Dodo Wartmann begleitete 2017 ihren demenzkranken Ehemann bis zur Schwelle des Todes. Nun hätte sie sich nichts sehnlicher gewünscht, als am Sterbebett ihres Vaters zu sitzen, wenn es bei ihm so weit sein würde. Wilhelm Hammer wurde 95 Jahre alt. Er starb am 27. Juni im Helios-Spital. Sie vermutet, dass es zwischen 4 Uhr und 4.30 Uhr war. „In der Zeit, in der ich vor der Türe gestanden bin, und niemand mich eingelassen hat“, sagt Dodo Wartmann traurig. „Dass ausgerechnet mir das passieren musste.“

Dodo Wartmann ist in der Region bekannt. Sie lebt in Frickingen und ist Vorsitzende des Literaturvereins Lilive. Die 1949 geborene Pädagogin ist Autorin des Buchs ‚Das blaue Edelweiß‘. Unter ihrem Pseudonym Mari Blum beschreibt sie offen, schonungslos, aber auch humorvoll, wie ihr Mann an Demenz erkrankte und sich schleichend erst von seiner Persönlichkeit und dann aus ihrem Leben entfernte. Nach seinem Tod nahm sie das Studium der Geragogik auf und widmet sich in ihrer Dissertation, die sie aktuell schreibt, speziell der Frage, wie man alte Menschen zur Teilhabe im Alltag motivieren kann.

Inniges Verhältnis zum Vater

Teilhabe am Leben heißt für Wartmann in besonderer Weise eben auch: Begleitung im Sterben. Das sei ein Grundbedürfnis jedes Menschen. Zu ihrem Vater hatte sie ein inniges Verhältnis. Er lebte in den vergangenen Jahren bei ihr in Frickingen. Und er sei so stolz darauf gewesen, dass seine Tochter in ihrem Alter noch für eine Doktorarbeit zugelassen wurde.

Eigentlich wäre sie über Nacht geblieben

Am Tag, bevor er starb, wurde er mit Atemnot ins Helios-Spital eingeliefert. Das war ein Mittwoch. Eigentlich wollte er zu Hause sterben. Doch aus Panik vor der Atemnot betätigte er einen Not-Knopf, der die Sanitäter kommen und ihn pflichtgemäß ins Krankenhaus bringen ließ. Dodo Wartmann berichtet, dass sie ihn am Mittwochabend im Krankenhaus besuchte. Sie wäre geblieben, wenn sie nicht nach ihren Hunden hätte schauen müssen, nicht gerade einen Wasserrohrbruch im Haus gehabt und nicht wenigstens mal für zwei Stunden schlafen hätte müssen. „Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht die ganze Zeit bei ihm bleiben konnte.“

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Bevor sie am Mittwochabend die Station verließ, auf der ihr Vater lag, habe sie das Personal darüber informiert, dass sie nachts nochmal komme, und da habe man ihr geantwortet, dass sie klingeln solle. An der Pforte habe sie erneut darauf hingewiesen, dass sie nachts wieder komme. Und auch da habe man ihr versichert, dass es kein Problem sei, sie solle klingeln. Sie sei zwischen 4 und 4.30 Uhr vor der Türe gestanden, habe mehrfach die beiden Klingeln betätigt. Ihr Vater sei gegen 4.35 Uhr gestorben – aber alleine.

Helios-Spital: „Nicht nachvollziehbar“

Julia Stapel ist Pressesprecherin im Helios-Spital. Und sie ist für das Beschwerdemanagement zuständig. Sie sagt, dass sie in einer Runde aus Ärzten und Pflegekräften das Geschehene zu rekonstruieren versuchten. „Es bleibt für uns allerdings nicht vollständig nachvollziehbar.“ Die Klingelanlage sei nach dem Vorfall überprüft worden. „Sie funktioniert einwandfrei.“

Die Klingelleiste am Haupteingang des Helios-Spitals in Überlingen. Wie Bodo Wartmann sagt, habe sie beide Knöpfe mehrfach gedrückt.
Die Klingelleiste am Haupteingang des Helios-Spitals in Überlingen. Wie Bodo Wartmann sagt, habe sie beide Knöpfe mehrfach gedrückt. | Bild: Hilser, Stefan

Ohne auf den Fall direkt einzugehen, teilte Stapel unserer Redaktion per E-Mail mit: „Angehörige wie fußläufige Patienten und Patientinnen, die zwischen 21.30 und 5.30 Uhr, also außerhalb der üblichen Öffnungszeiten, Zutritt benötigen, werden von den Mitarbeitenden der Notaufnahme eingelassen. Dafür ist eine gut sichtbare Klingel am Haupteingang angebracht. Wird diese Klingel betätigt, löst sie über unser Rufsystem ein Signal aus, das sofort an die Zentrale Notaufnahme weitergeleitet wird. Dort wird der Ruf von Mitarbeitern entgegengenommen, die nach dem Grund des Besuchs fragen und daraufhin Zutritt gewähren.“ Außerdem betont sie: „Angehörige, die ihre schwerkranken oder sterbenden Familienmitglieder begleiten möchten, erhalten selbstverständlich jederzeit Zutritt.“ Auch eine Übernachtung sei für Angehörige in diesem Fall möglich.

Die große Frage nach dem Warum

Julia Stapel erfuhr in ihrer Rolle als Pressesprecherin über den SÜDKURIER von dem Fall, und nicht in ihrer Rolle als Beschwerdemanagerin, beziehungsweise nicht über interne Wege. Nach Bekanntwerden nahm sie umgehend mit Dodo Wartmann Kontakt auf und vereinbarte sich mit ihr zum persönlichen Gespräch, zu dem sie einen Blumenstrauß mitbrachte und bei dem sie ihr Beileid aussprach.

Die Frage nach dem Warum ist damit nicht geklärt. Wartmann sagte bei einem Treffen vor dem Helios-Spital, bei dem das Foto für diesen Bericht entstanden ist: „Ich betrachte es als Schicksal. Es kann niemand etwas dafür.“