Region Überlingen – Ja sagen, das ist für Werner Endres alternativlos. Er sitzt seit 44 Jahren im Meersburger Stadtparlament und dürfte im ganzen Land einer der treuesten Gemeinderäte sein. Ja sagte er auch jetzt wieder, als er gefragt wurde, ob er bei den Kommunalwahlen im Mai 2019 noch einmal kandidiert. Endres tut's mit dann 82 Jahren.

Werner Endres: Warum er mit 82 noch für den Gemeinderat kandidiert Video: Hilser, Stefan

Nein! Das antworten die allermeisten, wenn sie danach gefragt werden, ob sie bei den Kommunalwahlen antreten möchten. "Bin zu alt" oder "bin zu jung" oder "habe keine Zeit" lauten die wichtigsten Gründe. Junge Mütter verweisen auf die Betreuung ihre Kinder, Unternehmer auf ihre Verantwortung im Betrieb. Andere fühlen sich als Zugezogene nicht zugehörig. Oder haben keine Lust auf einen Shitstorm in den sozialen Medien. Die Bindung an eine Partei finden manche doof und nicht zuletzt heißt es, dass man im Gemeinderat 'eh keinen Einfluss habe.

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Stimmt das? Auf Anfrage unserer Redaktion nahmen diverse Gemeinderäte und Kandidaten zu den Ablehnungsgründen Stellung und kehrten sie ins Positive. Otto Köhler beispielsweise, der als Neubürger in Daisendorf kandidierte, war überrascht, wie ihm die Arbeit im Rat dabei half, seinen Wohnort kennen zu lernen.

CDU Überlingen hat schon alle

Tatsächlich aber stöhnen diesmal die Parteien und politischen Gruppierungen besonders laut darüber, wie schwer es falle, Kandidatur zu finden. Da fällt es auf, dass die CDU Überlingen ihre Liste schon voll hat, ein halbes Jahr vor den Wahlen. Friedrichshafens CDU-Vorsitzender Manuel Plösser blickt neidisch nach Überlingen, wie er sagte, sein Ortsverband terminiere die Sitzung, in der die Namen der Kandidaten bekannt und dieselben gekürt werden, erst auf Ende Januar.

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Wie schaffte die Überlinger CDU das? Mit einem Satz formuliert: Indem sie Klinken putzte.

Nun ausführlicher: Alexander Bruns, Vorsitzender im CDU-Stadtverband, musste sehr viele Gespräche mit Frauen und Männern führen, bevor sie zu Kandidaten wurden. „Ich bin ja schon seit Monaten unterwegs, ich schätze mal, dass ich 50 bis 60 Gespräche geführt habe“. Die Hälfte davon, teils über eine Stunde lang, endeten mit einer Absage. „Der meist genannte Ablehnungsgrund war, dass man beruflich und familiär zu sehr eingespannt sei und dieses Ehrenamt nicht auch noch schultern könne." Bruns: „Manche Leute meinen auch, dass sie es sich nicht zutrauen würden, dass sie zu wenig Ahnung von Politik hätten.“ Zuweilen sei ihm auch ehrlich eine Absage erteilt worden, „wenn jemand mit der politischen Couleur der CDU nicht klar kommt“. Doch unterm Strich, bei allen Enttäuschungen, gibt sich Bruns zufrieden. Sein Erinnern daran, dass Demokratie viel mit Verantwortungsbewusstsein zu tun hat, fruchtete – manchmal.

Wer will sich das antun?

Gerade interessante Persönlichkeiten, die sich im öffentlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Leben schon einen Namen machten, oder junge Mütter, die sich um kleine Kinder kümmern, die aber eine kommunalpolitisch wichtige Stimme wären, winken mit Blick auf den Sitzungskalender ab. Ratssitzungen, Fraktionssitzungen und Ausschüsse, Aktenstudie und Klausursitzungen, und dann auch noch die Diskussion mit den Bürgern auf der Straße, im Internet und in der Nachbarschaft – wer will sich das antun?

