Als Philipp Baumgartner, der Chef des Konstanzer Klimaschutz-Amts, im Januar 2025 vor den Gemeinderat trat, um den neuen Klimaschutzbericht zu präsentieren, hatte er keine guten Nachrichten. Die Stadt entfernt sich immer weiter von ihrem Ziel, 2035 weitgehend treibhausgasneutral zu sein. Wenn es so weitergeht, wird es nicht einmal bis 2045 klappen.

War‘s das also, oder kann Konstanz seine Klimaschutzziele doch noch erreichen? Um diese Frage für deutsche Kommunen zu klären, hat das Umweltbundesamt beim Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) in Heidelberg eine Studie in Auftrag gegeben. Benjamin Gugel, Experte für kommunale Klimaschutzmaßnahmen vom ifeu, war daran beteiligt und kennt das Ergebnis.

„Kommunen alleine sind in einem Mehrebenensystem aus EU-, Bund und Land leider gar nicht in der Lage, ihre Klimaschutzziele zu erreichen.“ Zumindest nicht vor 2045, wenn auch Deutschland in Gänze weitgehend treibhausgasneutral sein will.

„Das Gebäude-Energiegesetz oder ‚Heizungsgesetz‘ ist gar nicht darauf ausgelegt, dass der Gebäudebestand bis 2035 treibhausgasneutral ...
„Das Gebäude-Energiegesetz oder ‚Heizungsgesetz‘ ist gar nicht darauf ausgelegt, dass der Gebäudebestand bis 2035 treibhausgasneutral ist“, sagt Benjamin Gugel vom ifeu. | Bild: Susanne Lencinas

Heizungsgesetz arbeitet gegen Konstanzer Klimaziel

„Das Gebäude-Energiegesetz oder ‚Heizungsgesetz‘ ist gar nicht darauf ausgelegt, dass der Gebäudebestand bis 2035 treibhausgasneutral ist“, so Gugel. So dürfen Bestandsheizungen noch bis 2044 mit Erdgas betrieben werden. Darüber kann sich Konstanz nicht hinwegsetzen. „Im Bundesstrommix steigen wir wohl erst 2038 aus der Kohle aus, und gleichzeitig werden neue Gaskraftwerke angekündigt“, erklärt Gugel. Alles Rahmenbedingungen, die es den Kommunen extrem schwer machen, ihre selbst gesteckten Ziele zu erreichen.

Nicht einmal Kopenhagen hat es geschafft

Selbst Kopenhagen hat sein 2012 ausgerufenes Ziel, bis 2025 treibhausgasneutral zu sein, nicht erreicht. Dabei gilt die dänische Hauptstadt als die Vorzeigekommune beim Klimaschutz. Doch auch dort gab es ähnliche Probleme wie in Konstanz. Es war aber nicht der Gemeinderat, der den Mobilitätsplänen der Stadt einen Strich durch die Rechnung machte, sondern die dänische Regierung. Sie kippte bereits 2012 eine Gebührenpflicht für Privatautos, die in die Hauptstadt wollen.

Und auch in Dänemark gibt es Gesetze, die den Klimazielen von Kommunen widersprechen. So entschied die dänische Regierung 2013, dass Gemeinden Gebühren für den auf ihren eigenen Dächern produzierten Strom zahlen müssen. Dadurch kam der Photovoltaik-Ausbau (PV-Ausbau) auf kommunalen Dächern in Dänemark quasi zum Erliegen. Folglich konnte Kopenhagen seine Emissionen in 13 Jahren nur um 80 Prozent senken.

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80 Prozent? Ist das gut oder gilt das als Scheitern?

Und jetzt? Bedeutet das, dass es gar keinen Sinn ergibt, vorzeitige Klimaschutzziele auf kommunaler Ebene zu beschließen, wenn man ohnehin nicht die 100 Prozent erreicht? Ist 80 Prozent scheitern? Nein, das sei supergut, findet Philipp Baumgartner. Kopenhagen habe das geschafft, weil sie 100 Prozent wollten. Hätten sie weniger gewollt, hätten sie 80 Prozent von dem Weniger geschafft, so Baumgartner. Insofern seien ambitionierte Ziele wichtig.

Das sieht auch Benjamin Gugel so: „Allein aufgrund des Klimanotstands und des ambitionierten Klimaziels sind in Konstanz und anderen Kommunen auch ambitionierte Dinge geschehen.“

Philipp Baumgartner vom Amt für Klimaschutz ist überzeugt, dass Kopenhagen seine Treibhausgasemissionen nicht soweit hätte senken ...
Philipp Baumgartner vom Amt für Klimaschutz ist überzeugt, dass Kopenhagen seine Treibhausgasemissionen nicht soweit hätte senken können, wenn sie kein so ambitioniertes Ziel gehabt hätten. | Bild: Stadt Konstanz

Experten sagen: Kommunen sollten möglichst großen Beitrag leisten

Und die Studie des Umweltbundesamtes zeigt: Durch eine schnellere Umsetzung der Maßnahmen konnten die drei untersuchten Beispiel-Kommunen (welche es sind, wird nicht offengelegt) ihre bis 2030 prognostizierten Emissionen zwischen sieben und 13 Prozent reduzieren. Deswegen sollten sich Kommunen nicht nur darauf konzentrieren, wie sie weitgehende Treibhausgasneutralität auf ihrem eigenen Gebiet erreichen. Vielmehr sollten sie versuchen, einen möglichst großen Beitrag zu nationalen und internationalen Klimaschutzzielen zu leisten, findet der Experte von ifeu.

