Die Geburt des ersten Kindes verändert das Leben eines Paares grundlegend. Im Vorfeld begleiten Erwartungen, Wunschvorstellungen und manchmal auch Sorgen die werdenden Eltern, weil nicht vorausgesagt werden kann, wie die Geburt letztendlich ablaufen wird. Franziska Kling war jedoch guter Dinge, als sie im April 2021 ihren Sohn im Überlinger Helios-Spital auf die Welt bringen wollte: „Es gab keine Komplikationen in der Schwangerschaft und es sprach nichts gegen eine Geburt in Überlingen“, erinnert sich die 28-Jährige. Sie selbst und ihr Mann Robin waren in Überlingen zur Welt gekommen und hätten sich das auch für ihren Sohn gewünscht. „Unser Ziel war es, ein Überlinger Hänsele zur Welt zu bringen“, sagt Robin Kling augenzwinkernd.

Frühmorgens setzten die Wehen ein

Als eines Morgens bei Franziska Kling die Geburt einsetzte, schien dem Plan nichts entgegenzustehen. „Morgens um halb fünf gingen bei mir die Wehen los“, berichtet die Überlingerin. Gegen 6 Uhr fuhren die werdenden Eltern ins Helios-Spital – aufgrund der pandemiebedingten Schutzmaßnahmen musste Ehemann Robin draußen warten. Die Untersuchung ergab regelmäßige Wehen und einen zwei Zentimeter geöffneten Muttermund. „Da es beim ersten Kind länger dauern kann, wurde ich noch mal nach Hause geschickt, um meine Wehen in vertrauter Umgebung zu verarbeiten“, berichtet Franziska Kling. Sie sollte wieder ins Krankenhaus kommen, sobald sie kräftetechnisch nicht mehr könne oder eine Periduralanästhesie (PDA) haben wolle. Das entsprechende Formular wurde ihr bereits mitgegeben, damit sie es in Ruhe zu Hause ausfüllen könnte.

Überraschung am Abend: ab 22 Uhr keine Hebammenbetreuung mehr

„Um 18 Uhr bin ich ins Krankenhaus gefahren, weil ich erschöpft war, da ich bis zu diesem Zeitpunkt alle fünf Minuten Wehen hatte“, schildert die junge Mutter. Der Muttermund war inzwischen fünf Zentimeter geöffnet und eine Hebamme habe ihr bestätigt, dass sie unter der Geburt stehe. Dann die Überraschung: Ob ihr am Morgen keiner gesagt habe, dass ab 22 Uhr keine Hebammen mehr da seien? Der Gebärenden wurde nahegelegt, ein anderes Krankenhaus aufzusuchen. „Daraufhin habe ich meinen Mann angerufen und wir haben beschlossen, dass er mich nach Singen fährt“, erzählt Franziska Kling.

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Ehepaar fährt in Eigenregie nach Singen

In Singen angekommen, mussten alle Formalitäten unter starken Wehen erneut erledigt werden. „Schlussendlich ist mir eine halbe Stunde, nachdem ich im Kreißsaal war, die Fruchtblase geplatzt“, fasst die 28-Jährige zusammen. Eine schmerzlindernde PDA sei nicht mehr möglich gewesen, da der Anästhesist mit anderen Patientinnen beschäftigt war. „Um 0.30 Uhr kam unser Sohn gesund zur Welt. Das war die Hauptsache“, meint die junge Mutter. Ihr Mann ergänzt: „Man hat seinen Frieden insofern gemacht, dass er gesund ist, aber das Thema ist mit gewissen Emotionen verbunden.“

Familie möchte den Vorfall aufarbeiten

Wenige Monate nach der Geburt habe sie der unplanmäßige Ablauf noch beschäftigt, weshalb Franziska Kling versuchte, Kontakt mit der Geburtshilfe im Helios-Spital Überlingen aufzunehmen. Nachdem sie jedoch niemanden Zuständigen erreichte, ließ sie die Sache auf sich beruhen: „Unser Kind hatte Priorität“, begründet sie. Nach einem Leserbrief ihres Schwiegervaters bezüglich der Personalversorgung im Helios-Spital machte das Ehepaar jetzt doch die Geschehnisse rund um die Geburt ihres Kindes öffentlich. Beide betonen, keinen Groll zu hegen, aber an einer Aufklärung der Umstände interessiert zu sein. „Vielleicht kann das ein Weckruf sein“, hofft Robin Kling, „schließlich geht es um unsere Kinder.“

