Am 1. Juli jährt sich die Flugkatastrophe von Überlingen zum 20. Mal. Der Verein „Brücke nach Ufa“ hält die Erinnerung wach. Er muss wegen des Kriegs in der Ukraine auf die Unterstützung des Staatsministeriums in Stuttgart verzichten. Auch die Stadt Überlingen äußert sich zurückhaltend.

Das hindert den Verein aber nicht daran, in einer einwöchigen Veranstaltungsreihe an den Tod von 71 Insassen, darunter 49 Schulkinder, zu erinnern. Mit Hochdruck arbeitet der Verein daran, so vielen Angehörigen wie möglich eine Reise nach Überlingen zu ermöglichen.

Andreas Martin aus dem Vereinsvorstand sagt: „Zusammen lachen, zusammen weinen, Hand halten und Nähe spüren. Wir sind alle Menschen.“ Es sei nicht ihre Aufgabe, sich politisch zu äußern. Sie seien ausschließlich den Hinterbliebenen verpflichtet.

Die Zeit drängt: Fürs Visum in den Ural fahren

Um an ein Visum zu gelangen, benötigen die Bewohner der russischen Republik Baschkortostan eine Einladung von deutscher Seite. Es sei in den vergangenen Jahren stets unkompliziert verlaufen, wenn das Staatsministerium sie ausgesprochen habe.

Nun drängt die Zeit. Das Visum müsste im 500 Kilometer entfernten Jekaterinenburg abgeholt werden, bei der zuständigen deutschen Botschaft, die in der benachbarten russischen Republik Ural sitzt. Die Reise nach Deutschland ist wegen des Kriegs in der Ukraine umständlich und teurer geworden, Umwege über Istanbul müssen eingeplant werden.

Katharina und Andreas Martin an der Gedenkstätte in Brachenreuthe. Das Kunstwerk von Andrea Zaumseil stellt eine zerrissene Perlenkette dar.
Katharina und Andreas Martin an der Gedenkstätte in Brachenreuthe. Das Kunstwerk von Andrea Zaumseil stellt eine zerrissene Perlenkette dar. | Bild: Hilser, Stefan

Bereits im Dezember habe man die offiziellen Stellen angeschrieben und um Unterstützung gebeten, so Andreas Martin. Nach Kriegsausbruch im Februar habe man lange nichts mehr gehört, bis jetzt Ende Februar die Ansage lautete: Gedenken ja, aber ohne staatliche Förderung. Man werde die Einladung nun wohl selbst aussprechen und das Konsulat um bevorzugte Behandlung der Visaanträgen bitten.

Stadt Überlingen: Gedenken ja, aber ohne Regierungsvertreter

Die Stadt Überlingen begrüßt das Engagement des Vereins, vor allem, wenn es auf die zivilgesellschaftliche Ebene beschränkt bleibt. Die privaten Initiativen und persönlichen Kontakte „können zur Verständigung zwischen Gesellschaften beitragen“, teilte Oberbürgermeister Jan Zeitler dem SÜDKURIER mit. „Das bleibt auch angesichts des völkerrechtswidrigen russischen Angriffs auf die Ukraine weiterhin wichtig.“

Dennoch lege die Stadt Überlingen „großen Wert darauf, dass die konkreten Details, der Umfang und die Abläufe für eine solche Gedenkveranstaltung die aktuelle Situation in der Ukraine angemessen berücksichtigen“. Die Bundesregierung habe sich aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffs Russlands auf die Ukraine entschieden, Kontakte zu russischen Regierungsvertretern auf ein Minimum zu reduzieren und Veranstaltungen, an denen russische Regierungsvertreter beteiligt sind, abzusagen. „Daran fühlt sich auch die Stadt Überlingen gebunden.“

Gerade jetzt: Beitrag zur Völkerverständigung

Katharina Martin wurde damals von der Polizei als Dolmetscherin hinzugezogen. Die Geschehnisse berühren sie bis heute. „Oh Gott, habe ich geheult.“ Ihre Tochter habe am selben Tag Geburtstag wie einer der Schüler, der auf dem Weg in den Spanien-Urlaub ums Leben kam. „Unsere Tochter wurde jetzt 35 Jahre alt.“

In den Gesprächen mit der Polizei sei es um sachliche Dinge gegangen, wie etwa, welche Kleidung ihre Kinder trugen, bevor sie ins Flugzeug stiegen. Die Emotionen hätten sie dennoch voll erreicht. Eine Mutter habe ihr erzählt, mit welchen Worten sich ihr Kind am Flughafen in Ufa verabschiedete. „Mama, was bringe ich Dir aus dem Urlaub mit?“

Durch den Krieg in der Ukraine erhält die Flugkatastrophe neue Aktualität, bis hin zur notwendigen Völkerverständigung, der sich Katharina und Andreas Martin verpflichtet fühlen. Er sagt, dass die Menschen in Baschkortostan vor 20 Jahren in den Deutschen ihre Feinde sahen. „Das Feindbild damals war sehr präsent“. Und so sei der oft zitierte Satz geprägt worden: „Sie sind zu Feinden geflogen und kamen als Freunde zurück.“ Die in Überlingen erfahrene Anteilnahme, die Aufnahmebereitschaft, sowie die herzliche Betreuung habe die Hinterbliebenen beeindruckt und zu der Erkenntnis gelangen lassen: „Das machen Feinde nicht.“

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Staatsministerium: Ohne politische Vertreter Russlands

Ein Sprecher des Staatsministeriums in Stuttgart sagte auf SÜDKURIER-Anfrage am Mittwoch, dass erste Abstimmungsgespräche mit dem Auswärtigen Amt vor Beginn des Angriffs durch Russland auf die Ukraine stattfanden. „Durch den Krieg ist die Gedenkveranstaltung dann nochmals unter anderen Gesichtspunkten zu beurteilen.“ Man sehe „keine grundsätzlichen Bedenken in der Durchführung einer Gedenkveranstaltung – wohlgemerkt ohne diplomatische, beziehungsweise politische Vertreter Russlands“. Die Hinterbliebenen seien „natürlich“ nicht unwillkommen. „Im Gegenteil, aber wie auch bei den vergangenen Gedenkveranstaltungen organisieren und bezahlen wir nicht die Anreisen.“

Mit Verweis auf das Auswärtige Amt teilte der Ministeriumssprecher mit, dass gerade der direkte zivilgesellschaftliche Austausch zur Verständigung zwischen Gesellschaften beitrage. „Konkrete Details, Umfang und Abläufe für eine Gedenkveranstaltung sollen dennoch die aktuelle Situation berücksichtigen und sorgsam durchdacht werden.“