Überlingen – Mezger ist ein Name, der eng mit dem Fastnachtsbrauchtum verbunden ist. Weniger der über die Region hinaus bekanntere Bildhauer Victor Mezger senior ist es, als sein Sohn Victor Mezger junior, dessen Darstellungen im Narrenbuch der Zunft bis heute begeistern. Schon der nächsten Generation entstammt dessen Neffe Michael Mezger (80), der mehr als zwei Jahrzehnte den Hänselevater gab (1972-1993) und heute den "Ehren"-Status innehat. Er hat auch die Publikation zum 50. Geburtstag der Zunft verfasst, deren Häs in den Annalen allerdings 1766 erstmals Erwähnung gefunden hatte. Weder verwandt noch verschwägert mit der Familie ist der Rottweiler Volkskundler Werner Mezger (65), Kenner der Fastnachtsbräuche und Träger des Bodensee-Literaturpreises von 2001.

Michael Mezger ist in die Tradition regelrecht hineingewachsen. Nicht nur weil er mitten in der Fastnachtszeit geboren ist. Seinen 80. Geburtstag konnte er in diesem Jahr allerdings aufgrund des frühen Termins erst kurz danach feiern. "Der 12. Februar war schon am Aschermittwoch oder am Ascherdonnerstag", orientiert sich Michael Mezger am Fastnachtskalender: "Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass er zuvor schon einmal am Ascherfreitag war, wie in diesem Jahr."

Erinnern kann sich der Überlinger jedoch an die Anfänge der Fastnacht in der Nachkriegszeit, wobei er von seinem Onkel viel aus erster Hand erfahren hatte. Der gehörte zu den ungeduldigen Vätern der Narrenzunft bei deren Wiedergründung. Die Genehmigung ihres Antrags beim Gouvernement der französischen Besatzung, den sie 1947 stellen mussten, um damit eine vom Nationalsozialismus unbefleckte Weste der Gründer nachzuweisen, warteten sie gar nicht ab. Die Zeit drängte bei der Martini-Sitzung vom 11.11.1947. Schließlich musste die Fastnacht zeitig vorbereitet werden. Zur Sicherheit wurde die Gründungsversammlung im Januar 1948 noch einmal wiederholt.

Wo in Überlingen die Narren auftauchten, war und ist der Hänsele nicht weit. Doch schon damals schlugen die Hästräger über die Stränge und benahmen sich häufiger nicht standesgemäß. Schon am 11.11.1948 hatte der Narrenrat daher eine "schärfere Überwachung" gefordert, da sich Hänsele "in einem furchtbaren Zustand zeigen und ungebührlich benehmen", wie Mezger in seiner Chronik zitiert. Um das Ansehen der edlen Brauchtumsfigur zu bewahren und eine "gewisse Kontrolle" ausüben zu können, wurde 1951 die Einführung einer Plakette mit fortlaufender Nummerierung beschlossen.

Es dauerte allerdings noch bis zum 13. Januar 1954, als die Hänsele die Gründung einer eigenen Zunft besiegelten und die Verantwortung für ihre Tradition selbst in die Hand nahmen – bis heute als eigenständige Abteilung in der Narrenzunft. Erster Hänselevater wurde Nikolaus Nothhelfer. In der Satzung von 1965 wurden schließlich das Aussehen der Maske und die Verhaltensvorschriften verankert. 1995 wurde die Satzung erneuert und seit 2010 gibt es sogar eine schriftliche Anleitung für die Herstellung des Häs'.

Zehn Jahre nach Gründung der Zunft fand am 8. Februar 1964 der erste "Hänselejuck" statt, der auf eine Idee von Heinz Kast zurückging. Dafür waren in der Schreinerei von Nikolaus Nothhelfer zwei Torflügel angefertigt worden, mit denen das Franziskanertor erstmals seit Öffnung der Stadt im Jahr 1798 für das närrische Spektakel wieder verschlossen worden war. Auf einen Böllerschuss als Signal öffneten sich die Tore nach dem Vorbild des schwarzen Tores in Rottweil und die Hänsele strömten in die Innenstadt. Dieser Brauch wurde bis 1972 beibehalten. Seit 1973 beginnt der "Juck" am Hänselebrunen und zieht ungehindert durch das Tor.

