Ohne ihn würde man Heimat weniger als solche begreifen und verstehen. Mit der Beleuchtung der Historie auf unnachahmlich eingängige, unterhaltsame und lebendige Art weckte Hermann Zitzlsperger bei vielen Menschen Wertschätzung und Liebe für Heimat oder Wahlheimat. Nun beendet der 85-Jährige sein vielfältiges Engagement.
Als seine wahre Heimat bezeichnet er Markdorf. Geschätzt wird er aber genauso in Bermatingen. „In Markdorf habe ich die meisten Leute kennengelernt. Dort habe ich mit meiner Frau Aktionsgruppen gegründet, wie den Förderverein zur Erhaltung der Markdorfer Kulturdenkmäler als Reaktion auf die Hochbauten.“ Statt nur dagegen zu sein, wollte er etwas dagegensetzen. Das begann mit abendlichen Spaziergängen zu „Baustellen“, mit dem der Bevölkerung sehr verbundenen Arzt Otto Schürer und dessen Hund Napoleon.

Er entwarf Motive und Plakate
Hermann Zitzlsperger organisierte Ausstellungen, für die er auch Plakate gestaltete – zunächst mit Hobbyisten, später mit namhaften Künstlern. Mit dem Erlös aus geringem Eintritt und Tischgebühr sowie Spenden wurden Kulturdenkmäler restauriert. 40 Jahre lang entwarf er Motive für die Weingläser und Plakate fürs Stadtfest mit schützenswerten Elementen und Blickfängen und machte sich so einen Namen.
Narren- und Musikverein, Feuerwehr und Männerchor baten ihn um Kulissen. Diese besondere Malerei erlernte er zu Schulzeiten, inklusive der Feinheiten wie Fernwirkung. Geprägt hatte ihn auch ein Lehrer, der ihn so für Geschichte begeistert hatte, dass es ihm den Geschichtspreis der Stadt Waldshut eingetragen hatte und er das Fach später studierte. Zitzlsperger bot kunstgeschichtliche Fahrten zu Kirchen und Städten an. Davon allein rund zehn nach Rom – alles kostenlos.

Historie mit Alltagsgeschichten verbinden
Dazu gab es stets die selbst verfassten, illustrierten sowie gebundenen Broschüren zur Verinnerlichung des Gesagten, zum Beispiel die „Spaziergänge durch Markdorfs Geschichte“. Gesprochen wie geschrieben wird deutlich, was Hermann Zitzlsperger ausmacht: Er betet keine Zahlen herunter, sondern vermittelt Historie mit Alltagsgeschichten, Schmonzetten und der Schilderung menschlicher Episoden. Das weckt Emotionen. So wird das Ganze bildhaft und (be)merkenswert. „Geschichte ist für mich nichts Totes“, sagt er. Er liebte die Begegnungen mit älteren Menschen wie Frau Schuler. Sie berichtete von Eugenie Guldin, die nach einem misslungenen Hitler-Attentat wegen ihres Ausspruchs „Ach, hätt‘s den doch richtig ‚butzt“ verraten wurde und ins KZ kam, wo sie starb.
Diese Personen und Traditionen, wie etwa den durchgeführten Eierlauf, bewahrte Hermann Zitzlsperger vor dem Vergessen. „Die Ortsgeschichte sorgt dafür, dass eine Gemeinde ihr Leben hat“, sagt er. In Bermatingen forderten ihn der Künstler Erich Kaiser und der ehemalige Bürgermeister Alois Gohm: Er wurde gebeten, einen kleinen Kirchenführer für die bedeutende Kirche zu erstellen und im Gemeindeblatt regelmäßig über die Ortshistorie zu schreiben. Auch der SÜDKURIER bat ihn um Beiträge. Inspiriert von Kaisers „großartigem Relief“, entwarf er den „Kaiserweg“ durchs Dorf zu den Werken des Künstlers. Vergangenheit sind die Ausstellungen mit regionalen Künstlern im Pfarrheim, Eichenhof und Kloster Weppach. 2024 folgten ihm zum letzten Mal treue und neue Anhänger trotz Regens beim Tag des Denkmals zu historischen Stätten.

Das Einbinden Interessierter in Kunsttechniken wie das Marmorieren von Papieren gehörte für ihn auch zur Geschichte. Die Benennung „Hobbyhistoriker“ hörte er nicht gern. Er bezeichnet sich schlicht als geschichtlich Interessierten und versierten Stadtführer, der die Meinung vertritt, die Rundgänge sollten kostenlos sein.
Straßentheater zum Bermatinger Gemeindejubiläum
Lebhaft erinnert sich Zitzlsperger an ein Straßentheater mit dem Thema Bauernaufstand zum Bermatinger Gemeindejubiläum: „Weit über 1000 Zuschauer folgten trotz Regens den Laienschaupielern zu den Szenen an diversen Orten. Alle Zuschauer, die keine abgeschnittenen Hosen wie die Bauern anhatten, mussten Eintritt bezahlen.“ Es gab Musik und Tänze, viel Eigenbeteiligung der Bürger und begeisterte Berichte in Presse und Rundfunk.
Was war seine Motivation, was trieb ihn dauerhaft an, Geschichte für ein „Vergelt‘s Gott“ zu vermitteln? „Na ja. Ich bin Lehrer. Und: Als Bürger hat man zwar Steuern zu zahlen, aber darüber wird oft vergessen, dass die Gemeinde vieles für einen regelt. Gebe ich ihr etwas zurück, bin ich kein Mitläufer, sondern Mitbürger. Bestenfalls kann ich andere anregen, selbst etwas zu tun. Demokratie lebt auch vom Mittun. Wenn jemand was tut, achtet er auch das Tun des anderen.“

Er möchte Raum für junge Leute schaffen
Warum gibt er sein Engagement auf? „Mit 85 ist man überfällig“, lacht er. „Man muss Raum für junge Leute schaffen, damit diese sich trauen. Vielleicht habe ich ja jemanden angesteckt.“ Fast gerührt war das Ehepaar Zitzlsperger von den Würdigungen der Bürgermeister Georg Riedmann und Martin Rupp, zumal einige seiner ehemaligen Schüler im Rathaus arbeiten.
Was hat ihn am meisten gefreut? „Dass ich überwiegend nette Leute um mich hatte, dass sie bis zum Schluss geblieben sind und sich nach neuen Führungen erkundigt haben.“ Das ist nun leider Geschichte.