Geburtshilfe war kurzfristig drei Nächte geschlossen

Auf Nachfrage bei der Pressestelle des Helios-Spitals kommt zunächst ein Verweis auf den Daten- und Personenschutz, kurze Zeit später wird das Paar vom Chefarzt der Gynäkologie zu einem Gespräch eingeladen. „Wir bedauern das Vorkommnis und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten für die Familie sehr und entschuldigen uns dafür bei ihr“, schreibt Pressesprecherin Julia Stapel dem SÜDKURIER im Anschluss an dieses Gespräch. „Zugleich freuen wir uns, dass Mutter und Kind wohlauf sind.“ Vom 9. bis 11. April 2021 habe es ab 22 Uhr keinen Nachtdienst gegeben und die Geburtshilfe sei bis 6 Uhr morgens geschlossen gewesen. Weitere Zeiten mit eingeschränkter Verfügbarkeit habe es nicht gegeben. „Grund für die Einschränkung war ein akuter Ausfall mehrerer Hebammen aufgrund von Krankheiten und Unfall“, erläutert Stapel.

Team versäumte, die werdenden Eltern zu informieren

Von einer krankheitsbedingten Ausnahmesituation war auch gegenüber Franziska Kling an besagtem Abend die Rede, doch warum erst dann? „Hätte ich das gewusst, hätte ich mich darauf einstellen können und wäre früher nach Singen gefahren“, sagt die junge Mutter. Auch wenn es die Verantwortlichen morgens versäumt gehabt hätten, sie zu informieren, hätten sie dies doch tagsüber telefonisch nachholen können, betont Robin Kling. Doch das sei nicht geschehen. „Sie hätten mich in solch einer Situation wenigstens mit dem Krankentransport nach Singen bringen können“, ergänzt seine Frau. „Ich bin froh, dass alles gut gelaufen ist.“

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Helios-Spital bedauert das Vorkommnis

„In der Regel verfügen wir über ausreichende Kapazitäten und alle Schwangeren, die sich an uns wenden, vor, während und nach der Geburt, werden qualitativ hochwertig behandelt“, teilt Julia Stapel mit. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, so werde dafür gesorgt, dass die werdende Mutter sicher und betreut in eine geeignete Klinik verlegt werde. „Wir bedauern, dass dies sonst absolut übliche Vorgehen hier nicht erfolgt ist.“ Die vorübergehende Schließung sei aufgrund der Kürze nicht öffentlich gemacht, sondern den betroffenen Schwangeren direkt mitgeteilt worden. „Leider ist das im vorliegenden Fall nicht passiert“, bedauert Stapel.

Geburtshilfe möchte Vertrauen zurückgewinnen

Franziska und Robin Kling stellen sich nun die Frage, ob sie das Helios-Spital erneut ansteuern würden, wenn sie ein weiteres Kind bekämen. „Das Gleiche wird uns nicht mehr passieren“, ist der 30-Jährige überzeugt, doch die Entscheidung falle nicht leicht. Julia Stapel vom Helios-Spital merkt an: „Unsere Strukturen und Prozesse in der Geburtshilfe haben wir seither verstärkt und verbessert.“ Der Fall der Familie Kling werde zum Anlass genommen, um alle Mitglieder des geburtshilflichen Teams für die Einhaltung des standardisierten Vorgehens nochmals zu sensibilisieren.

Chefarzt bietet den Eltern ein Gespräch an

Das Gespräch mit dem Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe empfand Franziska Kling als angenehm. Da ihr Sohn kurzfristig erkrankt war, fand es nicht persönlich statt. „Er hat am Telefon gesagt, dass es ihm leid tut und dass es nicht der Standard ist“, berichtet die junge Mutter. Zudem habe es seitdem einen umfassenden personellen Wechsel gegeben, sodass praktisch niemand mehr von den damals Diensthabenden und Verantwortlichen an der Klinik sei. „Mir war es wichtig, noch einmal zu sagen, dass es nicht richtig war, wie es abgelaufen ist“, ist die 28-Jährige froh über die Aussprache. „Er hat dem Ganzen zugestimmt und sich im Namen der Klinik entschuldigt.“

Familie ist froh über den Weckruf

Obwohl sie im Guten auseinander seien, kann die Überlingerin noch nicht sagen, ob sie noch einmal unter der Geburt ins Helios-Spital gehen würde. „Wir sind aber froh, wenn das ein Weckruf war, denn wir wünschen das keiner anderen Familie.“ Eines steht für Familie Kling allerdings fest: Auch wenn es mit der Geburt in Überlingen nicht geklappt hat, wird ihr Sohn ein Hänsele. Das Kostüm näht Franziska Kling selbst.