Das klang mysteriös: „Ich habe heute morgen, kurz vor zehn, vier parallel, nah beieinander, und recht schnell fliegende Flugobjekte über Heiligenberg/Moos gesehen!“ So schrieb Wolfgang Riegger am Mittwoch, 27. Mai, an den SÜDKURIER. „Flugzeuge konnte ich vor den Kondensstreifen nicht erkennen.“ Was war das? Der Luftraum über Deutschland und der Welt zeigte sich zu diesem Zeitpunkt fast leer von Verkehrsflugzeugen. Im Himmel über der Bodenseeregion, sonst zentrale Drehscheibe des europäischen Flugverkehrs, herrschte wegen des Corona-Shutdowns schon wochenlang schier gespenstische Stille. Umso seltsamer diese vier versetzten Kondensstreifen, die scheinbar ohne Flugzeuge entstanden.
„Solche Phänomene kennt man aus Marvelfilmen„
Gemeinsam mit einem Bekannten hatte Wolfgang Riegger das Schauspiel beobachtet, das sich „gefühlt in Richtung Schweiz„ abspielte. „Hast du so was schon mal gesehen?“, habe sein Bekannter gefragt. Nein, so etwas kenne man doch nur aus Filmen, aus „Marvelfilmen„, fühlte sich Riegger an diese Streifen erinnert, in denen gute und böse Superhelden mit solchen Kondensstreifen in den Himmel steigen. „Diese Synchronität und Präzision„ sei schon sehr beeindruckend gewesen, meint der Augenzeuge. Einen Überschallknall allerdings hat er nicht wahrgenommen. „Es gab da nur dieses typische Geräusch von Düsenflugzeugen.“

Erste Anfragen des SÜDKURIER bei Fachleuten in der Umgebung erbrachten nur vage Hinweise – doch jetzt scheint das Rätsel gelöst. Diverse Anfragen dieser Zeitung führten zum Erfolg. Das Luftfahrtamt der Bundeswehr und die für die Bodenseregion zuständige Luftüberwachung „skyguide„ in Zürich klärten das Mysterium auf.
„Übungsflugbetrieb im zeitweise reservierten Luftraum„
„Der Bereich Heiligenberg-Moos liegt knapp außerhalb des zeitweise reservierten Luftraums TRA ALLGÄU, welcher sich über Teile von Bayern und Baden-Württemberg erstreckt“, erläutert Hauptfeldwebel Almir Hrnic vom Luftfahrtamt der Bundeswehr. Hinter der Abkürzung TRA verbirgt sich der „Temporary Reserved Airspace“, ein zeitlich begrenzt frei gehaltener Luftraum „für verschiedene Übungsflugvorhaben, insbesondere von Abfangjägern“, schreibt der Sprecher des Luftfahrtamtes der Bundeswehr weiter. „Anhand der Bilder kann davon ausgegangen werden, dass es sich um Übungsflugbetrieb von Luftfahrzeugen des Typs Eurofighter handelt.“
Kampfjets sehr klein im Vergleich zu Verkehrsflugzeug
Damit bestätigen sich die Vermutungen von Flugzeugkennern, die in den letzten Wochen mehrfach zu hören waren: Kampfjets sind wesentlich kleiner als die Verkehrsflugzeuge, die wir normalerweise zu Dutzenden über uns sehen. Ein Airbus A 380 etwa, das derzeit größte Verkehrsflugzeug, hat eine Flügelfläche von rund 850 Quadratmetern, ein Tornado-Kampfjet der Luftwaffe mit Schwenkflügeln gerade einmal 26 Quadratmeter. Unsere Sehgewohnheiten sind geprägt von den oft riesigen Verkehrsflugzeugen, die im Landeanflug auf Zürich-Kloten über dem Linzgau teils schon unter 3000 Metern gehen. Im vergangenen Jahr verzeichnete der Flughafen Kloten über 275 000 Starts und Landungen. Besonders beeindruckend der Gigant A 380, von dem bis zum Shutdown täglich mindestens zwei Maschinen Zürich anflogen, am Morgen die Maschine der Singapore Airlines und Mittags jene der Emirates. Spannweite 80 Meter, der Eurofighter Typhoon indes, hat gerade elf Quadratmeter.

Dass man die kleinen Flugzeuge vom Boden aus nicht erkennen konnte, lag laut der Fachleute auch an den Lichtverhältnissen: Die Sonne stand an jenem Morgen hinter den Luftfahrzeugen, so dass die gleißenden Kondensstreifen die vier Jetwinzlinge überstrahlten, die sich in völlig anderen Geschwindigkeitsdimensionen bewegen, als Verkehrsflugzeuge. Der Eurofighter fliegt bis zu Mach 2,35 – je nach Lufttemperatur zwischen 2500 und 2900 Stundenkilometern.
„skyguide„ wurde über Erlaubnis für „akrobatische Flüge“ informiert
Und dass hier an diesem Mittwoch ganz sicher deutsche Jets übten, bestätigt auch die Schweizer Flugsicherung „skyguide“, die für das Bodenseegebiet grenzüberschreitend zuständig ist. „Gemäß unseren internen Recherchen haben wir keine spezielle Erlaubnisanfrage für die Schweiz bei der Flugsicherung skyguide erhalten“, erklärt skguide-Pressesprecherin Prisca Huguenin-dit-Lenoir gegenüber dem SÜDKURIER. „Hingegen haben wir eine Mitteilung von Deutschland erhalten, dass dort eine Erlaubnis für den 27. Mai in der angegebenen Region für akrobatische Flüge auf rund 2000 Meter gegeben wurde“, so die skyguide-Pressesprecherin weiter. „Daher könnte es sich bei der angegebenen Sichtung um diese Flüge gehandelt haben“, erläutert die Sprecherin der Zürcher Flugüberwachung. „Da es sich um Deutsches Gebiet handelt, kann es sich nicht um Schweizer Kampfjets gehandelt haben, es sei denn, es wurde eine Abmachung vereinbart zwischen Deutschland und der Schweiz.“ Und die gab es nach dem Stand der Dingen nicht.