Nach vielen Jahren in der technischen Forschung und Entwicklung sind Sie 2018 mit 63 Jahren in den Ruhestand gewechselt. Wie hat sich der nahtlose Übergang von einer 50- bis 60-Stunden-Woche zur Rente für Sie angefühlt?
Im Nachhinein betrachtet muss ich ehrlichweise zugeben, dass ich meinen Ruhestand sehr schlecht vorbereitet habe. An einem Freitag hatte ich damals meinen letzten Arbeitstag und am Montag drauf bin ich natürlich ganz normal wie immer aufgestanden. Aber dann kam ganz schnell der Gedanke: Was mache ich denn jetzt? Ich wusste mit der vielen Freizeit erst mal nicht wirklich etwas anzufangen. Doch das sollte sich dann glücklicherweise schneller ändern, als ich dachte.
Sie haben nach nur wenigen Tagen im Ruhestand begonnen, sich mit ehrenamtlichen Aufgaben zu beschäftigen. Wie kam dieser Wandel?
Die Motivation, ein Ehrenamt zu übernehmen, war bei mir schon lange vorhanden, nicht erst mit Eintritt in den Ruhestand. Es hat nur an der Zeit gefehlt, da ich beruflich zu sehr eingespannt war und auch noch elf Jahre lang zwischen Ulm und Markdorf hin und her gependelt bin. Eine sehr geschätzte Nachbarin, die sich mit Leib und Seele im Mehrgenerationenhaus engagiert, hat mich gefragt, ob ich nicht Mathe-Nachhilfe geben könnte. Und dann kam eins zum anderen. Zwischenzeitlich unterstütze ich fast täglich bei den verschiedensten Projekten und arbeite unter anderem auch viel mit Kindern, Familien und Menschen unterschiedlichster Nationalitäten.
Die meisten Berufstätigen freuen sich auf die Rente, um auf Reisen zu gehen, sich dem Hobby zu widmen oder dem Nichtstun zu frönen. Sie jedoch widmen viel Zeit anderen Menschen.
Ich habe als junger Mensch in Deutschland eine tolle Ausbildung genießen dürfen und mein Abitur und mein Studium ohne jegliche Schul- oder Studiengebühren absolvieren dürfen. Das ist für mich keine Selbstverständlichkeit. Die deutsche Gesellschaft, respektive die Steuerzahler haben mir dies ermöglicht und ich bin dafür heute immer noch sehr dankbar. Ich habe bisher ein zufriedenes Leben geführt und führe es noch immer und möchte den Menschen jetzt im Ruhestand etwas zurückgeben, etwas tun, das bedürftigen oder benachteiligten Bürgern wirklich hilft.
Was nehmen Sie an positiven Erfahrungen aus Ihren verschiedenen Aufgaben für sich persönlich mit?
Das positive Feedback der Menschen, das ich für meine Unterstützung und Hilfe bekomme, ist einfach toll und tut ehrlich gesagt auch gut. Die Arbeit, insbesondere mit Kindern und jungen Menschen, macht viel Spaß. Aufgrund meines langjährigen Berufslebens als Ingenieur bin ich natürlich ein sehr technisch geprägter Mensch und musste mich ehrlich gesagt erst wieder darauf einstellen, wie Kinder denken. Das war eine Herausforderung für mich, die ich so lange nicht mehr kannte. Es ist doch schon eine Weile her, dass meine eigenen Kinder klein waren. Dazu berührt mich der achtsame und ehrliche Umgang der Kolleginnen und Kollegen untereinander, den man aus der heutigen Berufswelt so leider nicht mehr oft kennt und der sehr wohltuend und bereichernd ist.
Warum ist ehrenamtliches Engagement aus Ihrer Sicht so wichtig für die Gesellschaft?
Ohne Ehrenamtliche, die verschiedene Ämter oder Funktionen bekleiden, sich dort einsetzen, wo Not am Mann ist, gäbe es viele kostenfreie oder sehr kostengünstige Angebote überhaupt nicht, beispielsweise für Kinder, Jugendliche, Senioren, Alleinerziehende oder natürlich auch Migranten. Das Geld dafür wäre in unserem derzeitigen System nicht vorhanden. Viele dieser frei zugänglichen Angebote schaffen jedoch einen Gegenpol in der heute sehr egoistischen Welt, selbst in kleinen Städten, helfen Anonymität und Einsamkeit zu reduzieren und Integration zu fördern. Solange ich es gesundheitlich kann, werde ich auf jeden Fall weiterhin ehrenamtlich tätig sein und dort sein, wo ich helfen kann.
Mit welchen Argumenten würden Sie andere Rentner, die womöglich auch Zeit für eine ehrenamtliche Tätigkeit aufbringen können, für ein derartiges Engagement begeistern?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Ehrenämter in der Regel sinnvolle Tätigkeiten mit sich bringen – man kann anderen Menschen helfen. Gerade für Rentner wie mich ist es nach dem aktiven Berufsleben doch positiv, noch eine herausfordernde Aufgabe zu haben, die einem zeigt, dass man gebraucht wird. Auch eine gewisse Struktur im Leben ist wichtig, insbesondere dann, wenn der Partner noch voll im Job steckt. Dazu macht es auch sehr viel Spaß, lebenslange Erfahrungen und Erlerntes an andere weiterzugeben, die davon profitieren können. Man kann sich im Ruhestand darüber hinaus ein neues Netzwerk aufbauen oder ein bestehendes erweitern, was für uns Menschen als soziale Wesen meiner Meinung nach sehr wichtig ist. Und trotzdem bleibt immer noch genug Zeit für Hobby oder Familie. Ich kann das Ehrenamt also nur wärmstens empfehlen.
Zur Person
Marco Fandel wurde 1955 in Montabaur als zweites von sechs Kindern geboren. Sein Vater war Luxemburger, seine Mutter Deutsche. Nach dem Abitur studierte er zuerst Maschinenbau, dann Verfahrenstechnik. Mit 50 Jahren bildete er sich weiter zum Gießerei-Fachingenieur. Er arbeitete während seines Berufslebens im Bereich Forschung und Entwicklung, zuerst bei Dornier in Immenstaad und die letzten elf Jahre bei Daimler in Ulm. Seit 1995 lebt er in Markdorf. Mit seiner Frau Kornelia, Lehrerin an der Jakob-Gretser-Schule, hat er zwei erwachsene Kinder. Er besitzt vier alte Motorräder, die er zum Teil selbst restauriert hat, und geht mit einer Ducati neueren Baujahrs von Zeit zu Zeit auf Motorradtour. Im Ruhestand hat er auch die Liebe zum Mountainbike wiederentdeckt.