Das Geschäftsmodell der deutschen Hühnerbetriebe sieht bisher in der Regel so aus: Entweder werden spezielle Hühner zur Mast gehalten und das Fleisch wird verkauft. Oder die Betriebe halten Legehennen, um die Eier zu verkaufen. Das sogenannte Zweinutzungshuhn ist für beides da: Eier und Fleisch. Das Konzept beschreitet damit einen vollkommen neuen Weg.

Inga Günther ist Initiatorin der Zweinutzungshühner und Geschäftsführerin der Ökologischen Tierzucht (ÖTZ), einer gemeinnützigen GmbH, die von Bioland und Demeter mitbetrieben wird. Seit sie 2012 auf das Hofgut Rengoldshausen nach Überlingen kam, ist viel passiert. Das Zweinutzungshuhn-Konzept ist für Inga Günther ein „Systemwandel“, wie sie sagt.

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Die ÖTZ hat es mit dem Zweinutzungshuhn-Projekt geschafft, aktuell rund 70 000 Tiere in deutsche Biobetriebe zu bringen. Eng verknüpft ist das Projekt mit der Bruderhahn-Initiative des Hofguts Rengoldshausen. Für jede Henne wird auch ein Hahn gehalten. Waren die 5000 Küken des Bruderhahn-Projekts vor drei Jahren noch Züchtungen der weltweit marktführenden Mastkonzerne, sind die 70 000 Zweinutzungshühner nun erstmals eine industrie- und konzernunabhängige Züchtung von Bauern für Bauern, erklärt Inga Günther. Auch das Hofgut Brachenreuthe bei Überlingen hat im November den ersten Stall auf die Zweinutzungshühner umgestellt, wie der Vorsitzende Thomas Müller bestätigte. „Ein toller Erfolg für uns und unsere Bodenseeregion“, freut sich Inga Günther.

Ein vollkommen neuer Weg

Wohin aber nun mit all dem Hähnchenfleisch, ist doch der Kern des Konzeptes, jeder Legehenne einen Hahn im Verhältnis eins zu eins beiseitezustellen? Ziel war es ursprünglich, durch die Aufzucht der Hähne das sogenannte Kükenschreddern zu beenden. Dabei werden männlichen Küken am ersten Tag durch Schreddern oder Vergasen getötet. Das Töten des Tieres erfolgt auch bei Günthers Modell – der Hahn wird geschlachtet. Jedoch erst nach fünf Monaten. „Sein Tod ist, da er als wertvolles Fleisch geschätzt wird, damit nicht nutzlos. Das ist eine ganz andere Haltung dem Tier gegenüber als ihn einfach wegzuwerfen, weil das wirtschaftlicher ist“, sagt die Hühnerexpertin dazu. Die von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner präferierte Methode der „in-ovo-Selektion“, bei der bereits im Ei der Hahn erkannt, aussortiert und getötet wird, bezeichnet Inga Günter als „Embryonen-Schreddern“, dies ist für sie der falsche Weg.

Auf dem Demeter-Hofgut Rengoldshausen entstand 2016 das Bruderhahn-Projekt: Für jede Henne wird auch ein Hahn gehalten, um damit das ...
Auf dem Demeter-Hofgut Rengoldshausen entstand 2016 das Bruderhahn-Projekt: Für jede Henne wird auch ein Hahn gehalten, um damit das Töten der männlichen Küken zu beenden. | Bild: Stef Manzini

Überproduktion bei Hühnerfleisch

Der Geschäftsführerin der ÖTZ ist es gelungen, ein Tier zu züchten, was beides kann: Eier und Fleisch. Die Hähne wiegen dabei zwar weniger als Masthähnchen, sind aber bis zu 400 Gramm schwerer als der Bruderhahn. Dennoch gehe kein einziges Bio-Huhn nach Afrika, verspricht sie. Damit spielt sie auf den Welthandel mit der Überproduktion bei Hühnerfleisch, speziell der Flügel und der weniger attraktiven Fleischteile, an.

Die Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) bietet dem Verbraucher Hähnchenfleisch, wie hier als tiefgefrorener Hahn, aber auch als Salami an. ...
Die Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) bietet dem Verbraucher Hähnchenfleisch, wie hier als tiefgefrorener Hahn, aber auch als Salami an. Damit will die ÖTZ dafür sorgen, dass nach dem Verzehr von 230 Eiern auch ein Hahn konsumiert wird. | Bild: Stef Manzini

Nach dem Genuss von 230 Eiern müsse der Verbraucher statistisch gesehen einen Hahn konsumieren, dann stimme das Verhältnis. Eier bedeutet in diesem Fall nicht nur das Frühstücksei, sondern mitgerechnet werden alle Produkte, die Eier enthalten. Der Pro-Kopf-Verbrauch eines Deutschen liegt laut Statistik bei 253 Eiern.

Weniger, dafür bewusster Konsum

Auf die Frage, ob sie zu mehr Hühnersuppe animieren wolle und gleichfalls einen höheren Fleischkonsum fordere – in einer Welt, in der es immer mehr Vegetarier und Veganer gibt – antwortet die Hühnerexpertin: „Nein, ich fordere zu bewusstem und weniger Konsum auf.“ Günther verbraucht für ihre Tiere weniger Importfutter, denn das Huhn sei ja eigentlich ein Resteverwerter und fresse zum Beispiel altes Brot.

Gab es bisher den Unterschied zwischen Masthühnerhaltung und Legehennen, kann das Zweinutzungshuhn Fleisch und Eier, meint die ...
Gab es bisher den Unterschied zwischen Masthühnerhaltung und Legehennen, kann das Zweinutzungshuhn Fleisch und Eier, meint die Hühnerexpertin Inga Günther. | Bild: Stef Manzini

Die ÖTZ hat sich Vermarktungsstrategien überlegt: Beispielsweise eine Hühnersalami und eine Stempelkarte für die Verbraucher, die damit nachvollziehen könnten, wie viele Eier verbraucht sind und wann ein Hahn gekauft werden sollte. Für Inga Günther ist klar: „Weniger Geflügelfleisch essen, aber dafür hochwertiges. Das hilft dem Tierwohl und dem Klima.“

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