Drei junge Überlinger sitzen am Fenster eines Cafés an der Seepromenade. Ein seltener Moment, denn ihre Freizeit ist seit Beginn des Jahres rar gesät. Es geht um ein nahezu einmaliges Projekt. „Selbst wenn es in einem Moment mal wirklich nichts zu machen gibt, beschäftigen wir uns trotzdem damit“, erklärt Jonas Bussler. Der 20-Jährige verfolgt seinen großen Traum. Er möchte Schauspieler werden. Diesen Wunsch teilt er mit Clara Kaupp und Alvaro Rentz. Die drei ordnen alles andere unter, um ihre Chancen zu erhöhen. Sie arbeiten rund um die Uhr, bekommen aber kein Gehalt. Und warum? „Ich will mir nicht vorwerfen müssen, es nicht probiert zu haben“, sagt Clara Kaupp so selbstverständlich, dass man sich für die Frage entschuldigen möchte.

Ihr Plan ist es, ein selbst inszeniertes auf die Bühne zu bringen. In verschiedenen Städten im kompletten deutschsprachigen Raum und über Monate hinweg. Neben dem der Umsetzung der Bühne, erfordert dies ganz viel Organisation. Kontakt mit Theatern, das Gewinnen von Personal und insbesondere finanziellen Mitteln, um dieses zu bezahlen. Daneben Sponsorensuche und Werbung. Für die Gruppe selbst bleibt nichts hängen. Ihr Ziel ist es, die Chancen auf den Platz an einer Schauspielschule zu erhöhen.

Ihre Begeisterung und den absoluten Willen merkt man den ehemaligen Waldorfschülern sofort an. Entgegen einer Kernaussage ihres geplanten Stücks, wissen die drei genau, was sie wollen. Am deutlichsten wird dies bei Alvaro Rentz. Hellere Haut, rötliche Haare und ein wacher Blick. Sein markantes Lächeln verleiht ihm eine sympathische Ausstrahlung. In der Runde ergreift er als letzter das Wort, sein Handeln ist wohl überlegt. Bereits in der 10. Klasse versuchte er, eine eigene Theater-AG zu gründen. Er eignete sich Wissen durch das Selbststudium von Fachliteratur zur Schauspieltheorie an. In der Oberstufe machte der 18-Jährige ein Theaterstück zu seiner Projektarbeit.

Erleichterung und Freude bringt dieses Bild zum Ausdruck: Deborah Bode umarmt Alvaro Rentz, Jonas Bussler und Clara Kaupp blicken ...
Erleichterung und Freude bringt dieses Bild zum Ausdruck: Deborah Bode umarmt Alvaro Rentz, Jonas Bussler und Clara Kaupp blicken lachend herüber. Ein ähnliches Szenario könnte sich ergeben, wenn das Spendenziel erreicht würde. | Bild: Valentino Rentz

Durch den Regisseur Nils Daniel Finckh entstand das Konzept für die Inszenierung des Stücks „Pornographie“. Nackte Haut und anzügliche Szenen gibt es darin nicht. Stattdessen werden die wichtigsten Fragen einer Generation behandelt. Die Bezeichnung „Generation What“ ist eine Anspielung auf die vielen Fragezeichen, die jungen Erwachsenen heute im Kopf herumschwirren. „Ich habe das Gefühl, bisher hatte jede Generation eine Aufgabe“, meint Clara Kaupp und stellt fest: „Unsere ist auf der ständigen Suche danach.“ Diese allgemeine Verunsicherung verstärkt sich durch zusätzliches, von Terror ausgelöstes, Unsicherheitsempfinden. Thematisiert werden die Auswirkungen von Anschlägen auf die Angehörigen. Das Stück beginnt mit der chronologisch betrachtet letzten Szene. Das Publikum wird anschließend immer näher an das auslösende Ereignis herangeführt. Der Titel beschreibt das Perverse des Terrors.

