Am Sportplatz Klausenhorn zwischen Dingelsdorf und Wallhausen steht Bene Müller und zeigt auf den rund 200 Meter entfernten Bodensee. „Der See ist eine riesige Wärmequelle, die vor unserer Haustür liegt“, sagt er. „Viele Milliarden Kilowattstunden Energie.“ Für Bene Müller eine große Chance, die das Potenzial hat, hunderttausende Menschen rund um den Bodensee mit erneuerbarer Wärme zu versorgen.

Aber wie bekommt man die Wärme zu den Menschen, die sie verbrauchen? Aufmerksame Leserinnen und Leser unseres Schwerpunkts ‚Klimaschutz – So wird‘s was‘ kennen die Antwort bereits: mithilfe eines Wärmenetzes. Und genau das baut die Firma von Bene Müller in Dingelsdorf und Wallhausen. Er sitzt im Vorstand von Solarcomplex. Das Energieversorgungsunternehmen aus Singen hat schon rund 20 Wärmenetze gebaut. Dieses ist das Erste, das mit der Wärme des Bodensees heizen wird. Man nennt das Seethermie oder Seewärme.

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Rund um den Bodensee planen Kommunen einen Teil ihrer Wärme künftig aus dem Binnengewässer zu beziehen. Konstanz, Meersburg, Gottlieben, Friedrichshafen, Überlingen, Radolfzell. Alle wollen die Energie des Bodensees nutzen. „Dieses Projekt ist so etwas wie der Eisbrecher für die Seewärme“, sagt Müller. „Wir sind damit ein bis zwei Jahre früher dran, als die Stadtwerke in Konstanz und Radolfzell sowie das Stadtwerk am See auf der anderen Seite drüben.“

Im Herbst 2025 soll es losgehen. „Die Heizzentrale und der Solarpark sind relativ schnell gebaut. Was wirklich lange dauert ist der Tiefbau“, sagt Müller. „Ein Jahr nach Baubeginn können wir die ersten Kunden mit Wärme beliefern aber bis auch die letzten angeschlossen sind, wird es bis Ende 2027 dauern.“ Insgesamt müssen 16 Kilometer Leitungen zu rund 400 Häusern gelegt werden.

Links von Bene Müller, einem der Vorstände von Solarcomplex, wird voraussichtlich im Herbst die erste Seethermie-Wärmepumpe in Konstanz ...
Links von Bene Müller, einem der Vorstände von Solarcomplex, wird voraussichtlich im Herbst die erste Seethermie-Wärmepumpe in Konstanz entstehen. Über ein Nahwärmenetz wird sie die Teilorte Dingelsdorf und Wallhausen mit grüner Wärme versorgen. | Bild: Hanser, Oliver

Mindestens 900 Euro billiger pro Jahr

Und was haben die Menschen, die sich ans Wärmenetz anschließen lassen davon? „Was die Leute immer am meisten interessiert, ist, was das kostet“, sagt Müller. „Die realistischen Vollkosten für eine kWh Wärme aus einer Ölheizung liegen bei 17 bis 20 Cent.“ Also inklusive der Kosten für Betrieb, Wartung, Schornsteinfeger und Wertverlust der Heizung.

„Der See ist eine riesige Wärmequelle, die vor unserer Haustür liegt. Viele Milliarden Kilowattstunden Energie“, sagt einer der ...
„Der See ist eine riesige Wärmequelle, die vor unserer Haustür liegt. Viele Milliarden Kilowattstunden Energie“, sagt einer der Solarcomplex Vorstände, Bene Müller. | Bild: Hanser, Oliver

Hinzu kommt, dass das Gebäudeenergiegesetz innerhalb der nächsten 20 Jahre sowieso verlangt, dass man seine Heizung auf mindestens 65 Prozent erneuerbare Energien umrüstet. Der Preis für eine kWh Seewärme in Dingelsdorf und Wallhausen wird bei 12,9 Cent liegen. Hinzu kommen jährliche Kosten in Höhe von 476 Euro und ein einmaliger Anschlussbeitrag von knapp 14.300 Euro. Der wird aber mit bis zu 70 Prozent gefördert.

Und was ist jetzt am Ende günstiger? Die Seewärme, und das sogar deutlich. Geht man von Vollkosten für eine kWh Wärme aus Heizöl aus, spart man bei 17 Cent knapp 900 Euro. Bei Vollkosten von 20 Cent können es bei einem Einfamilienhaus aus den 1970er-Jahren sogar laut der Rechnung von Solarcomplex rund 1500 Euro sein. Selbstverständlich verfolgt Solarcomplex auch wirtschaftliche Interessen. Aber auch die Energieberater von Enter.de gehen von 20 Prozent geringeren Kosten für Nahwärme gegenüber fossiler Heizsysteme aus.