Die Studie empfiehlt: Kommunen sollten in den Bereichen, in denen sie großen Einfluss haben, weiterhin eine vorzeitige Treibhausgasneutralität anstreben. Zum Beispiel bei den kommunalen Gebäuden. Statt einer weitgehenden schlägt die Studie außerdem das Ziel einer weitestmöglichen Treibhausgasneutralität vor. Da Potenziale an erneuerbarer Stromerzeugung sowie CO2-Senken (Reservoire die mehr CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen als sie abgeben, wie gesunde Moore und Wälder) ungleichmäßig verteilt sind, müssen einige Kommunen mit der Erzeugung erneuerbaren Stroms sogar über den eigenen Bedarf hinausgehen. Somit ist der PV-Ausbau Pflichtaufgabe.

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Hochbauamt beschränkt sich auf Mindestmaß

Den größten Einfluss haben Kommunen beim Energieverbrauch ihrer eigenen Verwaltung und der von kommunalen Unternehmen. Auch bei Versorgungsangeboten, die von Verwaltung und kommunalen Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, ist der Einfluss noch erheblich. Da die Busflotte schon fast zur Hälfte elektrisch fährt, Konstanz eine vergleichsweise gute Radinfrastruktur besitzt und die Wärmenetze auch in der Planung sind, sieht es im Versorgungsbereich also relativ gut aus.

Vor allem bei den eigenen Gebäuden gibt es aber großen Nachholbedarf. Gerade hier sieht die Studie das größte Einflusspotenzial. „Diese könnten schon weit vor 2035 treibhausgasneutral sein“, sagt Gugel. Das sei zwar richtig, findet Baumgartner, scheitere in Konstanz jedoch an zwei Dingen: Zeit und Geld.

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Beim Sanieren der kommunalen Gebäude sei historisch gern gespart worden, erklärt Baumgartner. Gebäude seien nicht in dem Maße modernisiert und saniert worden, wie es sinnvoll gewesen wäre. Das decke der Klimaschutz jetzt auf. Und werden Mängel festgestellt, gehe der Brandschutz im Zweifelsfall vor.

So beschränkt sich das Hochbauamt auf ein Mindestmaß an Sanierung: „Die Reduzierung der CO2-Emissionen wird durch die Erneuerung aller Heizungen umgesetzt, dies ist schneller umsetzbar, weniger aufwendig und weniger kostenintensiv als etwaige Maßnahmen an der Gebäudehülle“, sagt der Leiter des Hochbauamts der Stadt Konstanz, Thomas Stegmann. Er rechnet mit Investitionen in Höhe von rund 60 Millionen Euro. „Der CO2-Fußabdruck kann um 46 Prozent zum Basisjahr reduziert werden.“ Gut die Hälfte des anvisierten Ziels.

„Die Reduzierung der CO2-Emissionen wird durch die Erneuerung aller Heizungen umgesetzt, dies ist schneller umsetzbar, weniger aufwendig ...
„Die Reduzierung der CO2-Emissionen wird durch die Erneuerung aller Heizungen umgesetzt, dies ist schneller umsetzbar, weniger aufwendig und weniger kostenintensiv als etwaige Maßnahmen an der Gebäudehülle“, sagt der Leiter des Hochbauamts, Thomas Stegmann. | Bild: Michael Buchmüller | SK-Archiv

Parken muss laut Studie teurer werden

Weniger Einfluss als in den Bereichen Verbrauchen und Versorgen haben Kommunen bei regulierenden Maßnahmen, da sie sich nicht über Bundes- und Landesgesetze hinwegsetzen können. Sie können aber durchaus Effizienzanforderungen in städtebaulichen Verträgen und Bebauungsplänen verankern und somit Bauherren zu bestimmten Energie- und Umweltstandards verpflichten. Auch die konsequente und flächendeckende Einführung von kostenpflichtigem Parken wird in der Studie genannt.

Jedoch stellte sich der Konstanzer Gemeinderat bei der Erhöhung von Parkgebühren zuletzt quer. Denn solche Methoden stoßen nicht selten auf Widerstand aus der Bevölkerung. So zog eine Familie vor Gericht, weil sie nicht akzeptieren wollte, dass ihr Kind an einer Konstanzer Schule nur noch einmal pro Woche Fleisch zu Essen bekommt.

