Seit die Gesamtgemeinde Salem zwischen 1972 und 1975 aus elf Landgemeinden geschaffen wurde, machte sie einen tief greifenden Strukturwandel durch, vor allem in den Hauptorten Mimmenhausen und Neufrach. Mitte der 1970-er Jahre summierten sich die Einwohner aller Dörfer auf 6800, heute sind es 11 500 Einwohner. Auch das Gewerbe wuchs rasant. Ende der 1980er-Jahre gab es im Neufracher Gewerbegebiet gerade einmal vier Betriebe. Aktuell steht die unter Bürgermeister Manfred Härle geplante und derzeit entstehende Neue Mitte mit rund 210 Wohneinheiten für die Richtung, in die es gehen soll. Wohnblöcke, die nach Meinung der Kritiker auch in einer Großstadt stehen könnten – so wie das mächtige, repräsentative „rote Rathaus“ mit Tiefgarage, das mit seiner norddeutsch anmutenden Klinkerarchitektur ebenfalls nicht allen Bürgern gefällt.

Sechs Fragen lang ist der Check

Wie sich die Gemeinde Salem am Rand von Mimmenhausen verändert, passt zum „Regionalplan“: Die Landgemeinde soll vom „Kleinzentrum“ aufsteigen in die Kategorie „Unterzentrum“. Gegen diese Prämisse des stetig fortschreitenden Wachstums hat sich das „Aktionsbündnis Grünzug Salem„ gegründet, das nun aktiv in die Meinungsbildung zur Bürgermeisterwahl am 27. September eingreift. In einem „Kandidaten-Check“ stellt sie Amtsinhaber Härle und den beiden Mitbewerbern Birgit Baur und Roland Martin sechs Fragen, die sich um die Zukunftsentwicklung der Gemeinde drehen und auch die aus ihrer Sicht in der Vergangenheit gemachten Fehler aufgreifen. Fragen und Antworten hat das Aktionsbündnis nach Auskunft von Suzan Hahnemann 6000 mal drucken lassen. Ein kleiner Teil wurde am Abend des Mittwoch, 16. September, bei der offiziellen Kandidatenvorstellung verteilt, 5550 liegen am Freitag, 18. September, dem Salemer Mitteilungsblatt bei. Der SÜDKURIER hat sich Check schon mal durchgesehen.

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„Bürgerschaft hat sich weiter polarisiert“

Die erste Frage erinnert an die beiden Bürgerentscheide während Härles Amtszeit. Einer zum Bildungszentrum und dann vor allem jener zum MTU-Logistikzentrum, dessen Bau 2008 am Votum der Bürger knapp scheiterte. Die Frage des Aktionsbündnisses dazu: „Im vergangenen Jahr hat sich die Bürgerschaft bei der Frage um die gewerbliche Nutzung des geschützten Grünzuges weiter polarisiert. Wie wollen Sie diese Spaltung innerhalb der Einwohnerschaft begegnen und wieder ein stärkeres Miteinander schaffen?“

„Dass die politische Beurteilung einzelner Vorhaben und Projekte auch mal kontrovers verläuft, gehört für mich zum demokratischen ...
„Dass die politische Beurteilung einzelner Vorhaben und Projekte auch mal kontrovers verläuft, gehört für mich zum demokratischen Selbstverständnis.“ Manfred Härle, Eriskirch, AmtsinhaberHans | Bild: Hanspeter Walter

Für Härle Zeichen „einer lebendigen Demokratie“

Die drei Antworten der Kandidaten spiegeln den Wahlkampf modellhaft wider: Die Frage nämlich, weshalb ein mächtiger Amtsinhaber, der nach 16 wirtschaftlich erfolgreichen Jahren wiedergewählt werden will, und der 2012 bei seiner ersten Wiederwahl 92,7 Prozent holte (Wahlbeteiligung 33,9 Prozent) trotzdem Gegenkandidaten hat. Härles Antwort ist 24 Zeilen kurz und liest sich wie aus dem Lehrbuch kommunaler Demokratie. „Dass die politische Beurteilung einzelner Vorhaben und Projekte auch mal kontrovers verläuft, gehört für mich zum demokratischen Selbstverständnis.“ Und wenn man auch mal „temperamentvoll um die beste Lösung“ ringe, deute das nicht auf Fehler in der politischen Praxis, sondern darauf, dass Demokratie lebe. „Bürgerentscheide zählen für mich zu den Kernelementen der Demokratie“, deshalb habe der Gesetzgeber auch die Zugangsvoraussetzungen erleichtert. Härles Zeilen bleiben unverbindlich, kein Wort dazu, dass er damals lange Gesprächsangebote der Bürgerinitiative ignoriert hatte, das änderte sich erst nach der Übergabe von 2000 Unterschriften.

