Ein Dachs kam ihr bisher noch nicht vor die Linse. Annette Meyerhoff ist leidenschaftliche Naturfotografin. Wann immer es geht, nimmt die Pädagogin ihre Kamera mit. Wenn sie spontan ein schönes Motiv entdeckt, versucht sie es mit der Handykamera.

Mit ihrem Mann wohnt sie in der Alten Nußdorfer Straße. Von der Terrasse aus hat Meyerhoff einen direkten Blick auf das Nachbargrundstück. „Als ich kürzlich das Tier aus der Entfernung entdeckte, wusste ich zunächst gar nicht, welches es ist“, verrät sie. Sie dachte zunächst an einen Waschbären, doch nachdem sie den Zoom ihrer Kamera ausreizte, herrschte Gewissheit: ein Dachs.

Drei Tage in Folge kam das Tier immer gegen etwa 21 Uhr hervor und spazierte mit einer Seelenruhe durch den Garten. Als es am vierten Tag regnete, blieb der Dachs in seinem Versteck. „Eine andere Frau wollte in den Tagen danach mit ihrem Handy ein Foto machen und ist auf dem Grundstück herumgelaufen“, erzählt Annette Meyerhoff. Klar, dass der Dachs sich wieder verzog. „Ich vermute, er sucht sich gezielt Stellen, an denen er ruhig und zurückgezogen leben kann“, sagt sie.

Dennoch erscheint es ungewöhnlich, dass sich ein solches Tier so dicht an von Menschen bewohntes Gebiet herantraut. Ist es ein Zufall, oder ist es ein allgemeiner Trend, dass sich Tiere immer weiter an die Zivilisation heranwagen?

Im Juni 2016 überraschte ein Biber die Überlinger, als dieser um 1.30 Uhr auf der Hafenstraße aus in Richtung Mantelhafen unterwegs war und mit lauten Geräuschen durch die Gasse watschelte. „Wir freuen uns über den Zuzug, der unter besonderem Schutz stehenden Tiere. Sie sind ebenso willkommen wie die seit einigen Jahren regelmäßig im Stadtgraben brütenden Uhus“, sagte seinerzeit Rolf Geiger, Leiter der Abteilung Grünflächen, Umwelt und Forst in Überlingen.

Intelligentes Verhalten der Tiere

Für den Wildtierschützer Wolfgang Gerstenhauer ist es keine große Überraschung, dass der Dachs in bewohntes Gebiet vordringt. „Es nimmt zu“, ist sich Gerstenhauer sicher. Auch er sehe in seinem Garten in Salem jeden Abend ein solches Exemplar.

„Diese Entwicklung ist nicht nur bei Dachsen zu beobachten, sondern bei Wildtieren im Allgemeinen“, sagt der Experte und nennt als jüngstes Beispiel zwei Wildschweine, die sich in Berlin auf dem Gelände eines Kindergartens aufhielten. Das Vordringen in Städte betrachtet Gerstenhauer als intelligente Maßnahme der Tiere und nennt dafür einige Gründe: Die menschlichen Siedlungsräume bieten ein großes Nahrungsangebot, etwa durch Abfälle, Komposthaufen, Fallobst oder Haustierfutter. Auf der anderen Seite gibt es auf dem Land durch industrialisierte Landwirtschaft und Monokulturen immer weniger differenzierte Lebensräume.

Ein wichtiger Faktor ist auch, dass es in Ortschaften meist etwas wärmer ist, als auf dem umliegenden Land. Gerade im Winter sehr verlockend, wenn die Sterberate der Wildtiere in die Höhe schießt, auch weil es im angestammten Gebiet kaum noch Nahrung gibt. Hinzu kommt, dass die Population der Dachse seit dem Rückgang der Tollwut wieder wächst. Jedes Jahr wandern Jungdachse aus, um sich ein eigenes Revier zu suchen. Auch deswegen kommen immer mehr Tiere in die Ortschaften. Zudem würden die intelligenten Tiere merken, dass der beste Schutz vor dem Menschen der Mensch selber ist: In bewohntem Gebiet wird nicht gejagt.