Alexandra Gretscher ist Lehrerin in Friedrichshafen. Und nebenbei ist sie Imkerin in Markdorf. Seit sechs Jahren beherbergt sie zusammen mit ihrem Mann einige Bienenvölker in ihrem Garten. Heute ist Schleudertag, und ich habe sie bei dieser fast meditativen Tätigkeit besucht.

Betritt man den Schleuderraum des Markdorfer Imkervereins im Hinterhof der Hauptstraße, schlägt einem der süß-herbe Duft von Bienenwachs und Honig entgegen. Mich erinnert dieser Duft an meine Kindheit und an schier endlose Sommer im Allgäu. Und an das bunte „Haus Ambrosius“ am Waldrand, das Bienenhaus meines Großvaters. Es erinnert mich an das Summen in den Wiesen davor und an die stete Aufmerksamkeit, auf keinen Fall auf wutentbrannte Bienen zu treffen, die sich fürchterlich echauffierten, wenn sie am Schleudertag ihrer prall mit Honig gefüllten Waben beraubt wurden. War man unvorsichtig, dann hieß es nur noch, Fersengeld geben. Aber meistens waren die Summseriche schneller und man selbst um ein dickes Ohr reicher.

„Heute sind die Völker deutlich sanftmütiger“, sagt Alexandra Gretscher, als wir uns an dem kühlen und regnerischen Vormittag treffen. Ungünstiges Wetter für den Bienenflug, ein nasses Frühjahr, aber dennoch höchste Zeit, zu schleudern, denn die Waben seien zum größten Teil schon verdeckelt. Nebenbei erzählt Alexandra Gretscher, dass im Laufe der Jahre immer wieder neue Züchtungen entstanden seien, die neben einer friedvollen Koexistenz mit dem Menschen auch einen hohen Ertrag versprechen.

„Eigentlich ist das ziemlich gemein, was wir hier machen“, sagt die Imkerin, die an diesem Vormittag rund 20 Kilogramm Honig aus den goldglänzenden Waben zweier Bienenvölker gewinnen will. An ihrer Schule in Friedrichshafen hält Alexandra Gretscher zwei weitere Völker und möchte mit diesen „Lehrbienen“ ihren Schülern das hochintelligente Kollektivverhalten und deren faszinierende Organisation näher bringen. Ein „fliegendes Klassenzimmer“ sozusagen. „Bienen zählen für den Menschen zu den wichtigsten Nutztieren„, erklärt Alexandra Gretscher.
Aber warum gemein? „Wir nehmen den Bienen ihr Futter weg“, sagt sie. Freilich nicht das gesamte Futter, „ich lasse immer mindestens ein Drittel übrig.“ Denn nur so sei ihres Erachtens ein wertschätzendes Miteinander möglich. „Es ist aber nicht nur der Honig, den uns die Bienen schenken“, zählt Alexandra Gretscher die Heilkräfte aller Produkte aus dem Mund der Biene auf – und kokettiert in meine Richtung: „Im Prinzip wird Honig ja zum Teil aus Spucke gemacht.“ Die Spucke bleibt mir zwar nicht weg, dennoch breitet sich ein Schauder vom Nacken her aus. Aber nur für eine kurze Sekunde, denn ich weiß ja, dass jedes Kind schon in der Schule lernt, wie im Honigmagen der Biene Honig entsteht. Vor allem weiß ich, wie er sich auf der Zunge anfühlt. Und wie köstlich er schmeckt.
Bis dahin ist aber noch ganz schön viel zu tun, denn zunächst heißt es, die Waben vorsichtig mit einer Art Gabel zu entdeckeln. „Wenn die Waben verdeckelt sind, ist das ein Zeichen, dass der Honig reif ist“, erklärt Alexandra Gretscher. Für die Biene also der richtige Zeitpunkt, den Honigvorrat einzulagern. Wäre da nicht der Mensch.
Erst dann kommen die Waben nacheinander in die Zentrifuge. Und endlich der Moment, wo die Imkerin die Klappe an der Honigschleuder öffnet. Und da fließt es heraus, das süße Gold. Kindheitserinnerungen werden wach... Aber ich weiß schon: Finger untern Ausfluss halten und einmal ablecken ist heut nicht mehr. Mit einem Löffel dürfe ich probieren, sagt Alexandra Gretscher und reicht mir einen kleinen Plastikspatel. Manche Dinge haben sich im Lauf der Jahrzehnte geändert. Aber nicht der Geschmack von frisch geschleudertem Bienenhonig!

„Hallo Mädels!“, ruft Alexandra Gretscher fast liebevoll, wenn sie die Deckel der Bienenstöcke in ihrem Garten anhebt. Und die Buben? „Ach, die lassen sich nur bedienen“, lacht sie über die trägen Drohnen, denen lediglich eine einzige Aufgabe zukommt: Nämlich die Königin zu begatten. Danach endet ihr kurzes Leben.

