Klavierspielen geht trotz ihres gebrochenen Arms wieder. Das ist für die Pianistin und Sängerin Gerlinde Schmid das Wichtigste. Allerdings hat sie seit ihrem Sturz in der Lindenstraße Angst davor, ein weiteres Mal hinzufallen. Bei ihrem Sturz im Februar 2023 zog sie sich einen Knochenbruch zu. Deshalb verlässt sie ihr Haus nur noch mit dem Rollator, um in der Lindenstraße mit ihren teils zentimeterhoch herausragenden Pflastersteinen nicht erneut zu stürzen.

Gerlinde Schmid ist nicht die einzige in der Nachbarschaft, die die Stolperfallen anmahnt. Auch ihre Nachbarin Heidi Riede berichtet, dass sie schon zweimal gestürzt sei. Ein weiteres Mal sei ihr Mann an ihrer Seite gestürzt und habe sie mit zu Boden gerissen. Heidi Riede: „Man muss in der Lindenstraße beim Gehen wie ein armer Sünder auf den Boden schauen, um nicht über das Pflaster zu stolpern.“

Teils ragen einzelne Pflastersteine zentimeterweit aus der Straße, während Lieferverkehr den Belag weiter belastet.
Teils ragen einzelne Pflastersteine zentimeterweit aus der Straße, während Lieferverkehr den Belag weiter belastet. | Bild: Hilser, Stefan

Dritte in der Nachbarschaft ist Annerose Nylund. „Ich bin in der Lindenstraße schon oft gestolpert.“ Mit der Erfahrung einer Eiskünstlerläuferin wisse sie sich jedes Mal aufzufangen, was einer Fußgängerin vor wenigen Tagen aber nicht gelungen sei, wie Nylund berichtet. Vor ihrer Haustüre sei die Dame gestürzt, der Notarzt habe sich um ihre schweren Verletzungen gekümmert.

Problem für alle schwachen Verkehrsteilnehmer

Abgesehen von stürzenden Fußgängern, solidarisieren sich die drei Damen auch mit Kleinkindern im Kinderwagen, Rollstuhl- und Fahrradfahrern, die durch die Straße holpern. Die aus der Schweiz stammende Heidi Riede berichtet auf Schwiizerdütsch: „Der Herr Zeitler muss es doch wissen. Der kommt mit seinem Fahrrad ja auch obärab und wird dabei durchgeschüttelt.“

Die Pressestelle von OB Jan Zeitler teilt auf Anfrage mit, dass der Technische Ausschuss des Gemeinderats im April festgelegt habe, dass das vorhandene Pflaster neu verlegt werden soll. Steine würden herausgenommen und mit einem Gemisch aus Zement und Sand neu verlegt werden. Die Arbeiten wurden bisher noch nicht ausgeschrieben, seien mit 250.000 Euro für 2024 aber bereits budgetiert.

Gerlinde Schmid stellt Pflasterbelag infrage

Bereits 2013 erteilte der Ausschuss einen Planungsauftrag. Anfang 2015 wurden vom beauftragten Büro mehrere Sanierungsvorschläge gemacht, die laut städtischer Pressestelle in den Gremien keine Zustimmung fanden, „weil aufgrund der Sparmaßnahmen Teilbereiche in Asphalt, beziehungsweise in Betonpflaster geplant waren“.

Genau das ist der Punkt, bei dem Gerlinde Schmid einhakt. Warum müsse denn unbedingt wieder gepflastert werden, fragt die Witwe des früheren Münsterkantors Anton Johannes Schmid. Warum kein Asphalt wie in der Münster- und der Franziskanerstraße? Die Lindenstraße sei früher auch asphaltiert gewesen, so Schmid, die in der angrenzenden Gradebergstraße aufgewachsen ist.

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Lag das Pflaster früher in einer anderen Stadt?

Das Pflaster wurde laut einer Gemeinderatsakte 1985 verlegt. Wie sich Schmid aus einem Gespräch mit dem mittlerweile verstorbenen früheren Ortsbaumeister Wolfgang Woerner erinnert, stamme der Porphyr als Recyclingmaterial aus einer anderen Stadt. Woher genau weiß sie nicht, und auch im Rathaus sind keine Unterlagen dazu vorhanden. Schwarzweißfotos in Unterlagen der Stadt jedoch zeigen die frühere Lindenstraße in asphaltiertem Zustand, die direkt an der Nordseite des Münsters entlangführte. Denkmalschutzgründe, so Gerlinde Schmid, könne es nicht geben, die einen Erhalt des Pflasters forderten.

Mit Pseudonym „Nikolaus“ Brief an Räte und OB

Als Gerlinde Schmid ihre Nachbarinnen für das Zeitungsfoto zusammenrief, mit dem sie ihren Protest zum Ausdruck brachten, gab sie sich als Autorin eines Gedichts zu erkennen, das sie im Dezember 2023 an die Gemeinderatsfraktionen und an den OB geschickt hat. Sie gab sich darin, passend zum benachbarten Nikolausmünster, und passend zur Jahreszeit, als Nikolaus aus, der den Zustand der Lindenstraße beklage. „Wär‘ dieser Abschnitt asphaltiert, wär Jung und Alt nicht malträtiert“, dichtete sie. Reaktionen erhielt sie darauf freilich keine, weil sie sich mit ihrer Kritik quasi hinter Nikolaus versteckte. Mittlerweile aber ist es ihr ein Anliegen, öffentlich und mit Nachdruck auf die Sanierung hinzuweisen.

Den Grund für den schlechten Zustand des Straßenbelags sieht Gerlinde Schmid im vielen Lieferverkehr. Sie zählt alle 20 Geschäfte im Abschnitt zwischen Munding und Gradebergstraße auf. Plus den Verkehr, den das Münster, die Pfarrei und das Rathaus anziehen. Sie findet: „Die vielen Laster hält das lottrige Pflaster nicht aus.“