Finckh ist hauptsächlich beim Schauspielhaus Hamburg tätig. Die Arbeit mit der Gruppe ist für ihn ein idealistisches Projekt. Zehn Jahre lebte Finckh selbst in der Region und besuchte ebenfalls die Waldorfschule. Dort hilft der 49-Jährige regelmäßig bei der Inszenierung von Theaterstücken mit, so wie bei Alvaros Projektarbeit. „Das ist Nahrung für die Seele“, sagt der Regisseur. Allerdings habe dies auch für Zündstoff unter den Lehrern gesorgt. Von manchen wurden die Inszenierungen gefeiert, von anderen als unpädagogisch und bewusste Provokation verschrien.

Die jungen Erwachsenen seien sehr unterschiedliche Charakter, die aber eines verbindet: ihre Spielfreude. „Das Spielerische im Schauspiel, das Kindsein auf der Bühne“, wie es Finckh beschreibt. Eine Eigenschaft, zu der auch Profis immer wieder aufs Neue animiert werden müssten. „Es ist wie im Leben, man muss sich immer wieder auf Neues einlassen können und neugierig sein.“

Nahezu täglich stehen Proben an, denn bis zur Premiere in Köln am 27. Juni im "Theater der Keller" bleibt nicht mehr viel Zeit: Hier zu ...
Nahezu täglich stehen Proben an, denn bis zur Premiere in Köln am 27. Juni im "Theater der Keller" bleibt nicht mehr viel Zeit: Hier zu sehen ist Jonas Bussler, der Deborah Bode mit einem ausdrucksstarken Blick anschaut. | Bild: Valentino Rentz

Clara Kaupp hat tiefliegende blaue Augen, mit denen sie ihren Gegenüber fesseln kann, dazu eine lockig-braune Mähne, die ihr gesamtes Gesicht umhüllt. „Du lebst dafür“, sagt die 20-Jährige. Einziges Problem: Die Gruppe benötigt dafür 17 000 Euro. Über mehrere Monate soll bundesweit, aber auch in Österrreich und der Schweiz, aufgetreten werden. Die gebürtige Tüfingerin trinkt einen Schluck ihres Cappuccinos, blickt dann an die Decke und sagt schulterzuckend: „Klar, das ist eine Stange.“ Nötig wird dies insbesondere für Sachkosten und für Honorare. Doch ihre Mundwinkel zeigen nach oben. Die Zuversicht ist da.

Das Darsteller-Team wird von Deborah Bode vervollständigt. Alvaro Rentz konnte die 18-Jährige, die parallel in Berlin Kameraführung studiert, von dem Projekt überzeugen. Daneben wirken neben dem Regisseur eine Regieassistenz sowie ein Filmemacher für Video und Akustik mit.

Vormittags Sponsorensuche, mittags Texte lernen und abends stehen die Proben an. Dazwischen die notwendigen Organisationsaufgaben. Gerade die Sponsorensuche erweist sich für die Gruppe als schwierig. „Wir haben Listen, die wir von oben nach unten abtelefonieren“, sagt Jonas Bussler, der schon jetzt als Fernsehschauspieler durchgehen könnte. Zum Dutt geknotete Haare, Ringe an den Fingern und ein im neutralen Modus schurkenhafter Blick, der sich bei Freude ins komplette Gegenteil verkehrt. „Wir rufen an, stellen das Projekt vor und schicken bei Interesse unser Portfolio“, erklärt der 20-Jährige. Häufig steht am Ende trotzdem eine Absage.

Auch Finckh erkennt, dass immer mehr Menschen fest auf ihrem Geld sitzen. „Wer wirklich viel hat, spendet lieber an soziale Zwecke, auch weil es öffentlichkeitswirksam ist“, so der Wahl-Hamburger, der aber klar stellt: „Das ist absolut in Ordnung!“ Allerdings fällt die Kultur dabei vermehrt durch das Raster.