Solarstrom sorgt für Klimaschutz

Seethermie ist auch klimafreundlicher. Die Wärme wird mithilfe einer sehr großen Wärmepumpe erzeugt. Diese läuft mit Strom. Es entstehen vor Ort also keine Emissionen. Wird die Wärmepumpe in Dingelsdorf mit grünem Strom betrieben, sind sie sogar nahe Null. Und selbst beim Einsatz von Netzstrom spart man circa drei Viertel der Emissionen gegenüber einer Ölheizung.

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Die Wärmepumpe, die das Netz in Dingelsdorf und Wallhausen versorgen soll, wird von einer Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) gespeist. Im Sommer läuft sie also autark. Im Winter jedoch muss sie zu einem großen Teil mit Netzstrom angetrieben werden. Übers Jahr gerechnet spart das Wärmenetz so fast 90 Prozent der Emissionen oder rund 4.500 Tonnen CO2, sagt Müller.

Die PV-Anlage braucht allerdings viel Platz. So hat ein Landwirt drei Hektar seiner Grünland-Futterfläche aufgegeben und der Sportplatz, der der Heizzentrale weichen muss, zieht um. In Dingelsdorf und Wallhausen konnten dafür jedoch unkomplizierte Lösungen gefunden werden, sagen sowohl Bene Müller als auch der Konstanzer Ortsvorsitzende des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands, Florian Fuchs.

Genau diesen Ausblick haben bald die sechs Tanks, in denen an sonnigen Tagen heißes Wasser auf Vorrat gespeichert wird. Unter dem ...
Genau diesen Ausblick haben bald die sechs Tanks, in denen an sonnigen Tagen heißes Wasser auf Vorrat gespeichert wird. Unter dem Sportpatz verlaufen die Wasserleitungen zum Bodensee. | Bild: Hanser, Oliver

Ökosystem wohl kaum betroffen

Müller sei wichtig, dass die Leute wissen, dass das Wasser bis auf die Temperatur in keiner Weise verändert wird oder mit der Kühlflüssigkeit in Kontakt kommt. Angst um erfrierende Fische muss auch niemand haben. „Das Wasser wird nur rund ein Grad abgekühlt“, sagt Müller. Und wie wir aus Folge vier von ‚Klimaschutz – So wird‘s was‘ wissen, ist der Bodensee ja sowieso zu warm.

Zwar wird das System im Sommer umgekehrt, sodass es die Häuser kühlt und wärmeres Wasser zurück in den See leitet. Trotzdem sei übers Jahr gesehen eher eine Abkühlung des Sees zu erwarten. Außerdem seien diese Effekte nur minimal. Das sagte Alfred Wüest, Professor am Wasserforschungsinstitut Eawag der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich, dem SÜDKURIER bereits im Januar 2025.

Die Seewärme ist also billiger und besser fürs Klima. Warum gibt es trotzdem Menschen, die einen Anschluss ans Wärmenetz ablehnen? Das Argument, das Müller am häufigsten hört, ist: „Wir wollen nicht abhängig sein.“ Man habe ja schließlich eine Leitung vom Haus zum Versorger. Also eine Abhängigkeit.

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„Aber was da natürlich überhaupt nicht reflektiert wird: wenn ich einen Ölkessel habe, bin ich ja genauso abhängig, weil ich da Öl reinleeren muss“, sagt Müller. „Ich kann nicht sagen, oh, das Öl ist mir zu teuer, jetzt mache ich mal Apfelmost rein.“ Eine Abhängigkeit von Öl bedeutet übrigens auch eine Abhängigkeit von anderen Staaten, vor allem im Nahen Osten.

Fünf Wärmenetze geplant

Seethermie ist aber nur eine Möglichkeit, Häuser mit nachhaltiger Wärme zu versorgen. In Konstanz sollen insgesamt fünf Wärmenetze entstehen und neben Seethermie auch die Abwärme aus der Konstanzer Kläranlage oder der Müllverbrennungsanlage im schweizerischen Weinfelden nutzen. Das Paradies und die Altstadt sollen durch eine Kombination aus Abwärme der Müllverbrennungsanlage in Weinfelden und Seethermie geheizt werden. In Konstanz soll rund die Hälfte der Häuser auch an ein Wärmenetz angeschlossen werden können.