„Wir sind voll.“ Das muss Manuela Buschle vielen Angehörigen sagen, die einen Betreuungsplatz für ihre Angehörigen suchen. Sie ist Leiterin der Linzgau-Diakonie-Altenhilfe in Überlingen: 46 Betten für Bewohner, 15 Senioren in der Tagespflege. Vier offene Stellen, die Buschle nicht besetzen kann. Damit ist sie nicht allein.
„Jede Einrichtung ist am Anschlag“, sagt Buschle, „und das nicht erst seit Kurzem.“ Bereits vor der Corona-Pandemie sei die Lage prekär gewesen. Fachkräftemangel, viel Verantwortung, Schichtdienst. „Nicht viele wollen diese Arbeit machen.“ Doch inzwischen habe sich die Situation verschärft. Einen Grund dafür sieht sie in den Regeln zum Coronaschutz.
Problem Impfpflicht
„Seit 16. März gilt die einrichtungsbezogene Impfpflicht, seit 1. Oktober darf ich niemanden mehr neu einstellen, der nicht dreifach geimpft ist.“ Daher bekomme sie offene Stellen teils nicht besetzt. Auch der Bedarf an Pflegeplätzen steige kontinuierlich. „Die Menschen leben länger, haben unterschiedliche Gebrechen – und brauchen umso mehr Fürsorge.“
Ähnlich sieht das Ulrich Dobler. Er ist Sprecher der Stiftung Liebenau. Die Einrichtung bietet an vielen Standorten Pflege an, etwa in Friedrichshafen, Meckenbeuren und Tettnang. Dobler spricht vom zunehmenden Bedarf an Pflegeplätzen – und dem „Brennglas Corona“, das die Arbeit erschwere: Hohe Standards beim Infektionsschutz, strenge Vorgaben für Mitarbeiter. „Die Folge ist ein zunehmendes Maß an Unverständnis und Demotivation der in der Pflege tätigen Menschen.“
Bei ambulanten Diensten sieht es nicht besser aus. Bernd Vogel leitet den Pflegedienst Hertkorn mit Sitz in Überlingen. Mit 16 Angestellten versorgt er zwischen 110 und 120 Haushalte der Region „Ich habe schon komplette Touren abgesagt“, sagt er. Noch betreffe das vornehmlich Senioren, die nur Hilfe im Haushalt brauchen. Doch bisweilen kann er auch Termine bei Klienten nicht besetzen, die intensivere Versorgung benötigen. Hinzu kommt: „Derzeit kann ich nur Kunden annehmen, wenn welche wegfallen.“
Wer also pflegt Oma und Opa, wenn es die Dienste nicht mehr können?

Ulrich Dobler spricht aus, was viele Angehörige bereits wissen: „Wenn die Dienste keine Kapazitäten mehr haben, trägt die Familie künftig wieder eine größere Verantwortung.“ Dass das für viele schwer leistbar ist, weiß auch Dobler. Bettlägerige, demente und chronisch Kranke zu versorgen, das geht schnell an die Substanz. Hinzu kommt: Wer Mutter oder Vater pflegt, kann schwer selbst einer eigenen Arbeit nachgehen.
Die wichtigste Forderung
Wer die Verantwortlichen in den Heimen nach Lösungen fragt, bekommt stets dieselbe Antwort: Es braucht mehr Personal. Deshalb sind alle Maßnahmen willkommen, die den Mangel lindern. Manuela Buschle von der Linzgau-Diakonie-Altenhilfe sieht Potenzial darin, Menschen mit Migrationshintergrund den Eintritt ins Berufsleben zu erleichtern.
„Derzeit braucht man für die Ausbildung zur Pflegehilfskraft mindestens den Hauptschulabschluss“, erläutert sie. „Doch welche Geflüchteten nehmen schon ihre Zeugnisse mit?“ Was ihr vorschwebt, ist daher ein duales Ausbildungsangebot, eine Kombination aus Berufsausbildung und Hauptschulabschluss. Buschle betont: „Damit das auch Sinn ergibt, brauchen wir mehr Zuwanderung.“
Ähnlich sieht das auch Andrea Kreuzer, Sprecherin der Stadt Friedrichshafen. Die Kommune ist für das örtliche Karl-Olga-Haus zuständig. Kreuzer schreibt: „Wir haben schon vor einigen Jahren damit begonnen, ausländische Auszubildende anzuwerben, zu begleiten und nach bestandener Prüfung zu übernehmen.“ Erst im August hätten vier Auszubildende ihre dreijährige Ausbildung als Altenpflegerinnen beendet. Auch Manuela Buschle hat bereits einen Pfleger aus Marokko eingestellt.
Politik in der Pflicht
Doch auch anderswo gibt es Verbesserungspotenzial, wie Bernd Vogel vom ambulanten Pflegedienst weiß. „Die Bundesregierung hat alle Einrichtungen verdonnert, zum 1. September des Jahres die Löhne zu erhöhen.“ Mit der sogenannten Tariftreueregelung soll der Pflegeberuf besser bezahlt werden. Eigentlich eine gute Idee, findet Bernd Vogel – mit einem Problem: „Wir bekommen unser Geld von den Krankenkassen.“ Die erhöhten Lohnkosten könne er bislang nicht refinanzieren. Hier sieht er nun die Berufsverbände in der Pflicht, mit den Kassen zu verhandeln. Sonst wird es ökonomisch eng für ihn.
Und noch eine Sache würde den Einrichtungen wohl helfen: Eine Lockerung der Impfpflicht. Diese gilt laut Ulrich Dobler noch bis zum Jahresende. „Eine geplante Verlängerung ist mir bislang nicht bekannt“, so der Sprecher. Der Wegfall der Regelung könnte wohl ein wenig Druck vom Pflegesystem nehmen. Doch für nachhaltige Verbesserungen – da sind sich die Betreiber einig – braucht es tiefgreifendere Maßnahmen durch die Politik.