Mittlerweile zählt der amtierende Hänselevater Harald Kirchmaier weit über tausend Hästräger. Die registrierten Nummern haben die inzwischen die 1400er-Marke überschritten, so anziehend scheint das Brauchtum für alte und neue Überlinger zu sein. "Ganz genau weiß man es nicht, wie viele es sind", erklärt Michael Mezger: "Denn heute werden die Nummern nicht neu vergeben, wenn ein Mitglied stirbt." Mezger selbst hat die "5" auf seinem Häs, das kann man getrost verraten. Er liegt damit knapp hinter der ehemaligen Narrenmutter Heinz-Peter Fräntzki, der die "3" hat. Dass nach Mezger bald der wesentlich jüngere Narrenvater Thomas Pross folgt, liegt daran, dass bei dessen Eintritt die alten Nummern noch weitergegeben werden konnten.

So fantastisch das riesige Heer an Hänsele beim abendlichen Juck und der bengalischen Beleuchtung in der Überlinger Altstadt auch wirkt. Es gibt auch die andere Seite der Massenbewegung, zu der das Brauchtum inzwischen längst geworden ist. Symptomatisch für die Zweischneidigkeit ist aus der Sicht Mezgers der gefühlte Wandel in der Begeisterung für die Hästräger in den Kneipen. "Früher fanden es alle Gäste toll, wenn ein Hänsele die Gaststätte betrat, und luden ihn zu einem Getränk ein", formuliert es der Überlinger: "Wenn heute die Tür aufgeht, heißt es eher: "Oh, schon wieder ein Hänsele."

Damals und heute

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Die alten Wurzeln der Fasnacht

  • Die Hauptfigur der Überlinger Fasnacht ist seit jeher "der Hänsele". So ist der korrekte Artikel zu setzen, wenn männliche Überlinger Bürger in dieses Häs schlüpfen und es lebendig werden lassen. Hängt es im Schrank, dann ist es "das Hänsele" oder eben das Hänselehäs.
    Je weiter man zurückgeht in die Vergangenheit, desto mehr verwischen sich auch die Spuren rund um den Ursprung dieser Narrenfigur. Belegt sind namentliche Erwähnungen erstmals im Jahr 1766 in der erhaltenen Überlinger Schwerttanzchronik.
  • Aus dem Jahr 1769 ist dann noch ein Verbot überliefert, in dem der Rat der Stadt ausdrücklich dem Hänsele untersagt, nach "Beth-Läuten" (in aller Regel ab 18 Uhr) herumzulaufen. Gleichzeitig wird hiermit belegt, dass der Hänsele in dieser Zeit bereits in größeren Gruppen während der Fasnacht aufgetreten ist. Im Jahr 1789 wird dem Hänsele das "Schnalzen" (womit wohl das heutige Karbatschenschnellen gemeint war) und sogar das Auftreten in der Stadt verboten.
  • Da die Fasnacht in Überlingen noch weit aus ältere Wurzeln aufweist, liegt es für die Zunft auch auf der Hand, dass es wohl auch in dieser Zeitspanne ein oder mehrere Hänsele gegeben haben musste – oder zumindest eine ähnliche Narrengestalt. Tatsächlich wurde schon in der Überlinger Fastnachtsordnung aus dem Jahr 1496 von einem "Teufelshäs" gesprochen, das wohl bei Prozessionen zu sehen gewesen war. Es war damals im Besitz des Heiligenpflegers. Doch der Fastnachtsordnung ist auch zu entnehmen, dass sich schon damals auch einige Bürger aus Stoffresten selbst ein "Teufelshäs" anfertigten. (hpw/Quelle: Hänselezunft)