CDU-Kandidaten über ihre Motive

Diese Frage beantworten am besten die, die's tun. Hier beispielhaft ein Blick auf die Überlinger CDU-Kandidaten, die bei ihrer Nominierungsversammlung Gründe nannten. Peter Geissele, ein 58-jähriger Gastwirt, sagte, dass er als Rat der Stadtverwaltung „auf die Füße treten“ wolle. Martina Hesse, 62-jährige Mathematikerin, zog vor sechs Jahren nach Überlingen, „weil die Stadt so schön ist“, und will jetzt mithelfen, „dass die Umwelt geschützt und Mitmenschen integriert werden“. Andreas Jöckle, 33-jähriger Techniker, will das Stadtleben "mit jungem Blut versorgen“. Marcus Maier, 49-jähriger Unternehmer, will sich für die Schaffung bezahlbaren Wohnraums einsetzen, „damit Zuzug stattfinden kann“. Teresa Numberger, 37-jährige Mutter von drei Kindern, will sich „für junge Familien engagieren“ und Sonja Straub, 39-jährige Bäuerin, "einen Beitrag als Mutter und als Frau vom Hof leisten".

Der geborene Gemeinderat

Neben der Verfolgung konkreter Ziele gibt es das eher abstrakte Interesse an Kommunalpolitik. Dazu das Beispiel des 61-jährigen Optikermeisters Ulrich Krezdorn. "Mir wurde die Kommunalpolitik in die Wiege gelegt“, sagte er. Seine Mutter war schon Gemeinderätin, und so sei kein Weg daran vorbei gegangen, zumal er in der Altstadt wohnt und Input von Kunden erhält. Andrea Reischmann, 47 Jahre und im Ofensetzergeschäft ihres Mannes beschäftigt, kam 1997 „der Liebe wegen nach Überlingen“. Sie sagte mit Überschwang: „Die Überlinger, die Stadt, der Überlinger Allefanz, sind mir sehr ans Herz gewachsen; ich will dafür kämpfen, dass es so liebenswert bleibt.“ Carmen Kindler, 40-jährige Schulleiterin, fand über das Frauenforum der CDU zur Kommunalpolitik. „Das war eine gute Plattform, gerade für Frauen, die hier den Mut entwickeln, in die Politik zu gehen. Deshalb stehe ich heute hier.“

Alice Weidel hat in Überlingen einen Hauptwohnsitz. Das Bild zeigt sie in der Franziskanerstraße in Überlingen.
Alice Weidel hat in Überlingen einen Hauptwohnsitz. Das Bild zeigt sie in der Franziskanerstraße in Überlingen. | Bild: Hilser, Stefan

Wäre Weidel wählbar?

Wählbar für den Gemeinderat sind alle Bürger einer Gemeinde, die am 26. Mai 2019 das 18. Lebensjahr vollendet haben, Deutsche oder EU-Bürger sind und seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde wohnen.

Was heißt "Wohnen"? Nach Auskunft von Joachim Kruschwitz, Erster Landesbeamter im Landratsamt des Bodenseekreises, muss bei Zweifeln eine vom Kandidaten objektiv genutzte Wohnung nachgewiesen werden und eine gewisse Bindung an den Ort plausibel gemacht werden. Sollte zum Beispiel Alice Weidel (AfD) in Überlingen für den Gemeinderat kandidieren wollen, dem Ort, an dem sie gemeldet ist, habe er gewisse Zweifel, ob sie das "Wohnen" im Sinne der Wählbarkeit nachweisen kann. Kruschwitz erinnert sich an einen Fall in Meersburg, bei dem ein Gastwirt, der in Wahrheit in einem Nachbardorf wohnte, vom Gemeindewahlausschuss nicht zur Wahl zugelassen wurde. Auch seine Klage deswegen blieb erfolglos, nachdem sich das Verwaltungsgericht von der angeblichen Wohnung, in der nur eine Bedienstete wohnte, ein Bild verschafft hatte.

Kandidiert Weidel? Auf SÜDKURIER-Anfrage an die AfD-Chefin im Bundestag, ob sie oder die AfD überhaupt in Überlingen kandidiere, kam bislang keine Antwort.