Jeden Tag auf‘s Neue ist die Imkerin fasziniert von dieser kollektiven Intelligenz eines Bienenvolkes, wo Gruppen von Individuen durch Zusammenarbeit intelligente Entscheidungen treffen. So bauen etwa die Arbeiterbienen unter anderem die Waben für die Drohnen. „Und sie wissen genau, dass diese größer sein müssen als ihre eigenen“, erklärt Alexandra Gretscher. Überhaupt: Weshalb die sechseckige Wabenform? Was für eine Frage! „Weil das die stabilste Bauform ist, die in der Natur vorkommt“, erklärt mir später meine Tochter. Das hätte sie in der Schule gelernt.
Vorsichtig hebt Alexandra Gretscher einen Rahmen aus dem Kasten. Biene an Biene an Biene – und mir bleibt jetzt echt die Spucke weg, als sie seelenruhig über die wuselnde Wabe streicht. „Es ist die eigene Ruhe, die den Bienen suggeriert, dass keine Gefahr droht“, erklärt Alexandra Gretscher das einfache Prinzip von actio und reactio. So anschaulich machen Bienen Schule.
Honig
Schon in der Antike wurden die wertvollen Eigenschaften von Honig geschätzt. In der Naturheilkunde findet das natursüße Erzeugnis für seine positive Wirkung auf das Immunsystem, Gewicht und Wohlbefinden des Menschen Anwendung. „Nicht zu vergleichen ist der Imkerhonig aber mit dem Honig aus dem Supermarkt, der aus Plastikflaschen fließt“, räumt Alexandra Gretscher mit dem Irrglauben auf, Honig sei Honig. Denn durch die starke Erhitzung werden bei diesem Produkt sämtliche gesundheitsfördernde Inhaltsstoffe zerstört. Sie selbst benutze übrigens deshalb auch keinen ihrer Honige zum Backen. „Das wäre viel zu schade um dieses hochwertige Naturprodukt.“
Blütenpollen
Der Blütenpollen ist äußerst nahrhaft und besitzt die Eigenschaft, Mangelerscheinungen im Organismus des Menschen auf völlig natürlich-biologische und ungewöhnlich wirksame Weise zu beheben. „Ich selbst zermahle die Pollen zunächst, und dann geb ich sie übers Müsli“, sagt Alexandra Gretscher. Nicht zu viel sollte man davon zu sich nehmen, „denn die Pollen sind so nahrhaft und eiweißreich, dass sie der Körper in geballter Ladung gar nicht so schnell verwerten kann.“ Aber wie gewinnt man dieses wertvolle Bienenprodukt? „Da gibt‘s einen Trick“, lacht Alexandra Gretscher. Man verkleinert den Eingang am Bienenkasten, sodass etwas von dem Pollen an der „Pforte“ abgestreift wird.
Bienenwachs
Nicht nur, um Wachstücher als hübsches Verpackungsmaterial herzustellen, verwendet Gretscher das recycelte Bienenwachs. „Auch für Wickel ist das Bienenwachs bestens geeignet“, erklärt sie das Prinzip, nach dem früher auch Schweineschmalzwickel Anwendung fanden. Bei Husten sind wärmende Wickel hilfreich, um den Husten zu lösen und die Muskulatur zu entspannen. Schon bei Babys können die Bienenwachswickel angewendet werden. Herstellung: Baumwollstoffbahnen in geschmolzenes Bienenwachs tauchen und nach zwei, drei Tauchungen trocknen lassen. Mit einer Salbe oder einem Öl darunter kann mit der angewärmten Bienenwachsplatte die Brust durchwärmt werden.
Propolis
Propolis, auch „Bienenharz“ oder „Kittharz“ genannt, ist eine bräunliche, harzige Substanz, die von Bienen produziert wird, um Schäden am Bienenstock zu kitten und das Innere der Waben zu überziehen und vor Schädlingen zu schützen. Bienen stellen den Stoff her, indem sie Harz von Bäumen, ihr Speichelsekret, Pollenbalsam und ätherische Öle aus Blüten miteinander verarbeiten. Spezielle Harzbienen sind hierfür zuständig. Je nach Größe des Bienenstockes kann ein Volk pro Jahr bis zu ein halbes Kilo Bienenharz produzieren. Propolis wirkt gegen Pilze, Viren und Bakterien. „Man muss aber vorsichtig sein bei der Dosierung“, mahnt Alexandra Gretscher, denn es habe eine starke Wirkung.
Heinz Erhardts „An die Bienen“
Bienen! Immen! Sumseriche!
Wer sich je mit euch vergliche,
der verdient, daß man ihn töte!
Daß zumindest er erröte!
Denn, wie ihr in Tal und Berg schafft
ohne Zutun der Gewerkschaft,
ohne daß man euch bezahle,
ohne Streik und Lohnspirale,
täglich, stündlich drauf bedacht,
daß ihr für uns den Honig macht,
ihr seid‘s wert, daß man euch ehre!
Wobei vorzuschlagen wäre –
ob nun alt ihr, ob Novizen –
euch von heute ab zu siezen!
Unser Dank, unser Applaus
säh in etwa dann so aus:
„Sehr geehrte Honigbienen!
Wir Verbraucher danken Ihnen!“