Sie hat als Kind ihre kranke Mutter im damals frisch eröffneten Krankenhaus besucht, dort ihre eigenen Kinder zur Welt gebracht und schließlich sogar als medizinische Fachangestellte in der orthopädischen Praxis des Klinikums gearbeitet: Seniorin Bettina Natter-Kollmuß hat schon ihr ganzes Leben lang eine enge Beziehung zur Klinik Tettnang.
„Als ich im Dezember gehört habe, dass Herr Lucha dieses Krankenhaus jetzt einfach abwickeln will, habe ich mich sehr geärgert“, sagt die 64-Jährige, die mittlerweile in Amtzell lebt. Zum Hintergrund: Im Dezember hatte der Sozialminister bei einer Sitzung des Ravensburger Kreistags verkündet, dass er keine Zukunft für die Klinikstandorte Tettnang und Bald Waldsee sieht – und die Kliniklandschaft am Bodensee umstrukturieren will.
Rund ums Thema Kliniklandschaft
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Großer Zentralversorger soll laut Lucha das Elisabethen-Krankenhaus (Oberschwabenklinik) in Ravensburg werden. Für die umliegenden Kliniken würde das wiederum bedeuten: Entweder sie werden kleiner (Klinikum Friedrichshafen), zur Fachklinik umgebaut (Wangen) oder komplett abgewickelt (Tettnang, Bad Waldsee). Angesichts der Personalnot könne man sich Doppelstrukturen nicht mehr leisten, so Lucha.
Tausende unterschreiben Online-Petition
Seither machen sich viele Menschen aus der Region große Sorgen um die Tettnanger Klinik, die als Akutkrankenhaus nach wie vor eine wichtige Rolle im Leben vieler spielt. Doch: Was kann man als Bürgerin tun, um eine Schließung der Klinik, die seit 2015 gemeinsam mit dem Klinikum Friedrichshafen den Verbund Medizin Campus Bodensee (MCB) bildet, zu verhindern? Für die gebürtige Tettnangerin Natter-Kollmuß stand die Antwort schnell fest: Per Online-Petition wollte sie Unterschriften für den Erhalt der Klinik sammeln.
Dass die Online-Petition auf der Plattform change.org binnen fünf Tagen über 12.000 Unterschriften haben wird, hat die internetaffine Seniorin aber dann doch überrascht: „Die Klinik hat eben ein Rieseneinzugsgebiet, besonders für die Geburten kommen ja viele von weit her, sogar aus dem Allgäu und Lindau.“ Wie auch der SÜDKURIER erst jüngst berichtete, ist die Klinik Tettnang bei jungen Eltern tatsächlich mit Abstand die beliebteste Geburtsklinik in der Region.
War Luchas Vorpreschen ein „Schnellschuss“?
Knapp 1000 Babys kamen in Tettnang 2021 zur Welt – so viele wie nie zuvor. Einige Mütter nehmen auch lange Anfahrtswege in Kauf, um ihr Kind in Tettnang zur Welt zu bringen, weil sie so überzeugt sind von der Klinik. Für den Ärztlichen Direktor des Tettnanger Klinikums, Dr. Christian Fünfgeld, selbst Gynäkologe, steht daher fest: Er wird für den Erhalt der beliebten Klinik kämpfen. Gegenüber dem SÜDKURIER bezeichnete er Luchas Vorpreschen als „Schnellschuss“, der insbesondere in der Geburtshilfe wenig durchdacht sei.

Weitergehen wie bisher kann es allerdings auch nicht, denn der Klinikverbund ist seit Jahren defizitär. Erst im Februar stimmte der Häfler Gemeinderat erneut einer kräftigen Finanzspritze von 12,9 Millionen Euro in 2022 für beide Standorte des Verbunds zu. Dabei erhalten das Häfler Klinikum einen Betriebskostenzuschuss von 4,95 Millionen Euro plus 3,33 Millionen Investitionskosten und das Klinikum Tettnang 2,13 Millionen Euro (Betriebskostenzuschuss) und 203.000 Euro Investitionskosten. Die Stadt Friedrichshafen trägt mit 95,5 Prozent die Hauptanteile als Gesellschafterin der Klinikum Friedrichshafen GmbH, 4,5 Prozent gehören den Waldburg-Zeil-Kliniken.
Mit Einsparungen der schwarzen Null nähern
Derzeit erarbeiten die MCB-Geschäftsführer Strategien, mit denen die Zukunft des Klinikverbunds gesichert werden soll. Ob es möglicherweise sogar eine Kooperation oder Fusion mit der Oberschwabenklinik in Ravensburg geben könnte oder ein neues Krankenhaus in der Mitte von Friedrichshafen und Tettnang, das alles ist aktuell völlig unklar. MCB-Geschäftsführer Franz Klöckner äußerte jedenfalls jüngst gegenüber dem Häfler Gemeinderat, dass Doppelstrukturen der beiden Kliniken abgeschafft werden sollen – und man sich mit Einsparungen der schwarzen Null nähern werde. Ob das bei Manfred Lucha zu einer Planänderung führen könnte, bleibt abzuwarten.