„Es ist für Chelsea schon etwas Besonderes, in einer Werkstatt zu arbeiten, die über 100 Jahre alt ist“, berichtet Michael Denker. Er betreibt die Kunstschmiede im Areal von Schloss Salem und hat zwei Wochen lang eine junge Künstlerin aus den USA zu Gast. Chelsea Southard ist Teilnehmerin des Projekts salem2salem, einem Künstleraustausch zweier Gemeinden mit gleichem Namen. Die Bodenseeregion rund um das Kloster ist eine kreative Hochburg und im Norden des Staates New York gibt es mit Salem Art Works ein bekanntes Künstler-Zentrum mit Ateliers und Werkstätten. Beide Projektpartner suchen Künstler aus, die an dem Programm teilnehmen können. Der Austausch findet seit 2010 jährlich statt, jeweils abwechselnd in Deutschland und den USA. Auch hier hat die Pandemie für eine unfreiwillige Pause gesorgt, deshalb ist es das erste Treffen in Deutschland seit 2018.

Geometrisches und Simples aus Metall

Chelsea Southard ist zum ersten Mal dabei und freut sich über die Entwicklung, die ihre Arbeit hier nimmt. Normalerweise fertigt sie große Metallskulpturen. Da der Transport zurück in die USA zu teuer wäre, wollte sie erstmals kleinteilig arbeiten und fertigte Skizzen und Modelle von Schmuckstücken an. Ein kleines Stück gebogener Kupferdraht gab dann den Anstoß, doch größer zu denken. „Michael hat gesagt, das können wir auch groß machen“, berichtet Chelsea und zeigt auf das fast fertige Metallobjekt neben ihr. Da sie beide geometrisch und mit simplen Formen arbeiten, habe sich das gut ergänzt. Zur besseren Verständigung stehen auf einer Tafel Fachbegriffe auf Deutsch und Englisch. „Es macht so Spaß, mit Michael zu arbeiten!“, strahlt die junge Künstlerin. Jetzt hofft sie, für ihre Skulptur einen Platz in der Umgebung von Salem zu finden.

Chelsea Southard aus den USA wollte eigentlich nur kleine Objekte anfertigen. In der Schmiede von Michael Denker wurde mit seiner Hilfe ...
Chelsea Southard aus den USA wollte eigentlich nur kleine Objekte anfertigen. In der Schmiede von Michael Denker wurde mit seiner Hilfe dann doch etwas Größeres daraus. Den Glasstein hat sie in seinem Fundus entdeckt. | Bild: Sabine Busse

Zeppelin fasziniert US-Künstler

In einem regelrechten Schaffensrausch ist Michael Oatman beim Besuch dieser Zeitung. Er hat er in einem großen Raum des Internats Zeichnungen und Collagen ausgebreitet. Dabei kombiniert er alte technische Bauanleitungen mit grafischen Komponenten und Perforierungen, die den Bildern ein weiteres, hinterlegtes Muster geben, wenn sie von hinten beleuchtet werden. Vor allem das Thema Zeppelin fasziniert Oatman, angefangen beim Grafen, mit seiner Vision, die Welt zu verbinden, über das Unglück von Lakehurst im Jahre 1937, dem Geburtsjahr Oatmans Vaters, bis zur aktuellen Entwicklung.

Für seine Arbeiten besuchte er zuerst besuchte das Museum in Friedrichshafen, das ist für ihn „das beste, das ich je gesehen habe!“. Aber auch seine direkte Umgebung inspiriert ihn. Im Münster entdeckte er eine plastische Darstellung von Rauch, die er gerade in einem Bild einbaut. Besonders reizvoll findet er es, die Form aus dem 16. Jahrhundert mit heutigen Alltagsgegenständen zu kombinieren. An Deutschland schätzt er besonders die Themen Technik, alte Kulturlandschaften und die alten Meister.

Playmobil-Figuren als Vorbild

Komplett anders arbeiten die drei deutschen Malerinnen, die sich den Kunstraum des Internats teilen. Alicja Kosmider wurde in Krakau geboren und lebt heute in Ravensburg. Normalerweise malt sie mit Ölfarben, aber hier probiert sie erstmals Ölkreide aus. Sie ist angetan von den neuen Möglichkeiten und wie sie sich langsam in neue Techniken einarbeitet. Kosmiders Modelle sind Playmobil Figuren, die sie zu Symbolen für bestimmte Rollen und Typen darstellerisch verarbeitet.

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Künstlerin gesteht: „Bin eine Chaotin“

Daneben ist Johanna Klakla aus Überlingen mit ihrer im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtigen Arbeit beschäftigt. Sie bezieht sich auf den historischen Ort vor dem Fenster, übernimmt Ornamente der Fassaden und macht sie zum Hintergrund in „süßen, barocken Farben“, wie sie sagt. „Ich arbeite in vielen Schichten, male, drucke und füge alles zur Collage zusammen.“

Johanna Klakla aus Überlingen zeigt eine ihrer in Salem entstandenen Arbeiten.
Johanna Klakla aus Überlingen zeigt eine ihrer in Salem entstandenen Arbeiten. | Bild: Sabine Busse

Auch Carla Chlebarov kam erst im Erwachsenenalter als ausgebildete Künstlerin nach Salem, wo sie heute lebt. Sie hat ihren kreativen Prozess mit gegenständlichen kleinformatigen Bildern begonnen und arbeitet nun gleichzeitig an mehreren großen abstrakten Ölbildern. Sie tüftelt noch an Details und hofft in der verbleibenden Zeit alle Bilder abschließen zu können. „Ich bin eben eine Chaotin“, gesteht sie.

Von Berlin zurück an den Bodensee

Die weiteste Anreise der deutschen Künstler hatte Urte Beyer. Sie wurde in der Region geboren und lebt heute in Berlin. Sie macht die alte Klosterarchitektur zum Thema ihrer Werke und hat zahlreiche Fotos von Fassaden und alten Chroniken gemacht, die sie jetzt in einem speziellen Verfahren auf Glas, Stoff oder Papier überträgt und miteinander kombiniert. So entstehen vielschichtige Bilder oder besser Installationen, die Sehgewohnheiten hinterfragen und den Dingen neue Tiefe verleihen oder Fassaden wanken lassen.

Posieren fürs Gruppenfoto. Links im Bild ist Kulturamtsleiter Stefan Feucht zu sehen. Der Bodenseekreis ist jeweils Gastgeber des ...
Posieren fürs Gruppenfoto. Links im Bild ist Kulturamtsleiter Stefan Feucht zu sehen. Der Bodenseekreis ist jeweils Gastgeber des Künstleraustausches am Bodensee. | Bild: Sabine Busse

Einblicke in die deutsche Lebensart

Die insgesamt 19 Künstlern, die im Rahmen von salem2salem kreativ sind, werden von Mitinitiator Gunar Seitz und Mitarbeitern des Kulturamtes des Bodenseekreises betreut. Zahlreiche Sponsoren liefern die finanzielle Unterstützung. Los ging es für die Gruppe mit zwei Einkaufstouren – eine zum Schrottplatz und eine zum Künstlerbedarf. Dazu lernten sie einiges über ihre Umgebung und den historischen Wurzeln des Klosters und der Anlage kennen. Einblicke in die deutsche Lebensart gewährt den Gästen ein täglicher Ritus: Um Punkt 12 Uhr müssen sie den Pinsel, den Steinmeißel oder das Schweißgerät hinlegen, dann gibt es Mittagessen.