Bernd Walter war 17 Jahre alt, als er mit dem Fahrrad an einer Pilgertour von Lourdes nach Santiago de Compostella teilnahm, "noch lange, bevor Hape Kerkeling das Pilgern für sich entdeckte". Walter radelte mit seiner Gruppe bis ins Kloster Samos in Galizien, wo er, wie er heute sagt, ein Aha-Erlebnis verspürte, also das, was Berufskollegen von ihm als "Berufung" bezeichnen würden. Im Gespräch am Lagerfeuer sei ihm, der damals als Gärtner eine Ausbildung absolvierte, klar geworden, dass er sich in seinem Leben um mehr als die Zucht von Zierpflanzen kümmern wolle. Sein neuer Plan für sich sollte "groß genug sein, dass Gott darin Platz findet, und weit genug, dass er die Ewigkeit umfasst". Etwas profaner ausgedrückt: "Ich habe einen der schönsten Berufe, den man sich vorstellen kann. Ich darf Menschen von der Taufe bis zu ihrer Beerdigung begleiten und genieße dabei einen großen Vertrauensvorschuss."
Zum Missbrauchsskandal
Wobei das mit dem Vertrauen so eine Sache ist. "Das Jahr 2010 hat uns das Genick gebrochen, was das Vertrauen in uns Priester angeht." Bernd Walter spricht damit von sich aus das Jahr an, in dem auch in Deutschland zahlreiche Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche bekannt geworden sind. "Mir tut das von Herzen leid, und ich versuche, das Beste daraus zu machen." Ihm sei es wichtig, als Person zu überzeugen, "in den persönlichen Begegnungen".
9000 statt 6500 Katholiken
Die Zahl der Gläubigen, für die Bernd Walter zuständig ist, steigt mit seinem Wechsel vom Nordschwarzwald an den Bodensee. Während seine Seelsorgeeinheit bislang 6500 Katholiken in acht Orten umfasste, einer zu 70 Prozent von Protestanten bewohnten Region, zähle die Seelsorgeeinheit im katholischen Überlingen 9000 Mitglieder, von denen 3000 in den vier ehemals selbstständigen Pfarreien Lippertsreute, Owingen und Billafingen leben.
Was sein Vorgänger sagte
Der bisherige Stadtpfarrer von Überlingen, Karl-Heinz Berger, hatte "mit der Vielzahl und der Verschiedenheit der Gemeinden" gehadert, es sei anstrengend für ihn gewesen, sagte er im Juni in einem SÜDKURIER-Interview. Berger, der im Juli mit 65 Jahren aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig den Ruhestand antrat, empfand es als schwierig, dass Entscheidungen für die Dörfer in der Stadt zum gegenteiligen Ergebnis führen konnten und umgekehrt.
"Seelsorger, kein Manager"
Die Größe der Gemeinde betrachte er als reizvolle Herausforderung, sagt Walter. Er setze sehr auf den Einsatz seiner hauptamtlichen Kollegen, Diakon und Pastoralreferentin, und auf Ehrenamtliche. "Es geht mir darum, den Leuten, die sich in den kirchlichen Diensten engagieren, beim Gehen zu helfen und sie dann auch loszulassen". Er selbst sehe sich nicht als Mittelpfosten eines Zirkuszelts, das zusammenfällt, wenn er fehlt.
Sein Lebensmotto
Auf die Frage nach seinem Lebensmotto zitiert Bernd Walter, der im Dezember seine neue Pfarrstelle in Überlingen antritt, die jüdische Dichterin Hilde Domin (1909 bis 2006): "Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten."
Seine Rolle als "Chef"
Als Pfarrer mit 36 Jahren, damals in seiner ersten Stelle, "wollte ich zeigen, was ich kann". Seine Ideen sollten sofort umgesetzt werden. Heute, mit 48 Jahren, sei daraus "eine engagierte Gelassenheit" geworden. Er setze auf Kooperation. "Ich bin ein Seelsorger und kein Manager. Ich wollte immer ein Pfarrer sein und nicht ein Chef, sondern einer der mitgeht, nach dem Motto: Mit Euch bin ich Christ." Scherzhaft betont er die Begrenztheit der Pfarrer in wachsenden Seelsorgeeinheiten: "Die Gabe der Bilokation (das Erscheinen an zwei Orten gleichzeitig) besitze ich nicht."