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Birgit Baur sieht die Spaltung

Während Härle auf die vom Aktionsbündnis genannte Polarisierung der Bürgerschaft gar nicht eingeht, bestätigt Birgit Baur: „Ich persönlich nehme eine tiefe Spaltung innerhalb der Bevölkerung wahr.“ Auf 85 Zeilen geht die Salemerin tief ins Detail, ist überzeugt, dass es nicht einfach wird, in einem bürgerschaftlichen Miteinander am Konflikt „Grünzug versus geplantes Gewerbegebiet“ zu arbeiten. Ohne den Bürgermeister zu nennen, spricht sie davon, es gehe auch „um ein anderes Führungsverhalten“.

Birgit Baur
Birgit Baur | Bild: Lena Reiner

Roland Martin klar gegen Unterzentrum

Zwar bleibt auch Roland Martin anfangs bei stereotypen Formulierungen, will der Spaltung begegnen und das Miteinander stärken „durch ergebnisoffene Diskussion und transparente Offenlegung“. Dann positioniert er sich auf seinen 33 Zeilen klar gegen Härle. „Ich bin eindeutig gegen eine Aufwertung zum Unterzentrum und den damit verbundenen Emissionen“. Er stehe „für Hintergründe statt Oberflächlichkeit“.

Härle: „Breit angelegter Bürgerbeteiligungsprozess„

Auch die zweite Frage darf Härle – eben als Amtsinhaber – als Kritik an sich verstehen. Die Bürgerbeteiligung bei Planung und Gestaltung der Neuen Mitte sei für viele Salemer „enttäuschend verlaufen“. Wie denn eine „ernsthafte und wertschätzende Bürgerbeteiligung“ aussehe? Dem widerspricht Härle auf 48 Zeilen sachlich und mit Fakten. Er teile die Einschätzung des Aktionsbündnisses nicht und dessen Aussagen spiegelten auch den tatsächlichen Bürgerbeteiligungsprozess nicht wider. Er verweist auf die Bürgerbefragung der Zeppelin Universität 2012, in der sich 80 Prozent der Bürger in allen elf Teilorten für eine neue Gemeindemitte ausgesprochen hätten. Dann ein Jahr später der „breit angelegte Bürgerbeteiligungsprozess„ und die folgenden Workshops, in der sechs Modelle entwickelt worden seien.

„Ich bin eindeutig gegen eine Aufwertung zum Unterzentrum und den damit verbundenen Emissionen.“ Roland Martin, ...
„Ich bin eindeutig gegen eine Aufwertung zum Unterzentrum und den damit verbundenen Emissionen.“ Roland Martin, Epfach/Bayern, Bewerber | Bild: privat

Baur spricht von der Einrichtung von Ortschaftsräten

Lediglich vier Zeilen mehr braucht hier Birgit Baur, die meint, es bestehe „durchaus der Wunsch nach mehr Beteiligung“, plädiert dann aber auch allgemeiner für das gesellschaftliche Miteinander. Konkret hält sie einen Jugendgemeinderat für sinnvoll und die Bildung von Teilortsgeremien als Beirat – oder „gar als Ortschaftsräte“.

Martin hat ein „Leitbild Salem 2036“ parat

Auch Roland Martin möchte am Ende seiner 41 Zeilen die Ortsreferenten stärker einbinden. Er setzt bei der Bürgerbeteiligung auf „Kommunikation, Kommunikation und dann noch Kommunikation“. Und reicht dem Bündnis gleich einmal die Hand: „Auch in Ihrer Bürgerbewegung gibt es sicherlich Fachleute, die man mit einbeziehen sollte“. Als Basis seines Wirkens sehe er ein „verbindlich erklärtes Leitbild Salem 2036“ – zwar sei das jetzige eigentlich schon sehr gut, nur halte sich bis jetzt keiner dran.

Weitere Fragenkomplexe beziehen sich auf die Gemeindefinanzen, auf den Klimaschutz, bei dem Nachbargemeinden um Längen voraus seien und auf die Verbesserung der Lebensqualität. Härle widerspricht mehrfach der Darstellung und untermauert argumentativ. Birgit Baur vermeidet den Schlagabtausch und zeigt sich immer sehr gut im Detail informiert. Auch Martin hinterlässt wortreich den Eindruck, sich gut eingearbeitet zu haben.