Die Idylle trügt. Auch wenn die Vögel zwitschern, Gänseblümchen blühen und auf dem Grundstück Kinderspielzeug verstreut ist. Im Forsthaus von Martin Roth herrscht Krisenstimmung. Das aber schon seit Längerem. Doch sich deshalb die Ruhe rauben lassen, will sich der vom Landratsamt Bodenseekreis fürs Forstrevier Meersburg-Salem bestellte Förster schon gar nicht.

Allem Alarmismus begegnet Roth mit nüchternem Pragmatismus. Ohne dabei jedoch die Alarmsignale zu überhören, die aus den Wäldern tönen. Der Begriff des Klimawandels sei inzwischen überstrapaziert, findet Förster Martin Roth. „Wir haben das Thema inzwischen kaputt geredet.“ Mit der Folge, dass sich viele vor der akuten Problematik verschließen. Im Wald sind die Probleme längst angekommen. Die Folgen des Klimawandels seien deutlich sichtbar – allerdings nur bei genauem Hinschauen. „Zunächst ist ja alles schön grün – alles scheint in Ordnung“, deutet der Förster das Dilemma an.

Die Baumkronen im Hintergrund haben deutlich gelitten – unter den vergangenen Hitzesommern.
Die Baumkronen im Hintergrund haben deutlich gelitten – unter den vergangenen Hitzesommern. | Bild: Jörg Büsche

Erst auf den zweiten Blick zeigen sich die Schäden. Weil die Bäume wegen der gehäuften Hitzetage der vergangenen Sommer nicht genügend Wasser bis in ihre Wipfel transportieren können, geraten sie in Trockenstress. In ihren Kronen dünnt sich das Geäst aus. Die Forstleute sprechen von einer „Kronenverlichtung“. Und dann sei es wie bei uns Menschen, so Martin Roth: „Auch die Bäume werden anfälliger für Krankheiten.“ Außerdem können sie sich der Schädlinge nicht mehr erwehren.

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Die Bodenseeregion reißt das Klimaziel

„Hier am Bodensee verfehlen wir die Pariser Klimaziele von 1,5 Grad schon heute“, erklärt Roth. Die Jahresdurchschnittstemperatur ist im Vergleich zu den vorindustriellen Temperaturen bereits um ganze zwei Grad angestiegen. Und bis zum Ende des Jahrhunderts erwarten Klimawissenschaftler sogar einen Anstieg um drei Grad. Herrschte bisher im Bodenseeraum ein „Sonderklima“ mit verhältnismäßig viel Regen im Sommer und relativ wenig Hitzetagen, so habe sich das in den letzten Jahren verändert.

Die Hitzetage haben stetig zugenommen. Die Niederschlagsmengen bleiben aber gleich. „Wir liegen inzwischen auf der Höhe von Karlsruhe“, erklärt Martin Roth mit Blick auf sein Revier in Immenstaad. Der Temperaturanstieg um zwei Grad bewirke ein Absinken der Vegetationszone um rund 350 Meter. Darauf gelte es, zu reagieren – auch im Wald.

Zuversicht schadet

Als fatal sieht Förster Roth die Blauäugigkeit von Politik und Wissenschaft an. Beide würden dem Prinzip Hoffnung anhängen, nach dem Motto: „So schlimm wird es schon nicht kommen“, erklärt er. Er jedenfalls will nicht auf Mutter Natur bauen. Nicht darauf setzen, dass die vorhandenen Baumarten genetisch reagieren und sich mit der Zeit ans veränderte Klima anpassen. Dafür sei der Wandel viel zu rasant. „Die Bude brennt inzwischen“, formuliert Förster Roth es bildhaft.

Ohne Laubdach kein Schatten

Für die Forstwirtschaft heiße das: „Abschied von Fichten und Tannen zu nehmen“, die bisher in höheren Lagen gut gediehen. Unterdessen erweise sich selbst die Buche – noch vor wenigen Jahren als „Zukunftsbaum“ betrachtet – als weit weniger resilient als erhofft. Roth beobachtet in seinem Revier im Dreieck Bermatingen-Salem-Immenstaad, „dass auch bei der Buche die Kronen absterben“. Doch das sei nur der Anfang der Misere.

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Die Buchen werfen Laub ab. Ihre Stämme stehen nicht mehr im Schatten eines schützenden Blätterdachs. „Und die Sonne schädigt die Rinde – die Bäume bekommen regelrecht einen Sonnenbrand.“ Schädliche Pilze haben leichtes Spiel. „Die Bäume gehen kaputt.“ In Markdorfs Höhenlagen sei die Lage derzeit noch weniger kritisch. Doch bereits im Gehauwald an der Bundestraße geraten etliche Bäume in Schwierigkeiten. Dort habe Markdorfs Stadtförster Jörn Burger mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie er, Martin Roth, in seinem Revier.

Ein Platz für fremde Gewächse

„Aufgeben kommt nicht infrage“, erklärt Roth. Er wolle aber auch nicht erst lange auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen warten, bis er mit dem Handeln beginnt. Die Forschungsansätze nehme er natürlich zur Kenntnis. Doch jetzt schon setzt er auf eine Methode, die er „assistierte Migration“ nennt. So pflanzt er zum Beispiel eine besondere Nussart. Einen Hybrid aus Schwarz- und Walnuss – eine Baumart, die wie die Esskastanie, die Platane oder die Bornmüller- beziehungsweise Türkische Tanne außer Sommerhitze durchaus auch noch jene späten Nachtfröste ertragen, denen viele Baumarten aus Südeuropa schlechterdings nicht gewachsen sind.

Pflanzen auf lange Sicht

Da A und O aber sei die Mischung, sagt der Förster. Erfolg habe nur, wer vorgehe wie ein gewiefter Aktienfonds-Manager. „Der achtet auch auf eine breite Streuung, damit sich die Risiken gut verteilen.“ Dementsprechend bepflanzt Roth nicht großflächig mit einer Bauart, sondern parzelliert in 10x10-Meter-Quadrate. Hier stehen heimische Eichen, im Quadrat daneben wachsen amerikanische Roteichen – und so fort, im sich mischenden Wechsel mit weiteren Baumarten, mit Lärchen oder Esskastanien.

Förster Roth pflanzt 10x10-Baum-Quadrate im Artenwechsel, um eventuellen Ausfällen zu begegnen.
Förster Roth pflanzt 10x10-Baum-Quadrate im Artenwechsel, um eventuellen Ausfällen zu begegnen. | Bild: Jörg Büsche

Kommt es zu Ausfällen, erweist sich eine Baumart doch nicht als hinreichend resilient, fangen das die Baumarten in den Nachbarbereichen auf. „Wo die Reise hingeht, werde ich hoffentlich noch erleben“, erklärt der 62-Jährige. Lange beeinflussen werde er den von ihm angestoßenen Wandlungsprozess jedoch nicht mehr können. Gehe er doch in fünf Jahren in Rente. Doch das sei das Los aller Förster. Sie führen immer nur fort, was andere begonnen haben und überlassen das von ihnen selbst Begonnene stets ihren Nachfolgern.