Ausbau der Ökumene
Im Rückblick auf Pforzheim sagt er, dass es ihm in den zwölf Jahren gelungen sei, die acht Orte in der Seelsorgeeinheit "auf Vordermann" zu bringen, "insofern, als dass wir wirklich eine Kirchengemeinde sind, eine Familie, in der man umeinander weiß". Man habe sich gegenseitig in den Dörfern besucht.
Die Ökumene, also das Zusammenwirken von evangelischer und katholischer Kirche sei für ihn eine Selbstverständlichkeit. "Es geht nur gemeinsam." Aufgabe der katholischen Mehrheit in Überlingen sei es, auf den kleineren Teil zuzugehen, "sie wertzuschätzen, sie ins Boot zu holen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen".
Zum Zölibat
"Nein, ich habe den Schritt, Pfarrer zu werden, nie bereut", sagt Walter. Zwar sei der Zölibat, keine eigene Familie haben zu dürfen, "immer noch ein Stachel im Fleisch", so Bernd Walters Worte. Seine Entscheidung für das Priesteramt sei allerdings kein "fauler Kompromiss" gewesen. Denn: "Das Andere war immer größer." Wenn er sich überlege, ob Priester heutzutage auf junge Menschen "anziehend" im Sinne einer guten Werbung für den eigenen Berufsstand wirken, dann mache er dafür weniger äußerliche Gegebenheiten geltend, sondern sein Wirken als Person in der Öffentlichkeit. "Die Leute sollen mit mir jemanden erleben, von dem sie sagen können: Ja, der macht auf mich einen erfüllten Eindruck."
Verwandt mit Eugen Walter
Der legendäre Pfarrer Eugen Walter von Lippertsreute ist verwandt mit Bernd Walter. Eugen Walter, der von 1941 mit 1951 Pfarrer in Lippertsreute war, wurde bekannt für seinen Mut beim Einmarsch der Franzosen am Ende des Zweiten Weltkriegs, als er trotz der Gefahr, von den SS-Leuten im Ort erschossen zu werden, den Aufbau von Panzersperren verhinderte, die weiße Fahne schwenkte und den anrückenden Soldaten auf Französisch zurief, dass man mit den SS-Leuten im Dorf selber fertig werde. Eugen Walter ist der Cousin von Bernd Walters Großvater. Als Eugen Walter 1999 starb, lernte Bernd Walter bei der Beerdigung die frühere Ortsvorsteherin Ancilla Starosta kennen und war beeindruckt davon, dass sein Verwandter im Priesterkleid für so viele Jahre in guter Erinnerung geblieben ist.
Zur Person
Bernd Walter wurde am 14. Februar 1970 in Bühl geboren, aufgewachsen ist er als ältestes von drei Kindern im Stadtteil Gamshurst bei Achern. Nach dem Besuch der Hauptschule absolvierte er eine Ausbildung zum Blumen- und Zierpflanzengärtner. Ab 1989 besuchte er das erzbischöfliche Seminar Sankt Pirmin in Sasbach (Ortenau), wo er auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur machte, ab 1993 Studium der Theologie in Freiburg. Nach seinem Vordiplom Studienaufenthalte in Rom und Istanbul sowie Praktikum in Mosbach (Odenwald), 1999 Studienabschluss in Freiburg, 2000 Diakon in Durlach. Am 13. Mai 2001 Priesterweihe, anschließend Kaplan in Lauda-Königshofen (Taubertal) und in Wiesloch (Kurpfalz). Seit 2006 war er Leitender Pfarrer in der Seelsorgeeinheit Eutingen. Dazu gehören acht Orte: Bauschlott, Dürrn, Eutingen, Göbrichen, Kieselbronn, Nußbaum und Niefern-Öschelbronn.