erste von drei Rennen, bei denen Majerle 2025 antreten will. Im Mai steht das Hellenic Mountain Race durch das griechische Pindosgebirge an. Im August will Majerle das Rennen in Kirgisistan erfolgreich absolvieren, nachdem er beim ersten Versuch kurz vor dem Ziel verletzungsbedingt aufgeben musste. Alle drei Rennen gehören in ihrem Segment zu den härtesten der Welt.

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Winter sorgt für Motivationstief

Deshalb will er das Rennen in Marokko zur Bestandsaufnahme und als Fitnesstest nutzen: „Die Vorbereitung war nicht optimal. Ich habe nicht so viel trainiert, wie ich es gerne hätte.“ Das habe auch an kleineren Motivationstiefs gelegen. Im Winter trainiere es sich schließlich nicht so leicht wie im Sommer. Dann ist Majerle oft mit dem Häfler Radsportverein Seerose unterwegs. Zurzeit müsse aber aufgrund der Witterungsbedingungen der Heimtrainer herhalten. Einen Platz im vorderen Drittel peilt er aber trotzdem an und erhofft sich dabei auch Unterstützung von den anderen Teilnehmern.

Zurzeit trainiert Patrick Majerle meistens auf dem Heimtrainer. Umso mehr freut es ihn, wenn das Wetter eine Radtour draußen zulässt.
Zurzeit trainiert Patrick Majerle meistens auf dem Heimtrainer. Umso mehr freut es ihn, wenn das Wetter eine Radtour draußen zulässt. | Bild: Patrick Majerle

Beim zweiwöchigen Silk Road Race habe er nicht oft andere Fahrer gesehen. In Marokko erwartet Majerle nun mehr Gesellschaft: „Die Strecke ist kürzer, da wird man sich häufiger begegnen.“ Die anderen Teilnehmer zu treffen, darauf freut er sich jetzt schon: „Das ist wie ein Klassentreffen mit unheimlich starkem Gemeinschaftsgefühl, alle treiben sich gegenseitig an und sind füreinander da, das gibt mir während des Rennens sehr viel Kraft.“

Aufmerksamkeit für einen guten Zweck nutzen

Aber auch auf die Begegnungen mit den Einheimischen freut sich Majerle. Und er will etwas zurückgeben: „Wie schon in Kirgisistan habe ich wieder eine Spendenaktion gestartet. Mit dieser möchte ich auf die Situation junger Frauen in Marokko, vor allem in den ländlichen Gebieten, aufmerksam machen, da diese oftmals keinen Zugang zu Bildung haben.“ Das gesammelte Geld fließe zu 100 Prozent an eine Organisation, die Internate aufbaut und betreibt. „Ich weiß, wie privilegiert ich bin, dass ich überhaupt in der Situation bin, mir die Teilnahme an diesem Rennen zu leisten“, sagt Majerle. Deswegen wolle er dabei helfen, anderen die Chance auf sozialen Aufstieg zu ermöglichen, und Bildung sei der Schlüssel dazu.

Viel Zeit ist nicht mehr bis zum Rennen. Am 3. Februar fliegt Majerle nach Marokko. „Ich freue mich total auf die Landschaft und will versuchen, alles so gut es geht zu genießen“, sagt er. Dabei helfen könnte, dass er mit weniger Gepäck als in Kirgisistan fährt. „Da hatte ich auch ein paar unnötige Dinge dabei, wie ein Deodorant – das braucht garantiert niemand bei solch einem Rennen, den Fehler mache ich nicht mehr“, sagt er und lacht.