Ihre Gottesdienste feiert die evangelische Kirchengemeinde in diesen Wochen online. Das Geschehen am vor dem Altar filmt ein Überlinger TV-Dienstleistungsunternehmen. Und sendet an Youtube, wo die Feiern direkt verfolgt beziehungsweise die Gottesdienst-Videos auch später angeschaut werden können.
„Üblicherweise produzieren wir für Industrieunternehmen, Unis, andere Institutionen, wir machen auch Showprojekte“, erläutert Christian Wütschner, Produktionsleiter der „bewegtbildwerft“. Während des Corona-Lockdowns sei aber Kapazität frei für einen Dreh in der Kirche.
„Jawohl!“, triumphiert Christian Wütschner. „Jetzt lacht sie!“ Einen winzigen Augenblick lang schaut der Produktionsleiter hinüber zu seinem Mitarbeiter Gianni Seufert, der konzentriert auf seine Monitore blickt.

Das Gesicht von Linda Staerke ist dort schon länger in Großaufnahme zu sehen. Sie singt „Du bist der Weg und die Wahrheit und das Leben“ zusammen mit Pfarrer Tibor Nagy. Das hatte die Kamera davor gezeigt. Nun, in der Naheinstellung, ist zu erkennen, wie sehr die junge Frau selber berührt ist von dem, was das Kirchenlied sagt. Und wohl auch vom Sog der Musik, von der Munterkeit, mit der der Pfarrer Gitarre und Julian Volk Klavier spielt.

Ablauf ist genau festgelegt
Ein bisschen Raum bleibt also doch für den Zufall. Was kaum für möglich hält, wer genauer auf die beiden DIN-A-4-Blätter blickt, die Christian Wütschner und Gianni Seufert vor sich liegen haben. Den gesamten Gottesdienst hat das Team in kleine Einheiten zergliedert. Die Begrüßung durch Lektor Uwe Priebe an diesem Sonntag, etwa.
Priebe steht vor dem Altar. In der Video-Übertragung war eben Glockengeläut zu hören – danach Klaviermusik. Dazu hat es Drohnenbilder gegeben. Den Kameraflug über die Stadt, die Sicht auf die katholische St.-Nikolaus-Kirche im Hintergrund und die davor immer näher rückende kleinere evangelische Kirche. Und so selbstverständlich die Schnitte aufeinander folgen, das Zusammenspiel von Ton und Bild, so detailliert muss diese Abfolge komponiert und vorab durchgeplant sein.
Monitore statt Kirchenbesucher
Sie wisse genau, wo sie in der Bank zu sitzen und dann gleich beim Singen zu stehen habe, erklärt Sängerin Linda Staerke. „Noch geht es“, beantworte sie die Frage nach ihrer Aufgeregtheit. Immerhin ist es das erste Mal, dass sie vor einem Online-Publikum singt.
Viel öfter indes ist die junge Frau schon öffentlich aufgetreten. „Vielleicht ist das noch ein bisschen aufregender, vor Publikum zu singen.“ Hier, im leeren Kirchenschiff, schaue sie niemand direkt an. Andererseits kann sich die Sängerin auf jenem großen Monitor, der in der ersten Bankreihe lehnt, selber sehen.

Auch für den Pfarrer ist markiert, wo er bei seiner Predigt zu stehen hat. Damit ihn die Kamera voll erfasst. „In der Kirche können wir quasi wie im Studio arbeiten“, erklärt Wütschner. Anders, als das bei einem normalen Gottesdienst der Fall wäre, bei dem die Gemeinde anwesend ist, biete der Digital-Gottesdienst während der Corona-Krise die Möglichkeit der freien Kamera-Positionierung.
Bis in die fünfte Bankreihe stehen die Stative, auf denen Reflektoren, Mikrofone, Scheinwerfer und TV-Kameras montiert sind. „Das stört im Moment ja niemanden.“ Auf dem live gestreamten Video wird nichts von den Gerätschaften zu sehen sein. Die Zuschauer werden sich fühlen, als säßen sie in der ersten Bankreihe.

„Wir denken schon über die Liturgie nach“, sagt Pfarrer Nagy im Anschluss bei der Nachbesprechung von Fernsehteam und allen Gottesdienstbeteiligten. Fürs Netz sei die Feier reduziert aufs Essenzielle. Etliche Elemente fallen unter den Tisch. „Was wir wie aufnehmen können, wie wir in Zukunft verfahren, das weiß ich im Moment noch nicht.“ Am 17. Mai werde die Gemeinde endlich wieder gemeinsam feiern, gibt Lektor Priebe bei seiner Abkündigung nach dem Gottesdienst bekannt.
Wie Pfarrer Nagy erläutert, werde man auf Abstand achten – und vom Abendmahl absehen müssen. „Einige Elemente der Digital-Gottesdienste werden wir wohl übernehmen“, kündigt der Geistliche an. Das habe auch die Landeskirche vorgeschlagen. Dass das Internet den Blick in den Altarraum erlaube, dass Worte via Telefon Gehör bei den Gläubigen finden, seien neue, wichtige Erfahrungen. Erfahrungen freilich, die die Begegnung in der Kirche nicht ersetzen können.
Davon erzählt Nagy auch in seiner Predigt. In deren Zentrum steht das Jesuswort „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“. Ohne Halt am Weinstock bringe die Rebe keine Frucht. So hatte Uwe Priebe zuvor aus dem Johannes-Evangelium vorgelesen. Und der Pfarrer berichtet, wie schmerzlich er das Gespräch mit den Freunden vermisse. Die Nähe, die Gemeinschaft auch bei einem Glas Wein.
Erst jüngst sei ihm das Bedürfnis nach Begegnung wieder richtig bewusst geworden – beim Gespräch mit den Nachbarn, über den Zaun hinweg und mit den gebotenen anderthalb Metern Zwischenraum. Wohlig muss solche Gemeinschaft zunächst nicht sein, schildert Nagy am Beispiel Jesu, der sie zusammen mit „Zöllnern, Huren und Ausländern“ gesucht habe. Der Zusammenhang an der Rebe, der Glaube, eine. So wie der Glaube auch jene 42 jungen Menschen eine, die eigentlich am Sonntag konfirmiert werden sollen. Deren Feier muss allerdings aufgeschoben werden.
Ausschnitte fügen sich aneinander
Die Choreografie steht fest. Welche der vier im Raum stehenden Kameras verfolgt die Predigt, die Gesangsstücke oder zeigt die Tasten beim Pianoeinsatz von Julian Volk? Christian Wütschner und Gianni Seufert müssen auswählen, zur rechten Zeit montieren, den Predigenden, den Lektor, die Musik im rechten Moment einblenden.

Und immer wieder blenden sie zusätzlich Bilder ein. Das Kreuz auf dem Altar, das Parament am Lesepult, die Osterkerze oder den gesamten Altarraum. Die beiden freuen sich, wenn sich die Ausschnitte passgenau fügen, ihnen eine Einstellung doch noch eine Überraschung zeigt – so wie das Lächeln von Linda Staerke beim Singen.