Frauen stellen 50 Prozent der Bevölkerung dar, was sich nach den Kommunalwahlen allerdings nicht in den politischen Gremien der Region abbildet. Im Überlinger Gemeinderat schrumpfte die Zahl der Frauen von bisher sechs auf fünf und somit auf ein Fünftel des gesamten Stadtrats, und dieser Abwärts-Trend bildet sich auch in einigen umliegenden Gemeinden nach. Für die SPD, die FDP und die Freien Wähler/Üfa sitzen gar keine Frauen mit am Ratstisch.
Wahlsiegerinnen und Verliererinnen machen sich dazu unterschiedliche Gedanken. „Warum nicht mehr Frauen von den Listen gewählt werden, kann ich nicht beantworten, nur spekulieren. Der Wähler, die Wählerin entscheidet und wenn Männer keine Frauen wählen, ist es schon schade, dass es die Frauen offensichtlich auch nicht tun“, sagt Alice Förster, Kandidatin der Grünen. Mit 2297 Stimmen verfehlte sie den Einzug in den Überlinger Rat. Förster hatte vor den Wahlen einen überparteilichen Workshop des Frauen-Netzwerkes Bora mitorganisiert. Bora (für den Bodenseekreis und Ravensburg) setzt sich für politische Teilhabe für Frauen ein, mit dem Ziel einer 50 prozentigen Beteiligung in den jeweiligen Gremien auf Kommunaler- und Kreisebene. „Mitwirken in der Kommunalpolitik – wie geht das?“ war der Titel der Veranstaltung.
Nicht mehr mitwirken am Überlinger Ratstisch wird Sylvia Kruse-Baiker. Die SPD-Gemeinderätin, eine von neun nominierten Frauen der SPD, verpasste knapp den Einzug ins städtische Gremium und ist darüber traurig, weil ihr die Arbeit sehr viel Spaß gemacht hat. „Mein Interesse an Politik und am Engagement für die Gesellschaft ist aber ungebrochen“, sagt sie. Dennoch bleibt Kruse-Baiker bei ihrer Haltung, keine Frauenquote am Ratstisch und ist damit mit Sonja Straub (für die CDU neu im Gemeinderat), Kristin Müller-Hausser (neu für die BÜB) und Bettina Dreiseitl-Wanschura (neu für die Grünen) einer Meinung.
Alexander Bruns, Ortsvorsitzender und ebenfalls neuer Gemeinderat der CDU, bilanziert: „Grüne und SPD haben in Überlingen jeweils eine Frau weniger im Gemeinderat. Die CDU war mit Sonja Straub im Bemühen um eine Stärkung der Weiblichkeit erfolgreich, wir sind damit auf dem richtigen Weg“.
Für eine Partei, deren Engagement man das Frauenwahlrecht in Deutschland verdanke, sei die aktuelle Zusammenstellung der Fraktion schon überraschend, konstatiert Sylvia Kruse-Baiker, zu den drei SPD-Männern im Gemeinderat. „Haben sich die Wählerinnen und Wähler eigentlich ausreichend mit den Kompetenzen der Frauen die zur Wahl standen auseinandergesetzt“, fragt sie und ist selbstkritisch in ihrer Betrachtung. Eine starke Einbindung von Frauen in die Programm- und Strategieentwicklung, vor allem aber in der Aufstellung habe da und dort gefehlt. Bürgerinnen und Bürger müssten sich aber bei der Wahl auch klar zu Frauen in der Politik bekennen, meint sie über die Fraktionen hinweg.
Kruse-Baiker spannt den Bogen weit über das Überlinger Gremium hinaus: „Frau Merkel genießt mit Recht hohe Anerkennung und Andrea Nahles, aber auch Theresa May haben in kritischen Zeiten Verantwortung übernommen, das darf man nicht unterschätzen. Wo waren da die Männer?“ Eine generelle Verdrossenheit über Politikerinnen möchte sie damit nicht gelten lassen.
Auf die Frage, ob Männern immer noch mehr Kompetenz zugetraut würde, kommt ihre Antwort direkt: „Mir erscheint die Entscheidung für einen Mann bisweilen nur noch als Reflex, da wird häufig nicht über Kompetenz nachgedacht – und das ist ein Jammer. Eines möchte ich schon feststellen, Frauen sind in der Politik keine Spur unbegabter als Männer“.
Bettina Dreiseitl-Wanschura hat zum ersten Mal kandidiert und ist mit 3308 Stimmen neue Gemeinderätin für die Grünen. „Ich habe mich engagiert bei der LGS und verschiedene Veranstaltungen moderiert, so bin ich bekannt geworden“, resümiert die gebürtige Wienerin über ihren Wahlerfolg. Auch sie wünschte sich mehr Frauen im Gemeinderat, denn diese hätten andere Zugänge und Schwerpunkte zu Themen der Gesellschaft. Dreiseitl-Wanschura hofft auf mehr Diversität im Gemeinderat.
Als international tätige Landschaftsökologin steht sie für ein anderes Frauenbild, als Sonja Straub. Die neue CDU-Stadträtin stand oft im Dirndl im Wahlkampf und nennt dies ihren Markenkern: „Ich trag das auch privat, es gefällt mir“. Straub ist sich aber bewusst, damit ein bestimmtes, bodenständiges und traditionelles Frauenbild zu transportieren. Dieses passe doch hervorragend zur CDU und sei für sie authentisch, so Straub.
Die Antwort auf die Frage, warum so wenig Frauen im neuen Überlinger Gemeinderat sitzen, konnten die Angesprochenen nicht schlüssig beantworten. Es sind viele verschiedene Gründe aber letztlich der Wählerwille, sind sie sich einig. Kristin Müller-Hausser, neue Rätin für die BÜB, betont, dass sie ein besonders offenes Ohr für die Anliegen von Frauen habe, da sie diese ja jetzt auch repräsentiere. Dem stimmten alle Frauen im neuen Gemeinderat zu.
Frauen im Rat
Nicht nur in Überlingen sind Frauen im Gemeinderat deutlich in der Minderheit. Auch in den anderen zehn Gemeinden im Verbreitungsgebiet der SÜDKURIER-Lokalredaktion Überlingen dominieren die männlichen Ratsmitglieder. Besonders auffallend ist der Frauenanteil in Heiligenberg: Nach der Wahl ist dort Maria Morgen die einzige Vertreterin neben elf Männern. Zuvor hatte sie mit Gerlinde Kriese und Julia von Stryk zumindest noch zwei weitere Mitstreiterinnen.
Auch in Frickingen (von vier auf drei), Salem (neun auf acht), und Daisendorf (drei auf zwei) ist die Zahl der Rätinnen gesunken. Doch es gibt auch gegenläufige Bewegungen: In Uhldingen-Mühlhofen sind künftig acht der 18 Sitze von Frauen besetzt, zuvor waren es sieben. Auch in Meersburg ist die Zahl der Frauen von fünf auf sieben angestiegen – bei elf Männern. Besonders ausgeglichen ist das Geschlechterverhältnis in Owingen. Dort sitzen künftig sieben Frauen und acht Männer im Gemeinderat – zuvor lag das Verhältnis bei fünf zu zehn.