Überlingen – Wenn die Überlinger Hebamme Roswitha Allgöwer an ihre Zeit in Ghana zurückdenkt, dann hat sie lauter Bilder vor ihrem inneren Auge. Bilder von Frauen, die während der Geburt ihrer Kinder nicht schreien, die ganz allein sind. Von nicht vorhandenen Türen im Krankenhaus und wenig Intimsphäre. Von Sprachfetzen, bestehend aus einem Kauderwelsch aus Englisch und Twi, der Sprache der Region Brong Ahafo, in der sich das Krankenhaus befindet.
Einen Monat war die Überlingerin als Hebamme und Krankenschwester mit der Hilfsorganisation German Rotary Volunteer Doctors (GRVD) in Afrika im Einsatz, um die dort arbeitenden Hebammen und Krankenschwestern zu schulen. "Die Gebärenden werden während der Geburt im Grunde gar nicht von der Hebamme begleitet, ganz selten ist mal die Mutter dabei – der Mann nie. Erst, wenn die Presswehen beginnen, kommt die Hebamme dazu. Das hat mich sehr bewegt", schildert sie ihre Erlebnisse. Eine Einsamkeit der Gebärenden inmitten von Menschen, denn am Personalmangel liege es nicht: "Es sind bis zu zwölf Hebammenschülerinnen im Einsatz, da stehen dann teilweise sechs Personen im Kreissaal und unterhalten sich, während die Frauen allein ihre Wehen veratmen." Sie habe versucht, die Hebammen und Hebammenschülerinnen für die Begleitung der Frauen zu sensibilisieren und ihnen klarzumachen, dass die Gebärenden jemanden an ihrer Seite brauchen. Doch die Gewohnheiten während der Geburt seien dort ganz anders als hier – nicht nur, was die Begleitung durch die Hebammen angeht: "Die Gebärenden dürfen nicht schreien, alles ist offen, es gibt keine Türen, keine Intimsphäre."
Dennoch seien gerade die jüngeren Hebammenschülerinnen durchaus offen für ihre Anregungen gewesen. Auch habe sie erklärt, wie man ein CTG auswertet und so anlegt, dass die Herztöne hörbar sind. Auch im Operationssaal war die Hebamme und OP-Schwester viel unterwegs. "Ich habe viele Myom-Operationen gesehen, die finden aber nicht täglich statt, sondern werden gesammelt und dann alle der Reihe nach durchgeführt." Auch im OP seien viele Menschen anwesend: "Bei einer Geburt schauen acht bis zwölf Personen zu, bei einer Operation bis zu 30, darunter eben auch viele Schülerinnen." Stark geachtet werde auf die Hygiene, wenn es auch keine Desinfektionsmittel gebe: "Überall findet sich kleingeschnittene Seife, alles ist sehr sauber und auf Händewaschen wird großer Wert gelegt."
Sehr bewegt hat die Hebamme mit 24-jähriger Berufserfahrung der Besuch der Kinderstation: Dort werden auch Frühgeborene ab der 28. Woche betreut. "Aber sie haben keinen Apparat, um die Kinder durchzukriegen. Als ich dort war, kam ein Kind in der 27. Woche zur Welt. Das ging mir sehr nahe. Sie brauchen dort dringend einen Perfusor, das ist ein Infusionsgerät, das die Tropfen zählt, die in den Körper des Kindes gehen. Aber es fehlt hinten und vorne an Geld." Ob das Kind überlebt hat, weiß Roswitha Allgöwer nicht. "Es war eine Woche alt, als ich wieder nach Deutschland fuhr."
Und wie kommt es, dass eine Hebamme aus Überlingen in Ghana im Einsatz ist? "Zustande kam der Kontakt über einen Gynäkologen, Prof. Wolfgang Heidenreich, der mit meinem Vater, Prof. Peter Petersen, befreundet ist", sagt sie. "Heidenreich ist schon das sechste Mal in Afrika, um dort Ärzte anzulernen, und erzählte, dass noch eine Hebamme zur Unterstützung gesucht wird." Roswitha Allgöwer besprach sich mit ihrem Mann und ihren vier Kindern, bekam volle Rückendeckung und dann war es klar: Am 2. Januar flog sie für vier Wochen nach Afrika, die nächste Reise ist schon in Vorbereitung. Denn in dem Krankenhaus gibt es noch viel zu tun, hat die 53-Jährige festgestellt. "Da reicht ein Monat nicht aus, deshalb fahre ich wieder hin und freue mich sehr darauf."
Hilfsorganisation
German Rotary Volunter Doctors (GRVD) ist eine humanitäre Hilfsorganisation, die von allen Rotary-Distrikten in Deutschland getragen wird. Der Verein wurde im Jahr 1998 gegründet und hatte im Juli 2016 insgesamt 1100 Mitglieder. Vor allem ist der Verein in Ghana und Nepal im Einsatz – pro Jahr finden rund 150 Einsätze statt. Der Verein übernimmt die Einsatzplanung, Organisation, Reisekosten und Versicherung der Einsätze der ehrenamtlich tätigen Ärzte und medizinischen Hilfskräfte. Ziele sind die Akutversorgung der Kranken am Einsatzort, Hilfe zur Selbsthilfe für Partnerkliniken, medizinische Versorgung in den Einsatzländern. Der Verein finanziert sich über Mitgliedsbeiträge, Spenden und Benefizveranstaltungen. (emb)