Fahrrad- und Motorradfahrer, Fußgänger, Autofahrer und Anlieferverkehr: In der Hafenstraße in Überlingen herrscht Gleichberechtigung zwischen allen Verkehrsteilnehmern. Das signalisiert der Aufbau der Straße mit fußgängerfreundlichem Pflaster und einem Verzicht auf Gehwege.

Als gelungener Umbau wird die im April neu eröffnete Hafenstraße auch von der Lokalpolitik wahrgenommen. „Wir beobachten viel gegenseitige Achtsamkeit von Fußgängern, Fahrradfahrern und Autofahrern“, formulierte es Gemeinderat Herbert Dreiseitl. Günter Hornstein von der CDU meinte: „Der Verkehr hat sich dort wesentlich verlangsamt.“ Die optische Umgestaltung der Straße bezwecke mehr als nur das Aufstellen von Verkehrszeichen.
Händler im Grundsatz für eine Verkehrsberuhigung
Schuhhändler Uwe Zscherp sieht die Hafenstraße als eine „Blaupause“ für die Gestaltung von Straßen, wie er es sich für weitere Innenstadtstraßen wünschen würde. Zscherp ist Mitglied im Vorstand des Wirtschaftsverbundes WVÜ und als solcher für den Bereich Handel zuständig.
Zscherp sagt: „Pro Verkehrsberuhigung. Es fühlt sich gut an. Allerdings muss davor noch ein gutes Konzept ausgearbeitet werden.“ Damit meint Zscherp die Gestaltung der Straßen nach dem Vorbild Hafenstraße – und vor allem die Möglichkeit für einzelne Kunden, die Geschäfte in der Innenstadt auch künftig mit dem Auto anfahren zu können.

Jetzt, während der Landesgartenschau, ist das nur eingeschränkt möglich. Autos, die von Norden in die Stadt einfahren möchten, werden am Franziskanertor tagsüber gestoppt und übers Kurviertel oder Brünnensbach in den Westen der Stadt umgeleitet. Die Franziskanerstraße ist nur von von Westen her befahrbar.
Nach teilweiser Innenstadtsperrung gehen Kunden verloren
Das macht etwas mit den Kunden. Wie Zscherp nach Rücksprache mit anderen Händlern und im Namen des WVÜ sagte, sei der Besuch an Kunden aus den Umlandgemeinden wie Owingen oder Sipplingen deutlich zurückgegangen. Zscherp: „Die Aufenthaltsqualität ist besser geworden. Was wir aber de facto merken: Das Umland bleit weg.“ Es gibt fußläufig erreichbar die Parkhäuser, sie seien aber teils um 10 oder 11 Uhr durch die LGS-Besucher schon belegt. „Und dann haben manche Kunden eben keinen Bock mehr auf die Verkehrssituation in Überlingen.“

Zscherp verweist auf das Beispiel Weinhaus Weber in der Franziskanerstraße. „Da trägt keiner zwei Kartons Wein bis ins Parkhaus. Man sollte den Kunden auch weiterhin die Möglichkeit geben, kurz vor dem Geschäft zu halten.“ Man sei nicht die einzige Einkaufsstadt in der Region, und so fürchteten die Händler von Überlingen momentan die Gefahr, dass sich Kundenströme in Städte wie Radolfzell oder Pfullendorf verlagerten. An den Kundendateien könnten sie den Mangel momentan ablesen, so Zscherp. Durch die vielen LGS-Besucher könne man den Rückgang kompensiert. „Aber die Gefahr sehen wir in Richtung Herbst: Wie reagieren dann die wichtigen Kunden aus dem Umland?“
Sperrung währen der LGS wirkt
Die Landesgartenschau endet am 17. Oktober. Danach wird auch die Franziskanerstraße wieder in beide Richtungen geöffnet. Allerdings: Dieser Sommer wird in der Kommunalpolitik als wichtige Testphase wahrgenommen – mit Blick auf eine möglicherweise dauerhafte Verkehrsberuhigung.
Wir fragten alle Gemeinderatsfraktionen, ob sich die teilweise Sperrung der Innenstadt in diesem LGS-Sommer bewährt. Bis auf die FDP und die SPD antworteten alle Fraktionen. Ihr Urteil fiel unisono positiv aus. Die CDU schrieb: „Das (wegen der LGS) befürchtete Chaos in der Innenstadt konnte, bis auf wenige absolute Spitzenstunden, weitgehend vermieden werden.“ LBU/Die Grünen: „Die Innenstadt hat deutlich an Qualität gewonnen. Die Promenade, die Plätze, Straßen und Gassen werden viel stärker zum Flanieren und Einkaufen besucht.“ FWV/ÜfA antworteten: „Nachdem das von manch einem befürchtete Verkehrschaos in der Innenstadt bislang ausgeblieben ist, kann man von einem Erfolg sprechen. Für die Belange der LGS hat es sich sicher bewährt.“ Auch BÜB+ findet: „Für die Zeit der LGS hat es sich sicherlich bewährt. Das Verkehrschaos wäre ansonsten nicht beherrschbar geworden.“
Und nach der LGS?
Die wichtigere Frage an die Ratsfraktionen lautet deshalb: Sollte dieses Modell nach der Gartenschau weitergeführt werden? Wenn man die Antworten der vier Fraktionen CDU, LBU/Grüne, FWV/ÜfA und BÜB+ zusammenfasst, kann man sagen: Ja, aber! Ja, es soll nach Jahrzehnten der Diskussion endlich zu einer spürbaren Verkehrsberuhigung kommen, aber erst, wenn die Begleitmaßnahmen dafür geschaffen sind.
Im Einzelnen antworteten die Fraktionen
