Paul Maissenhälter ist an diesem Juliabend gerade auf dem Weg in den Biergarten, um sich mit Freunden zu treffen; sie haben die letzte Klausur im Semester geschrieben. Doch als sein Handy klingelt, werden seine Sommerpläne auf den Kopf gestellt: Sein Trainer vom Ruderverein (RV) Neptun Konstanz meldet sich – soeben hat er erfahren, dass Maissenhälter zur Ruder-WM fahren darf. Nach Shanghai, mit der Elite-Nationalmannschaft.
„Das war erstmal ganz schön überwältigend“, erzählt Paul Maissenhälter. Der Ruderer stand zwar als Ersatzmann für den Leichtgewichts-Doppelzweier bereit, hatte aber schon mit dem Traum Weltmeisterschaft abgeschlossen. Doch nun startet er am 25. September als Teil der deutschen Nationalmannschaft bei der Ruder-WM in China.
Sechs Wochen später, das letzte Trainingslager vor der WM, Regattastrecke Oberschleißheim. Paul Maissenhälter spricht per Videoanruf mit dem SÜDKURIER, der Trainingsplan sieht gerade eine Mittagspause vor. Der Konstanzer sitzt im Atrium einer Jugendherberge, im Hintergrund hört man Kinderstimmen und das Klimpern von Kaffeegeschirr. In wenigen Minuten geht es für sie weiter an die Regattastrecke, sie feilen noch an Technikdetails. Maissenhälter rudert, seitdem er 14 Jahre alt ist, hat internationale Wettkampferfahrung: Doch er kommt ins Schwärmen, wenn er von der Arbeit im Elite-Kader erzählt: „Das Rudern ist hier gefühlvoller, wir machen mit jedem Training super Schritte.“

Sein Teamkollege Joachim Agne vom Akademischen Ruderclub Würzburg ist zehn Jahre älter als er, fährt schon lange im Elite-Kader, hat 2018 mit dem Doppelvierer den WM-Titel geholt. „Joachim hat viel Erfahrung und weiß, wie er das Boot bewegt – das ist eine coole Kombi“, sagt der Konstanzer. Zuletzt haben sie viel Zeit in Trainingslagern verbracht, meist kommt Maissenhälter nur für ein paar Tage an den Bodensee zurück: „Es tut gut, mit den Freunden und der Familie etwas anderes als Rudern zu machen.“
„Ich will noch ein Jahr rudern und dann schauen, was dabei herauskommt“
Dabei sieht es vor wenigen Wochen noch so aus, als ob es mit der WM nicht mehr klappen sollte. Die Geschichte beginnt bereits im Sommer 2024 – da fährt Maissenhälter mit dem Leichtgewichts-Doppelvierer in Kanada zum U23-Weltmeistertitel, es ist der bisherige Höhepunkt seiner Laufbahn. Doch schon damals erzählt der Konstanzer von den vielen Stunden, die er im Kraftraum verbringt. Von Tagen, die morgens am Vereinsheim mit Rudern beginnen und abends auf dem Rennrad im Keller enden. Der 21-Jährige studiert BWL an der Hochschule Konstanz Technik, Wirtschaft und Gestaltung (HTWG), er muss Zeit für Vorlesungen und Klausuren finden. Nach der U23-WM trifft er schließlich die Entscheidung: „Ich will noch ein Jahr rudern und dann schauen, was dabei herauskommt.“
Schon im Oktober 2024 beginnen wieder die Vorbereitungen, Maissenhälter investiert nochmal mehr Zeit als in den Saisons zuvor. Sein Ziel ist eigentlich die U23-WM in Polen, dort möchte er mit einem befreundeten Ruderer im Doppelzweier antreten. Doch dafür müssen sie sich gegen die nationale Konkurrenz durchsetzen – und bei einem Quali-Rennen im Juni den ersten Platz belegen: „Es war schon in den Rennen zuvor immer sehr eng mit einem anderen Boot – es war klar, dass einer von uns beiden fährt.“
Am Ende verliert Maissenhälters Boot das Rennen um das WM-Ticket, das große Saisonziel steht damit vor dem Aus. „Das war eine schwierige Zeit für mich“, blickt er zurück. Doch eine kleine Hoffnung bleibt: In der Qualifikation für den Elite-Kader präsentiert er sich gut, wird als Ersatzmann für den Doppelzweier eingeplant. Und als dann ein paar Wochen später einer der nominierten Athleten für das Boot abspringt, darf Maissenhälter plötzlich zur WM nach Shanghai fliegen.
Neue Regelungen sorgen für Probleme
Der Konstanzer ist Vertreter einer Disziplin, die bald nicht mehr auf der größten Bühne im Rudersport vertreten ist: Bei den Olympischen Spielen 2024 wurde zum letzten Mal ein Rennen im Leichtgewicht ausgetragen, 2028 wird bei den nächsten Sommerspielen in Los Angeles nur noch in einer Gewichtsklasse gefahren. Das IOC möchte damit das Rudern vereinheitlichen und die Teilnehmerzahl begrenzen.
Für das deutsche Leichtgewichtsrudern ist das eine Hiobsbotschaft – ohne Chance auf olympische Medaillen gibt es auch keine finanzielle Förderung durch den Bund mehr. Mit Blick auf die Weltmeisterschaft heißt das: Der Flug nach Shanghai, der Transport der Rennboote und die Trainingslager müssen aus eigener Tasche bezahlt werden. Und da kommt einiges zusammen.
In Shanghai tritt der deutsche Doppelzweier gegen drei weitere Boote an: aus China, Indonesien und Georgien. Im Vergleich zur offenen Gewichtsklasse ist das Teilnehmerfeld deutlich kleiner, denn auch andere Nationen haben das Leichtgewicht aus der Förderung genommen. Maissenhälter hat besonders Respekt vor den Gastgebern: „Wir wissen, dass die Chinesen superstark sind, die sind international sehr erfahren.“ Sie kennen die Stärken ihrer Konkurrenz – doch der Blick gehe in Richtung WM-Titel, sagt Maissenhälter. Der finale Lauf steigt am Donnerstag, dem 25. September, angesetzt auf 8.16 Uhr deutscher Ortszeit.
Nach der Weltmeisterschaft wird Maissenhälter in den Flieger nach Konstanz steigen – doch dann bleiben ihm nur zwei Tage in der Heimat, denn das nächste Abenteuer beginnt schon Anfang Oktober. Der Konstanzer kehrt nach Kanada zurück, dort studiert er für ein Semester im Ausland. Auch wenn das Kapitel Leistungssport mit dem Schritt nach Kanada wohl beendet sein wird, möchte Maissenhälter dem Rudern treu bleiben – und betont: „Es war die beste Entscheidung meines Lebens, mit diesem Sport anzufangen.“