Prominent weist ein Aufsteller am Landungsplatz auf das Stadtjubiläum hin. Nur könnte er bei uneingeweihten Augen Verwirrung stiften. Er kündigt ein Festprogramm für 2020 an. Dass sich die Festivitäten coronabedingt verschoben und noch im vergangenen Jahr Programmpunkte waren, weiß nur der eingeweihte Bürger. Und doch sagt diese Ankündigung etwas über Überlingen aus – zumindest mit großem Augenzwinkern betrachtet.
Efeuranken an Fachwerk, Dampfschiffe auf dem See, alte Stadtvillen, alles überragt vom gotischen Münster – in Überlingen könnte man sich in einer vergangenen Ära wähnen. Überhaupt hört man immer wieder, Überlingen sei an der Vergangenheit mehr interessiert als an der Gegenwart. Der Verein Taktwerk etwa will für Jugendliche und junge Erwachsene Techno und Hip-Hop-Events veranstalten. Mangels eigenem Raum weicht die Gruppe auf städtische Einrichtungen wie die „Rampe“ in Nußdorf aus.
Orgelpfeifen statt Subwoofer
Das bringt laut des Vereins jedoch Auflagen mit sich, die das Publikum abschrecken. Alternativen zu finden, ist schwer. Einen Club hat Überlingen nicht – dafür zahlreiche Orgelkonzerte und -festivals. Sollen die jungen Überlinger statt auf steile Beats auf staubige Pfeifen abgehen? Das fehlende Wummern aus dem Subwoofer durch Ziehen des Bassregisters an der Orgel kompensieren? Die wiederbelebten Überlinger Musiktage schreiben sich im Eifer ihrer Erweckung zeitgenössische Musik auf die Fahnen. Eröffnet wurden sie mit Klängen aus dem Barock. Beendet wurden sie mit – Sie ahnen es – Bach.

Eine eigene Dimension
Für den Verein Überlinger Kulturschutzgebiet ist das nicht weniger als ein Grundsatzproblem. Das historisch geprägte Kulturverständnis im ländlichen Raum blende die Gegenwart aus, kritisiert er. Die leuchtenden Augen auf die historische Opulenz gerichtet, verselbstständigt sich das schon mal. Böse Zungen könnten sagen: Schon in der Reformationszeit bleibt Überlingen katholisch und wird für seine Standhaftigkeit im Gewohnten von Kaiser Karl V. belohnt und erhält zum Stadtwappen zusätzlich ein Oberwappen.
Die Ankündigung am Landungsplatz scheint also von einer Art Überlinger Raumzeitsingularität erfasst worden zu sein. Vielleicht verhält es sich mit der Geschichtspflege ähnlich wie mit Autos: Je älter sie werden, umso mehr werden sie zu Liebhaberstücken.