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Und ein Konstanzer Lehrer wandte sich in einem Leserbrief an den SÜDKURIER: „Hier fehlt es weniger an Rechtssicherheit als an Fingerspitzengefühl. Wenn Eltern sich genötigt sehen, deshalb zu klagen, läuft etwas schief. Während in anderen Bereichen, wo klimapolitisch wirklich etwas zu bewegen wäre, Funkstille herrscht, zeigt man beim Mittagessen Aktivismus“, schreibt Frank Martin. Auf Nachfrage sagte er dem SÜDKURIER: „Ich wohne in Litzelstetten. Fernwärmeplanung für Litzelstetten? Null, nada. Aber Mittagessen, das wird breit diskutiert.“

Mannheim legt Gasnetz in zehn Jahren still

Dabei müsse sich eine Regulierung gar nicht wie eine solche anfühlen, meint Gugel. Solange man nur ein gleichwertiges Alternativprodukt bieten könne. So hat das Versorgungsunternehmen in Mannheim vergangenes Jahr angekündigt, das Gasnetz 2035 stillzulegen. Folglich bleibt den Kunden gar nichts anderes übrig, als auf erneuerbare Wärme umzusteigen.

Für Gordon Appel, einen der Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, ist das allerdings Zukunftsmusik. Er meint: „Super Sache. Finde ich toll. Aber es hinkt an der Stelle, dass in Mannheim schon ein Wärmenetz vorhanden ist. Wenn man jetzt in Konstanz sagen würde 2040, dann wäre das denkbar.“

Gordon Appel, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, meint: „Super Sache. Finde ich toll. Aber es hinkt an der Stelle, dass in ...
Gordon Appel, Geschäftsführer der Stadtwerke Konstanz, meint: „Super Sache. Finde ich toll. Aber es hinkt an der Stelle, dass in Mannheim schon ein Wärmenetz vorhanden ist.“ | Bild: Stadtwerke Konstanz

Der vierte Einflussbereich von Kommunen liegt darin, Menschen zu beraten und zu informieren. Wie der SÜDKURIER bereits berichtete, muss rund die Hälfte der Konstanzer Haushalte eine dezentrale Lösung finden, um ihre Wärme erneuerbar zu erzeugen. In den allermeisten Fällen ist eine Wärmepumpe die effizienteste dezentrale Methode der Wärmeerzeugung.

Klimaschutz darf keine Arbeit sein

Dass sich Wärmepumpen und PV-Anlagen finanziell rechnen, müsse den Menschen aber erst einmal erklärt werden. „Mithilfe von Energieberatungen müssen wir diese Information an die Endverbraucher bekommen“, sagt Gugel. Diese Ergänzung sei vielleicht nicht so attraktiv, weil die Aufklärungsarbeit für sich noch keine Einsparungen bringe. „Aber sie ist trotzdem extrem wichtig: Ohne Beratung funktioniert das Ganze nicht“, ergänzt der ifeu-Experte.

Eine Energieberatung gibt es in Konstanz unter anderem in Form der Energiekarawane bereits und soll auch ausgeweitet werden. „Die Leute haben im Alltag aber nicht die Kapazitäten, diese komplexen Sachen anzugehen“, sagt Gugel. „Stattdessen sollte die Stadt vieles vorgeben.“ Damit meint er, genügend Personal für die Karawanen zu haben und Verträge mit Handwerksfirmen abzuschließen – so, dass die Endverbraucher nur noch auf ihre alte Heizung zeigen müssen und alles geregelt wird. „Klimaschutz sollte möglichst keine zusätzliche Arbeit sein“, sagt der Experte.

Im Rahmen der Energiekarawane bekommen Hausbesitzer und Hausbesitzerinnen eine kostenlose Energieberatung. So sollen ihnen die ...
Im Rahmen der Energiekarawane bekommen Hausbesitzer und Hausbesitzerinnen eine kostenlose Energieberatung. So sollen ihnen die Möglichkeiten einer energetischen Sanierung aufgezeigt werden. | Bild: Ortsverwaltung Dettingen

„Gewinnt der Klimaschutz, wenn es hart auf hart kommt?“

Auch wenn es, wie sich Expertinnen und Experten inzwischen weitgehend einig sind, für deutsche Städte und Gemeinden nahezu unmöglich ist, vor 2045 treibhausgasneutral zu sein, müssen und sollten sie die Hände nicht in den Schoß legen, meint Gugel. Ein vollständiger Verzicht auf fossile Energien zur Wärmebereitstellung sei zum Beispiel unerlässlich, um die Klimaziele des Bundes zu erreichen. Deswegen sollten auch auf kommunaler Ebene alle Maßnahmen umgesetzt werden, die möglich sind.

Doch der Forscher befürchtet, dass es in vielen Kommunen nicht so weit kommen wird. „Gewinnt der Klimaschutz, wenn es hart auf hart kommt, oder ist es dann eine kurzfristig wirtschaftlichere Entscheidung? Da werden Kommunen in den aktuellen prekären finanziellen Verhältnissen sicherlich vor schwierigen Entscheidungen stehen, bei denen Klimaschutzaspekte leider nicht immer voranstehen. Wenn aber langfristig gedacht wird, lohnt sich Klimaschutz im Grunde immer.“

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Warum es so wichtig ist, dass Konstanz weiterhin möglichst große Anstrengungen unternimmt, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren, lesen Sie in Folge vier von „Klimaschutz – So wird‘s was“.