„Wir haben keine Vitrinen, bitte nicht über die Ausstellungsstücke beugen.“ Leichte Besorgnis ist der Stimme Walter Liehners anzuhören. Der Stadtarchivar hatte im Rahmen der Vortragsreihe zur Stadtgeschichte zur Führung in das Archiv der ehemals freien Reichstadt geladen.

Einige der wertvollsten Schätze liegen vor den Besuchern ausgebreitet, tatsächlich, ohne sich hinter Glas zu verstecken: Ein Vergleich zwischen dem Kloster Salem und Überlingen von 1241, von dem auch das Gegenstück des Dokuments noch in Salem zu finden ist, wie Walter Liehner zu berichten weiß. Das älteste noch erhaltene Überlinger Stadtrecht um 1300 liegt neben einer besonderen Urkunde, die König Wenzel der Stadt 1378 ausgestellt hat. Darin verlieh er das Amt des Ammanns an einen Vertreter der Bürgerschaft und, was noch wichtiger ist, zudem das Recht, dieses Amt weiterzugeben.
Drei Fragen an Stadtarchivar Walter Liehner
Eines der bedeutsamsten Rechte für eine Reichstadt war das Privileg, das Ammann-Amt selbst vergeben zu können. Dieses bedeutete im weiteren Sinne, dass sich die Stadt selbst verwalten konnte. Das königliche Siegel ist heute noch bestens erhalten und durch ein Säckchen aus Leinen geschützt.
Ein besonderes Privileg für die Stadt
Daneben das Prunkstück der kleinen Ausstellung: Kaiser Karl V verleiht der Stadt ein „gebessertes Wappen“. In den Bauernkriegen stand Überlingen an der Seite des Adels, auch der Reformation hatte man „widerstanden“. Zum Dank durfte Überlingen auf das Herzschild des Stadtwappens den roten böhmischen Löwen mit ausgeschlagener Zunge und Krone anbringen, dazu auf den Spangenhelmschmuck den gekrönten Löwen mit Schwert und goldenen Krallen. Diese Art Wappen war normalerweise dem Adel vorbehalten und zeigt die Dankbarkeit des Kaisers. Entsprechend stolz war die Stadt auf dieses Privileg.

Neben diesen offensichtlichen Schätzen verbirgt sich im Archiv aber auch manche Fundgrube für Historiker. Besonders erwähnenswert ist dabei die „Reutlinger Chronik“. Walter Liehner deutet auf einen Wandschrank, der extra für die 16-bändige Chronik hergestellt wurde. Jakob Reutlinger interessierte sich als Spitalmeister und später auch Bürgermeister nicht nur für die regionale Geschichte; er sammelte alles, was ihm an Nachrichten von Belang erschien. In den Jahren von 1580 bis 1611, als er an der Pest starb, entstand so ein Kaleidoskop von historischen Begebenheiten, die auch heute noch eine wichtige Quelle für historisch Forschende bedeutet. Walter Liehner betont, dass viele Referenten der stadtgeschichtlichen Vortragsreihe ins Archiv kommen, um Quellen wie diese zu studieren.
Auch das Gebäude des Stadtarchivs ist für sich bemerkenswert. Die zu den schönsten Renaissancegebäuden im Bodenseeraum zählende „Alte Stadtkanzlei“ wurde 1600 fertiggestellt. Vorher hatte der an das Rathaus angebaute „Pfennigturm“ das Stadtarchiv komplett beherbergt. Die ehemalige Friedhofsmauer des am Münster gelegenen „Gottesackers“ bildet einen Teil des Fundaments des Repräsentationsbaus. Man hatte den Friedhof, dessen Kreuz noch immer zwischen Archiv und Münster zu sehen ist, aufgelöst, eingeebnet und so einen neuen Platz geschaffen, an dem das Stadtarchiv eine prominente Stelle besetzt.
Das Erdgeschoss beeindruckt mit freskenverzierten Kreuzgewölben. Aus Brandschutzgründen verzichtete man auf die zu jener Zeit üblichen Kassettendecken. Solche sind im Obergeschoss zu finden, wo man keine wertvollen Dokumente gelagert hatte. Diese sind heute in einem modernen Anbau zu finden. Bunkeratmosphäre empfängt den Besucher, in Stahlregalen lagern die wertvollen Bestände, eine Lüftungsanlage sorgt für das richtige Maß an Luftfeuchtigkeit. Weitere Anbauten werden allerdings nicht mehr nötig sein, denn die auch hier einsetzende Digitalisierung wird das Archivieren der Gegenwart grundlegend verändern und deutlich weniger Platz für die Archivierung der weiter fortlaufenden Geschichte der Stadt benötigen.
Der nächste Vortrag am 5. März behandelt Überlingen als bedeutende Reichsstadt und wichtigen Marktort.